Melanie Weber-Tilse

Heil mich, wenn du kannst


Скачать книгу

St. Claire hatte aufgelegt.

      Ein stechender Schmerz in seinem Oberschenkel ließ ihn aufkeuchen. Fran hatte nach diesem gegriffen und bohrte ihre Fingernägel so fest hinein, dass er sicherlich Kratzspuren zurückbehalten würde. »Ich will sofort aussteigen!«, zischte sie.

      »Wenn ich hier im Auto verblute, weil sie mir mit Ihren Krallen die Hauptschlagader zerfetzt haben, kann ich Sie aber weder rauslassen noch nach Hause fahren!«, murrte er und verzog das Gesicht schmerzvoll. Was konnte die Frau zupacken! Der Griff an seinem Bein lockerte sich minimal. »Lassen Sie mich raus!«

      »Miss ... Francoise, ich lasse Sie mit Sicherheit nicht in diesem Aufzug durch New Yorks Straßen laufen!«

      »Was soll das denn schon wieder heißen, in diesem Aufzug? Ich bin 29 Jahre alt, und wenn ich sage, dass ich rausgelassen werden möchte, dann möchte ich rausgelassen werden!«, fauchte sie ihn an.

      Konnte das wahr sein? Er hatte noch niemals ein so stures Weibsbild wie Francoise Denver gesehen. Dagegen war sogar Patrick St. Claire in seinen schlimmsten Zeiten erträglicher gewesen! Er blinkte und fuhr bei der nächsten Gelegenheit rechts ran. Hastig nestelte Fran an ihrem Sicherheitsgurt herum, während er seelenruhig einen Knopf an der Fahrertür betätigte, der dafür sorgte, dass sich der Wagen von innen verriegelte. Augenblicklich erstarrte sie.

      »Francoise ...«, setzte er an. »Wo liegt eigentlich Ihr Problem? Ist es so schwierig, einfach mal Hilfe und Freundlichkeit, denn nichts anderes ist es, anzunehmen?« Als von ihr keine Reaktion kam, wandte er den Blick zur Seite und sah sie an. Sie war durch und durch blass geworden, ihre Brust hob und senkte sich hastig, sie atmete viel zu flach und ihre Augen waren weit aufgerissen. Herrje, sie würde doch jetzt nicht anfangen zu hyperventilieren, nur weil er sie nach Hause fahren wollte?

      Er griff mit der Hand nach ihrer, doch in diesem Moment holte sie auch schon aus und fing an, kreischend um sich zu schlagen. Abrupt wich er zurück und hielt seine Hände wie unter vorgehaltener Schusswaffe nach oben. »Alles gut, ich tue Ihnen doch nichts!«, rief er. »Sehen Sie ...«, langsam ließ er einen Arm sinken und wollte den Knopf zum Entriegeln betätigen, doch Francoise hatte bereits begonnen, vollkommen hysterisch mit ihrer Clutch auf ihn einzudreschen.

      Unter den auf ihn einprasselnden Schlägen – so eine kleine Handtasche konnte verdammt wehtun! – gelang es ihm schließlich, die Entriegelung zu lösen, doch das bekam Francoise gar nicht mit, sie drosch einfach weiter auf ihn ein. In dem Moment landete ein gezielter Schlag ihrer Tasche in seinem Gesicht, er konnte die Haut förmlich reißen hören und spürte eine warme Flüssigkeit, welche ihm die Wange herunterlief.

      Gut, was genug war, war genug. Hastig packte er Francoises Handgelenke und umgriff diese fest. »Stop! Ms. Denver, kommen Sie zur Räson! Ich tue Ihnen doch nichts, um Himmels willen!«, rief er.

      Der Anblick des Blutes ließ sie offensichtlich wieder klar werden, denn sie wurde ruhiger und wehrte sich immer weniger gegen seinen Griff. Dann hielt sie schließlich inne und starrte ihn an. »Ich ... oh mein Gott ... Jefferson, es tut mir leid!«, stammelte sie.

      »Kann ich Sie loslassen, ohne dass Sie versuchen, mir den Schädel einzuschlagen?«, fragte er gepresst und lockerte seinen Griff ein wenig. Beklommen nickte Francoise, Tränen liefen ihr übers Gesicht.

      Er löste seine Hände von ihr und zog sich vorsichtig zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen. In ihrer Tasche begann das Smartphone zu klingeln. Sie nestelte fahrig an ihrer Tasche herum, anstatt jedoch das Handy herauszunehmen, zog sie ein Päckchen Taschentücher hervor, welches sie versuchte, zu öffnen.

      »Geben Sie mir die Packung, ich mache das«, er streckte seine Hand aus. »Nehmen Sie das Gespräch an.«

      Zögernd übergab sie ihm die Taschentücher. »Ich ... es tut mir wirklich leid!«, beteuerte sie erneut, ehe sie nach ihrem Telefon griff und den Anruf entgegennahm.

      Bemüht darum, nicht zu lauschen, zerrte Jefferson eines der Tücher aus der Packung und versuchte, die gröbste Sauerei zu beseitigen. Was konnte dieser Frau nur widerfahren sein, dass sie in solche Panikattacken verfiel?

      »Ja, Mr. St. Claire ...«, hörte er sie sagen und ihm wurde heiß. Natürlich, wie konnte es anders sein, als dass der Boss auch seine Assistentin in die Firma bitten würde, damit die Unterlagen geprüft werden konnten? »Nein, Sir ... das brauchen Sie nicht. Ich ... wir ...«, ein tiefes Seufzen entwich ihr. »Ja, Sir ... Nein ... ich werde da sein, Sir. Bis gleich!«

      Er wischte sich ein letztes Mal durchs Gesicht, was allerdings nicht den gewünschten Erfolg brachte, da das Blut bereits anfing, zu trocknen. Er würde sich wohl dem Spott seines Chefs stellen und sich gleich in der Firma reinigen müssen.

      Francoise hatte unterdessen das Handy sinken lassen und ihren Kopf in den Händen vergraben. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, fluchte sie leise.

      »Ms. Denver, soll ich Sie gleich kurz vor dem Gebäude rauslassen, und Sie ...«, er zögerte, weil ihm schon beim Aussprechen seiner Worte klar wurde, wie dämlich die Idee war. »... kommen rein zufällig dort vorbei?«

      Fran schnaufte laut, hob ihren Kopf und starrte ihn an. »Welcher Trottel soll mir das denn glauben? In ... wie sagten Sie noch gleich? ... meinem Aufzug?« Das Lachen, welches ihr nun entwich, klang bitter. »Drehen Sie einfach um, Jeff, und lassen Sie uns Mr. St. Claire einsammeln. Gibt es da nicht diesen Spruch – ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert? Bringen wir es hinter uns.«

      Und was ist mit meinem Ruf?, schoss ihm für einen Moment durch den Kopf, doch er besann sich sogleich eines besseren und ärgerte sich über den Gedanken. »Wie Sie wünschen, Ms. Denver«, entgegnete er daher nur und nickte.

      »Ach und ... Jeff?«, sie knallte ihre Handtasche in den Fußraum des Cadillacs. »Ersparen Sie mir ihr Scheiß Ms. Denver!«

      Zehn Minuten später lenkte er den Wagen in die Tiefgarage des Gebäudes, in dem nicht nur sein Chef, sondern auch er wohnte. Die Fahrt war schweigend verlaufen, Francoise hatte angestrengt aus dem Fenster gestarrt und er beschloss daraufhin, dass er jetzt nicht das ›was ist Ihnen nur widerfahren‹-Gespräch führen würde. Er kannte sie kaum und im Grunde genommen ging es ihn auch überhaupt nichts an – was aber nichts daran änderte, dass ihre Reaktion ihn tief betroffen gemacht hatte.

      Die hintere Tür wurde geöffnet und Patrick St. Claire stieg in den Wagen ein. »Jefferson, das ging schnell, ich danke Ihnen. Ich habe Ms. Denver bereits ...«, ein Blick nach vorn auf den Beifahrersitz ließ Patrick abrupt verstummen. »... im Auto?«, fügte er dann sichtlich verwirrt hinzu. Jeff warf Francoise, die in ihrem Sitz immer kleiner wurde, einen kurzen Blick zu, ehe er sich nach hinten wandte und seinen Chef ansah.

      »Guten Morgen, Sir«, setzte er an. »Ich war gerade auf dem Weg, Ms. Denver nach Hause zu bringen, als mich Ihr Anruf erreichte.« Neben sich hörte er Fran unterdrückt keuchen, während Patricks Augenbrauen sich nach oben zogen.

      »Nach Hause?«

      »Ja, Sir.«

      Mr. St. Claire räusperte sich und blickte zwischen den beiden hin und her. »Nun ja, Jefferson. Das Privatleben meiner Angestellten geht mich nichts an, von daher ...«

      »Es gibt hier kein Privatleben!«, zischte Fran, die in dem Moment offenbar ihre Sprache wiedergefunden hatte. »Ihr Scheiß barmherziger Chauffeur hat nur in seiner Bewerbung an Sie vergessen mit hineinzuschreiben, dass er in seiner Freizeit gern wildfremde Menschen rettet, ob sie es nun wollen, oder nicht.«

      Jeff zuckte zusammen. Autsch, das hatte gesessen. Da war sie wieder, die Francoise, die er in den letzten Monaten erlebt hatte. Bissig, schnippisch und unnahbar. Sein Blick traf den seines Chefs, und für einen Moment schien dessen Miene einen Hauch weicher zu werden. Er nickte ihm fast unmerklich – anerkennend? – zu, ehe er sich in das Polster zurücksinken ließ.

      »Wir fahren zunächst zu Ms. Denver, damit sie sich etwas Bequemeres anziehen kann«, erklärte er dann so gelassen, als sei es für ihn alltäglich, dass seine Assistentin bei seinem Chauffeur im Wagen saß. »Dann geht es weiter zur Thompson Holding, wo wir bis mittags arbeiten werden.