Nikolai Gogol

Abende auf dem Gut Dikanka


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Nase mit der Brille zu besatteln, aber da fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, ein Stück Faden um sie zu wickeln und Wachs drauf zu kleben, und so gab er denn mir das Buch. Ich verstehe mich nun mal leidlich aufs Lesen und brauche keine Brille, und so begann ich denn. Aber ich hatte noch keine zwei Seiten umgewendet, als er mich fest bei der Hand nahm und unterbrach.

      »Halt, sagt mir zuerst, was Ihr da lest?«

      Ich muß gestehen, diese Frage verblüffte mich ein wenig.

      »Wie, Foma Grigorjewitsch? Was ich da lese? Das ist doch Eure Geschichte, es sind Eure eigenen Worte!«

      »Wer hat Euch das erzählt, daß das meine Worte sind?«

      »Was wollt Ihr denn noch mehr? Da steht’s doch gedruckt. Erzählt von dem Küster Soundso.«

      »Spuckt dem Jungen auf den Kopf, der das darauf gedruckt hat! Er lügt, der Saukerl! Das soll ich gesagt haben? Das ist ja fast so, als hätte der Satan einen Sparren! Hört zu, die muß ich Euch selbst erzählen!«

      Wir rückten am Tische zusammen, und er begann.

      Mein Großvater (Gott hab’ ihn selig! Möge er in jener Welt nur Weizenbrot und Mohnkuchen mit Meth zu essen bekommen!) mein Großvater verstand es wunderbar zu erzählen. Wenn der erst einmal damit anfing, so mochte man sich am liebsten den ganzen lieben Tag nicht vom Platze rühren und nur immer zuhören. Und er redete nicht etwa wie einer von den heutigen Faselhänsen; wenn so einer anfängt, sein Garn herunter zu spinnen, und dabei noch mit einem Maul, als hätte er drei Tage lang nichts zu essen gekriegt, dann möchte man am liebsten nach der Mütze greifen und davonlaufen. Ich erinnere mich noch, wie wenn es heute wäre, — meine Mutter selig war noch am Leben, — an die langen Winterabende, wenn draußen heftiges Frostwetter herrschte und das schmale Fensterchen unserer Stube dicht mit Schnee verklebte, wie sie da am Spinnrocken saß, mit der Hand den langen Faden zog, mit dem Fuß die Wiege schaukelte und ein Lied dazu sang, das ich jetzt noch im Ohr habe. Das Lämpchen beleuchtete zitternd und wie im Schreck aufflackernd die Stube. Die Spindel surrte; und wir Kinder hörten alle, zu einem Haufen zusammengedrängt, dem Großvater zu, der vor Alter schon über fünf Jahre nicht mehr hinterm Ofen hervorgekrochen war. Aber keiner der wundersamen Berichte aus den alten Tagen von den Ritten der Saporoger, von den Polen, von den kühnen Taten des Podkowa, des Poltora-Koschucha oder des Sagajdatschny ergriffen uns so stark wie die Berichte über eine alte, sonderbare Begebenheit, bei der einem ein Schauer über den Leib lief und das Haar sich sträubte. Manchmal kam eine solche Angst über einen, daß man abends Gott weiß was für Ungeheuer zu sehen meinte. Hattest du mal nachts die Stube verlassen, um etwas zu besorgen, so glaubtest du sicher, es habe sich ein Fremdling aus jener Welt in dein Bett gelegt, um zu schlafen. Ich will auf der Stelle sterben, wenn ich nicht oft meinen eignen Kittel am Kopfende des Bettes für einen zusammengekauerten Teufel hielt. Aber die Hauptsache an den Erzählungen des Großvaters war, daß er sein Lebtag nie gelogen hat, und wie er’s sagte, genau so war es auch.

      Eine von seinen sonderbaren Geschichten will ich euch jetzt erzählen. Ich weiß wohl, es werden sich schon etliche Klüglinge finden, die Gerichtsschreiber sind oder gar neumodische Schriften lesen, — welche zwar keinen Deut verstehen, wenn man ihnen ein Stundenbuch in die Hand drückt, — aber dafür um so besser die Zähne zu fletschen wissen. Was man denen auch erzählen mag, sie lachen ja doch. Was hat sich doch jetzt für ein Unglaube in der Welt verbreitet! Gott und die unbefleckte Jungfrau mögen mir beistehen — ihr werdet’s vielleicht nicht glauben: als ich einmal von Hexen sprach — da fand sich doch wahrhaftig so ein Springinsfeld, der nicht an Hexen glauben wollte! Gott sei Dank, ich lebe schon viele Jahre; ich habe schon Menschen gesehen, die solche Heiden waren, daß es ihnen leichter wurde, in der Beichte zu lügen, als unsereinem, eine Prise zu nehmen; aber auch die schlugen vor einer Hexe das Kreuz. Wenn denen einmal im Traum ... na, ich will’s gar nicht erst über die Zunge bringen ... was soll man über sowas noch Redens machen.

      Vor vielen vielen Jahren, 's werden wohl sicher über hundert sein, — erzählte mein Großvater selig — war unser Dorf noch etwas ganz anderes als jetzt! Da war’s noch ein Weiler, der allerärmste Weiler! Zehn ungetünchte und ungedeckte Hütten lagen mitten im Felde verstreut, und es gab weder einen Zaun, noch einen anständigen Schuppen, in dem man Vieh oder einen Wagen hätte unterstellen können. Und die, die so lebten, das waren noch die Reichen, was aber erst unsereiner von der Brüderschaft der Habenichtse für ein Leben hatte, das läßt sich kaum beschreiben! Ein Loch in der Erde — das war das ganze Haus! Nur an dem Rauch konnte man merken, daß da ein Menschenkind unseres lieben Herrgotts hauste. Ihr werdet nun fragen, warum lebten die wohl so? Armut allein war’s nicht, denn damals war fast jeder ein freier Kosak und hatte sich in fremden Ländern nicht wenig Reichtümer erbeutet; nein, man sehnte sich gar nicht nach einem richtigen Hause. Was trieben sich damals nicht allerorts für Menschen herum: Leute aus der Krim, Polen, Litauer usw. Oft geschah es auch, daß man von den eigenen Landsleuten geschunden wurde. Ja ja, da kam mancherlei vor.

      In diesem Weiler nun tauchte zuweilen ganz plötzlich ein Mensch oder richtiger gesagt, ein Teufel in Menschengestalt auf. Woher er kam und zu welchem Zwecke — das wußte niemand. Er soff, vergnügte sich, — und auf einmal war er verschwunden, wie wenn er in die Erde gesunken wäre. Dann kam er wieder, wie vom Himmel gefallen, trieb sich auf den Straßen des Dorfes umher, von dem jetzt keine Spur mehr übrig ist, und das vielleicht nicht mehr als hundert Schritte von Dikanka entfernt war, sammelte die ersten besten Kosaken um sich, und dann ging ein Lachen und Singen an: das Geld wurde nur so ausgeschüttet, und der Schnaps rann dahin wie Wasser. Dann ging er zu den Mädchen und schenkte ihnen Bänder, Ohrringe und Perlen — in vollen Haufen! Freilich, so manches Mädel wurde bedenklich bei diesen Geschenken: Weiß Gott, am Ende waren sie in der Tat durch unreine Hände gegangen. Die leibliche Tante meines Großvaters, die damals auf der heutigen Landstraße von Oposchnjani einen Ausschank hatte, in dem Bassawrjuk (so hieß dieser Teufelskerl) oft zechte, pflegte zu sagen, sie würde um keinen Preis in der Welt ein Geschenk von ihm annehmen. Aber wie konnte man wiederum etwas zurückweisen? — Jedem wurde gruselig zumute, wenn er seine borstigen Brauen runzelte und einen finstern Blick auf einen warf, daß man am liebsten ausgerissen wäre; nahm man aber das Geschenk an, so konnte man schon in der nächsten Nacht einen Gast aus dem Moor, einen mit Hörnern auf dem Kopfe, erwarten. Und der würgte einen, wenn man Perlen am Halse trug, biß einen in den Finger, wenn ein Ring darauf steckte, oder riß einer Frau fast den Zopf aus, wenn sie ein Band darein geflochten hatte. Zehn Schritt vom Leibe mit solchen Geschenken! Eine neue Not aber war es, sie los zu werden: Man wirft sie ins Wasser — aber der teuflische Ring oder die Perlen schwimmen oben auf und springen einem wieder in die Hand zurück.

      Im Dorfe stand auch eine Kirche, die, wenn ich mich recht besinne, dem heiligen Pantelej angehörte. Damals nun waltete in ihr ein Priester namens Vater Afanassi, seligen Angedenkens. Als er gewahrte, daß Bassawrjuk sogar am Ostersonntag nicht in die Kirche kam, wollte er ihn ausschelten und ihm eine Kirchenbuße auferlegen; aber sieh da, er kam kaum mit heiler Haut davon. »Hör mal, Herr!« brüllte ihn jener an, »kümmere dich lieber um deine Geschäfte, anstatt dich in fremde zu mischen, wenn du nicht willst, daß dir dein Ziegenhals mit einem heißen Sterbekuchen verkleistert wird!« Was konnte man mit diesem Gottverdammten anfangen? Vater Afanassi erklärte nun jeden, der mit Bassawrjuk verkehren würde, für einen Römling, und für einen Feind der Christenkirche und des ganzen Menschengeschlechts.

      In demselben Dorfe hatte auch ein Kosak namens Korsch einen Arbeiter, den die Leute Peter Heimatlos nannten, vielleicht deshalb, weil er weder seinen Vater noch seine Mutter kannte. Der Kirchenvorstand hatte zwar gesagt, die wären schon in seinem zweiten Lebensjahr an der Pest gestorben; aber die Tante meines Großvaters wollte es nicht wahrhaben und war aus aller Kraft bemüht, ihm Eltern aufzudrängen, obgleich der arme Peter sich gerade so viel um diese Frage kümmerte, wie wir um den vorjährigen Schnee. Sie behauptete, sein Vater befinde sich jetzt noch in der Saporoger Gegend, sei in Gefangenschaft bei den Türken gewesen, habe Gott weiß welche Qualen erdulden müssen, und habe nur durch ein Wunder, als Eunuch verkleidet, Reißaus nehmen können. Die schwarzbrauigen Mädels und die jungen Weibsleute scherten sich wenig um seine Verwandtschaft. Sie äußerten nur, wenn man ihm einen feinen Rock — etwa einen neuen Schupan — anzöge, einen roten Gürtel umlegte, eine neue Mütze aus schwarzem Lammfell