Arthur Schnitzler

Fräulein Else


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müssen, sonst ist alles verloren.‹ Um Gottes willen, was heißt das? – ›Diesmal ist absolut nichts zu machen, wenn das Geld nicht beschafft wird. Und abgesehen davon, dass wir alle ruiniert sind, wird es ein Skandal, wie er noch nicht da war. Denk' dir, ein Anwalt, ein berühmter Anwalt, – der – nein, ich kann es gar nicht niederschreiben. Ich kämpfe immer mit den Tränen. Du weißt ja, Kind, du bist ja klug, wir waren ja schon ein paar Mal in einer ähnlichen Situation und die Familie hat immer herausgeholfen. Zuletzt hat es sich sogar um Hundertzwanzigtausend gehandelt. Aber damals hat der Papa eine Erklärung unterschreiben müssen, dass er niemals wieder an die Verwandten, speziell an den Onkel Bernhard, herantreten wird.‹ – Na weiter, weiter. Was kann denn ich dabei tun? – ›Und da ist nun dein Brief gekommen, mein liebes Kind, wo du unter andern Dorsday erwähnst, der sich auch im Fratazza aufhält, und das ist uns wie ein Schicksalswink erschienen. Du weißt ja, wie oft Dorsday in früheren Jahren zu uns gekommen ist‹ – na, gar so oft war das nicht – ›es ist der reine Zufall, dass er sich seit zwei, drei Jahren seltener blicken lässt; er soll in einer ziemlich festen Beziehung sein – unter uns, nichts sehr Feines.‹ – Warum ›unter uns‹? – ›Im Klub spielt Papa jeden Donnerstag noch immer Karten mit ihm, und im letzten Winter hat er ihm im Prozess gegen einen andern Kunsthändler ein hübsches Stück Geld gerettet. Im übrigen, warum sollst du es nicht wissen, er hat schon früher einmal dem Papa Geld geliehen.‹ – Hab' ich mir gedacht. – ›Es hat sich damals um eine Kleinigkeit gehandelt, achttausend Gulden, – aber schließlich – dreißig bedeuten für Dorsday auch keinen Betrag. Darum hab' ich mir gedacht, ob du uns nicht den Gefallen tun und mit Dorsday reden könntest.‹ – Was? – ›Dich hat er ja immer besonders gern gehabt.‹ – Hab' nichts davon gemerkt. Die Wange hat er mir gestreichelt, als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war. ›Schon ein ganzes Fräulein‹, hat er dabei gesagt. – ›Und da Papa sich seit den Achttausend glücklicherweise nicht mehr an ihn gewendet hat, so wird er ihm diesen Gefallen nicht verweigern. Neulich soll er an einem Rubens, den er nach Amerika verkauft hat, allein Achtzigtausend verdient haben. Das darfst du selbstverständlich nicht erwähnen.‹ – Hältst du mich für eine Gans, Mama? – ›Aber im übrigen kannst du ganz aufrichtig zu ihm reden. Und dass mit den Dreißigtausend tatsächlich das Schlimmste verhindert ist, nicht nur für den Moment, sondern, so Gott will, für immer.‹ – Glaubst du wirklich, Mama? – ›Denn der Prozess Erbesheimer, der glänzend läuft, bringt dem Papa sicher Hunderttausend, aber selbstverständlich kann er gerade zu diesem Zeitpunkt von den Erbesheimers nichts verlangen. Also, ich bitte dich, Kind, sprich mit Dorsday. Ich versichere dir, es ist nichts dabei. Papa hätte ihm ja einfach telegrafieren können, aber es ist doch etwas ganz anderes, Kind, wenn man mit einem Menschen persönlich spricht. Am sechsten um zwölf muss das Geld da sein, Doktor F.‹ – Wer ist Doktor F.? Ach ja, Fiala. – ›ist gnadenlos. Da es sich unglücklicherweise um Mündelgelder handelt‹ – Um Gottes willen! Papa, was hast du getan? – ›kann man nichts machen. Und wenn das Geld am Fünften um zwölf Uhr mittags nicht in Fialas Händen ist, wird der Haftbefehl erlassen. Also Dorsday müsste die Summe telegrafisch durch seine Bank an Doktor F. überweisen lassen. Dann sind wir gerettet. Im andern Fall weiß Gott, was geschieht. – ›Ich gebe den Brief in aller Früh selbst auf die Post, Express, da musst du ihn vormittags am Dritten haben.‹ – Wie hat sich Mama das vorgestellt? Sie kennt sich doch in diesen Dingen nie aus. – ›Also sprich sofort mit Dorsday, ich flehe dich an, und telegrafiere sofort, wie es ausgegangen ist. Vor Tante Emma lass dir um Gottes willen nichts anmerken, es ist ja traurig genug, dass man sich in einem solchen Fall an die eigene Schwester nicht wenden kann, aber da könnte man ja ebenso gut zu einem Stein reden. Mein liebes, liebes Kind, mir tut es ja so leid, dass du in deinen jungen Jahren solche Dinge mitmachen musst. – Nun, hoffen wir, dass uns der Prozess Erbesheimer in jeder Hinsicht wieder bessere Zeiten bringt. Nur diese paar Wochen müssen wir noch überstehen. Es wäre doch schrecklich, wenn wegen der dreißigtausend Gulden ein Unglück geschähe?‹ – Sie meint doch nicht im Ernst, dass Papa sich selber … – ›Nun schließe ich, mein Kind, ich hoffe, du wirst unter allen Umständen‹ – Unter allen Umständen? – ›wenigstens bis Neunten oder Zehnten in San Martino bleiben können. Unseretwegen musst du keineswegs zurück. Grüße die Tante, sei nur weiter nett mit ihr. Also nochmals, sei uns nicht böse, mein liebes, gutes Kind, und sei tausendmal‹ – ja, das weiß ich schon.

      Ich werde dich retten

      Also, ich soll Herrn Dorsday anpumpen … Irrsinnig. Wie stellt sich Mama das vor? Warum hat sich Papa nicht einfach in die Bahn gesetzt und ist hergefahren? – Wär' grad' so schnell gegangen wie der Expressbrief. Aber vielleicht hätten sie ihn auf dem Bahnhof wegen Fluchtverdacht – – Furchtbar, furchtbar! Auch mit den Dreißigtausend wird uns ja nicht geholfen sein. Immer diese Geschichten! Seit sieben Jahren! Nein – länger. Rätselhaft, dass wir uns immer noch halten. Wie man sich an alles gewöhnt! Dabei leben wir eigentlich ganz gut. Mama ist wirklich eine Künstlerin. Das Festessen am letzten Neujahrstag für vierzehn Personen – unbegreiflich. Und der Papa ist dabei immer gut gelaunt.

      Und da halte ich den Brief in der Hand. Der Brief ist ja irrsinnig. Ich soll mit Dorsday sprechen? Zu Tode würde ich mich schämen. – – Schämen, ich mich? Warum? Ich bin ja nicht schuld. – Wenn ich doch mit Tante Emma sprechen würde? Unsinn. Sie hat wahrscheinlich gar nicht so viel Geld zur Verfügung. Der Onkel ist ja ein Geizkragen. Ach Gott, warum habe ich kein Geld? Warum hab' ich mir noch nichts verdient? Warum habe ich nichts gelernt? O, ich habe was gelernt! Wer darf sagen, dass ich nichts gelernt habe? Ich spiele Klavier, ich kann Französisch, Englisch, auch ein bisschen Italienisch, habe kunstgeschichtliche Vorlesungen besucht – Haha! Und wenn ich schon was Gescheiteres gelernt hätte, was würde es mir helfen? Dreißigtausend Gulden hätte ich mir keineswegs erspart. – –

      Das Leben ist traurig. Und ich sitz' da ruhig auf dem Fensterbrett. Und der Papa soll eingesperrt werden. Nein. Nie und nimmer. Es darf nicht sein. Ich werde ihn retten. Ja, Papa, ich werde dich retten. Es ist ja ganz einfach. Ein paar Worte, ganz liebenswürdig, das ist ja mein Fall, – haha, ich werde Herrn Dorsday behandeln, als wenn es eine Ehre für ihn wäre, uns Geld zu leihen. Es ist ja auch eine. – Herr von Dorsday, haben Sie vielleicht einen Moment Zeit für mich? Ich bekomme da eben einen Brief von Mama, sie ist in augenblicklicher Verlegenheit, – vielmehr der Papa – – ›Aber selbstverständlich, mein Fräulein, mit dem größten Vergnügen. Um wieviel handelt es sich denn?‹ – Wenn er mir nur nicht so unsympathisch wäre. Auch die Art, wie er mich ansieht. Nein, Herr Dorsday, ich glaube Ihnen Ihre Eleganz nicht. Was täte der Rudi, wenn der Papa eingesperrt würde? Würde er sich erschießen? Aber Unsinn! Erschießen und all die Sachen gibt's ja gar nicht, die stehn nur in der Zeitung.

      In einer Stunde ist das Essen. Was zieh' ich an? Das Blaue oder das Schwarze? Heut wär vielleicht das Schwarze richtiger. Zu weit ausgeschnitten? Jedenfalls muss ich umwerfend aussehen, wenn ich mit Dorsday rede. Seine Augen werden sich in meinen Ausschnitt bohren. Widerlicher Kerl. Ich hasse ihn. Alle Menschen hasse ich. Muss es gerade Dorsday sein? Gibt es denn wirklich nur diesen Dorsday auf der Welt, der dreißigtausend Gulden hat? Am liebsten möcht' ich tot sein. Ah, wie entsetzlich! – Paul, wenn du mir die Dreißigtausend verschaffst, kannst du von mir haben, was du willst. Das ist ja wie aus einem Roman. Die edle Tochter verkauft sich für den geliebten Vater, und hat am End' noch ein Vergnügen davon. Pfui Teufel! Nein, Paul, auch für dreißigtausend kannst du von mir nichts haben. Niemand. Aber für eine Million? – Für einen Palast? Für eine Perlenkette? Wenn ich einmal heirate, werde ich es wahrscheinlich billiger tun. Ist es denn gar so schlimm? Die Fanny hat sich am Ende auch verkauft. Sie hat mir selber gesagt, dass sie sich vor ihrem Mann graust. Nun, wie wär's, Papa, wenn ich mich heute Abend versteigern würde? Um dich vor dem Zuchthaus zu retten. Sensation –! – Wie weit ist Wien? Wie lange bin ich schon fort? Wie allein bin ich! Ich habe keine Freundin, ich habe auch keinen Freund. Wo sind sie alle? Wen werd' ich heiraten? Wer heiratet die Tochter eines Betrügers? – Eben erhalte ich einen Brief, Herr von Dorsday. – ›Aber es ist doch gar nicht der Rede wert, Fräulein Else, gestern erst habe ich ein Bild von Rembrandt verkauft. Sie machen mich verlegen, Fräulein Else.‹ Und jetzt reißt er ein Blatt aus seinem Scheckbuch und unterschreibt mit seiner goldenen Füllfeder; und morgen früh fahr' ich mit dem Scheck nach Wien. Auf jeden Fall;