Gudrun Neumeier

Die Sigillenmagie


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ohne Ende. Anfang bedeutet hier den Beginn unseres gegenwärtigen Weltenkreislaufs.

      In diesem Anfang war der Begriff. Aus diesem Begriff entstand der Gedanke, der bereits in

      Rotation, ins Kreisen gebrachte Begriff. Das daraus folgende Wort aber bedeutet die Verwirklichung des Begriffs. Eine Gottheit musste, um einen Begriff zu verwirklichen, das gesprochene (oder auch gedachte) Wort anwenden.

      Das Wort, das sich aus Lauten zusammensetzt. Das Tier kennt nur den Laut, den Schrei; der Mensch setzt alle Laute zusammen aus Begriffen, aus den daraus entstehenden Gedanken heraus. So bildet der Mensch als Behälter der Götter, immer wieder neue Worte durch seine Dichter, Denker, Erfinder und Schöpfer. (Allein im Kriege sind über fünftausend neue Worte entstanden, die sich auf neuen, zum Teil durch Assoziationen gebildeten Begriffen gestalteten.)

      Im Anfang war das Wort. Es war das einzig wirklich Bestehende, das in der Welt der Erscheinung Gerufene, das Verwirklichende des Gedankens, des Begriffs. Schon daraus geht hervor, welche monströse Macht das Wort besitzt. Durch Worte, deren Unterlage Begriffe sind, ruft der Mensch Kriege, Not, Elend, Glück, Seligkeit, Kraft und Freude ans Tageslicht, durch Worte werden die Wellen unseres Bewusstwerdens geschaffen, werden zum Sein erhoben. Durch aneinander gereihte Worte wird der Sinn einer Sache klargelegt, wird geschaffen, gestaltet.

      Durch aneinander gereihte Worte werden Vorstellungen im Menschen gebildet, werden neue Begriffe vermittelt, werden Schicksale gestaltet, die den Menschen zu Tränen zu rühren, ihn zur äußersten Wut zu reizen vermögen. Unser ganzes Tun und Treiben im Leben, in der Kunst, in der Philosophie und im Handel: Alles wird gestaltet aus dem Wort, dem Gedanken, dem Begriff.

      Das Wort ist der größte Schöpfer und Gestalter. Denn das Wort des Anfangs ist bei den Göttern. Genau übersetzt: Das Wort des Anfangs ist in den Göttern. Und die Götter sind das Wort. Dieser Ausspruch sagt alles. Das

      Wort ist in den Göttern. Da der Mensch aber Benutzer und Anwender des Wortes ist, so ist dieses Wort in ihm selbst gleichzeitig auch der göttliche Ursprung in ihm selbst. Götter sind das Wort. Das heißt, dass die Möglichkeit einen Begriff durch das Wort (oder auch Worte) auszudrücken und zu verwirklichen nur derjenige hat bzw. besitzt, der Gott/Göttin ist. In seinem innersten Wesen ist der Mensch Gott/Göttin. Denn in ihm liegt der Begriff, der Gedanke, das Wort.

      Im Menschen ist das Wort, im Menschen ist Göttlichkeit

      Des Menschen tiefinnerstes Wesen ist dasjenige, was den Begriff in ihm bilden kann. Des Menschen Wesenskern ist das Licht, das ihm den Begriff

      des Bewusstseins gibt. Dieses Wort im Menschen, dieses innerste Heilige im Menschen ist es, dass ihm bezeugt, dass er ist, dass er da ist, dass er sich seiner selbst bewusst wird. Dass er sprechen kann, den Begriff im Worte kleiden kann:

       Ich Bin!

      Der Zeuge des Seins im Menschen ist das Wort, ist der Gott/Göttin selbst.

      Denn die Götter sind das Wort!

      Denn die Möglichkeit der Begriffbildung durch das Wort ist der Gott/die Göttin!

      Durch das Wort werden die Gedanken in Bewegung gesetzt, durch das Wort werden Energien frei, kreisen Verwirklichungen. Durch das Wort ist der

      Mensch, der Gott/die Göttin in ihm, die Ursache seiner selbst! Das Wort ist im Anfang in den Göttern! Denn es ist der Verursacher und die Ursache alles dessen, was ist.

      Das Wort ist Göttlich, das Unvergängliche, das Licht, das unser Sein hell beleuchtet, das Bewusstwerden erzeugt, dass wir seiner innewerden. Alle Dinge sind durch das Wort, durch die Götter im Menschen gemacht. Diese ganze Schöpfung, wie sie sich unseren Augen darbietet, ist ein Werk des Wortes in uns, in den Göttern. Ohne das Wort wird zunichte, was (etwa) gemacht wäre. Das ist die Bedeutung des Spruchs:

      „Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist".

      Ohne das Wort, das die Götter in uns sind, würde das vergehen, was nicht in Ihm und durch sie geschaffen worden wäre. Darum wird alles vergehen, was durch den Missbrauch des Wortes, der Gewalt des Wortes in die Welt gesetzt worden ist. Und das ist alles, was Missbrauch der Natur bedeutet, das künstliche Gebilde verstandesmäßig erschafft hat, ohne es durch das innerste Gottwort in das Sein des Unvergänglichen zu rufen.

      Das Wort ist Leben, ist Licht in uns. Denn — wie schon erwähnt — es ist der Zeuge der Wahrheit in uns, es ist der Zeuge, der uns bezeugt, dass wir leben, dass wir sind. Es ist das Licht in uns, die Götter in uns.

      Es ist das „Licht der Menschen". Dieses Licht, dieser Zeuge des ewigen unvergänglichen

      Lebens in uns scheint in die Finsternis des Noch-nicht-Begriffenen. Und die Finsternis des Noch-nicht-Begriffenen hat es nicht begriffen. Das will sagen, dass der Mensch empfänglich ist für Millionen und Abermillionen göttlicher Begriffe, dass die Götter im Menschen in die dunkelsten Geheimnisse des Verstandes-Ichs leuchtet vermittels des Wortes, des innersten

      Zeugen des Lichts in uns, der Götter in uns. Das Bewusstsein und der Verstand sollen der Herrlichkeit im Menschen innewerden, die ihm allein das Wort, das die Götter sind, vermitteln.

      Denn die Götter, das schöpferische Wort, die Fähigkeit des Ausdrucks des Wortes, hat sich herabgesenkt ins Fleisch, in diese Welt der Erscheinung, der Schöpfung. Das Wort aber, das Die Götter allein und allein sind, ist ein ganz bestimmtes Wort, das in jedem Menschen schwingen, das für jeden Menschen verschieden sein kann, das aber jeder Mensch für sich auszusprechen vermag:

      Das Wort, der Namen der Götter in ihm selbst. Die Götter offenbaren sich im Menschen durch das Wort, den Gedanken, den Begriff. Tun sie es so, dass der Mensch ganz vor Göttlichkeit erfüllt ist, dass jede Faser seines Seins in Ihm, in Göttlichkeit vibriert, dann offenbart sich das Götter-Wort im Menschen, dann wird dem Menschen der Name des Gottes/der Göttin in ihm selbst klar, dann sind Gott/Göttin und der Mensch ein Eines, der Zeuge in ihm ist zum Schöpfer seiner selbst geworden. Ein solcher Mensch vernimmt mit feinem Ohr alle Töne, Laute und Begriffe der Schöpfung, ein solcher Mensch ist Eines mit den Göttern, es besteht dann ein Unterschied zwischen Ihm und seinem kleinen Ich nicht mehr. Ist der Mensch soweit in seinem Inneren durch Übung und Kraftaufspeicherung gelangt, dass er dieses Göttliche Wort in sich offenbaren kann, dass der Gott/die Göttin ihn füllt und ganz einnimmt, dann sagen wir, dass dieser Mensch ein Gott/eine Göttin ist, dass er einen Namen über alle Namen erhalten hat, dass er fleischgewordene Göttlichkeit ist geworden. Es entsteht nun für den Leser die Frage:

      Wie erlange ich die Fähigkeit, diesem Worte der Götter, dieser unumstößlichen Wahrheit in mir selbst Ausdruck zu geben? Wie finde ich das für mich geeignete Wort in mir? Den Namen eines Göttes/einer Göttin in meinem Selbst? Denn, lieber Leser, lass es mich zum Ausdruck bringen:

      Wenn du dieses Wort, das deiner innersten Wesensart entspricht und deinen Wesenskern freilegt, so dass auch du zum personifizierten Wort der Götter werden kannst, findest, dann hast du dadurch Gewalt und Macht über viele Dinge und über die Natur vor allem deiner eigenen Seele. Und damit ist verbunden das Erlangen großer Kräfte und Zustände, die dir das Unbegreifliche erfassbar nahe rücken und die dich selbst auf eine hohe Stufe der Erkenntnis stellen. Und damit gelangen wir auf das Gebiet der grundsätzlichen Erörterung der Wortmagie oder des Magischen Wortes.

      Es entsteht zunächst für den Leser die Frage:

      Was ist ein magisches Wort?

      Unter einem magischen Wort versteht man ein einziges Wort, das geeignet ist, im eigenen Bewusstsein gewisse Bindungen an Gewohnheiten und anerzogenen Ansichten zu lösen, sie zu lockern und das Bewusstsein freizumachen zum Empfang anderer