schien, ist das alte Elend nicht anzuschauen. Es
ist anders umrahmt! Im Palastgeschmack! Die Säle und
Zimmer, in denen die alte Beschäftigung wieder
aufgenommen werden soll, sind mit so viel feinem Prunk
umgeben, daß die »guten« Menschen doch mit großer
Freude ins alte Fahrwasser hineinspringen, wenn's auch
so unappetitlich ist wie schmutzige Wäsche.
Ja! Ja! Das alte Leben!
Der eine muß wieder seine kranke Frau pflegen, die
ohn' Unterlaß stöhnt und klagt; er beginnt den Tanz der
Qual mit kalter Ruhe wieder von vorn, wie schon so oft –
wirklich ein guter Mensch! Ein andrer guter Mensch
fängt wieder an, große Gesellschaften zu besuchen, und
klagt dabei wieder über seine nie zu stillende Sehnsucht
nach der ewigen Einsamkeit – genau wie einst. Ein
Dritter ist wieder mit seinem Ruhme nicht zufrieden; er
will immer anders berühmt werden, was ihm natürlich
nicht gelingt, da er selber nicht weiß, wie er's haben
möchte. Ein Vierter bekämpft mit altem Mute seine
riesige Sinnlichkeit und wird zum ächten
Asketenhäuptling, läßt wieder seine eiserne Willenskraft
bewundern, obgleich er sich in jeder stillen Stunde
auslachen muß, da ja alle seine Kraft nur eine
naturgemäße Folge von Ausschweifung und Ekel ist. Ein
Fünfter hofft immer einen Sack mit Gold zu finden –
und was findet er? Einen Sack mit giftigen Witzen!! Ein
Sechster muß stets vergeblich »Geld« besorgen – d.h. es
gelingt ihm nie!! Und ein Siebenter muß zu Allem »Ja«
und »Amen« sagen, was ihm von je so schwer fiel. Und
die Millionen Andern arbeiten und regieren, befehlen und
gehorchen – auch genau so wie einst. Die Maschinen
rasseln wieder, und die Denkerköpfe rauchen wieder, die
Kartoffelfelder tragen wieder ihre mehligen Früchte, die
Säufer saufen ganz im alten Stile weiter, und die
Verbrecher brechen wieder bei den Leuten, die was
haben, ein.
Alles ist wie einst! – Es spielt sich bloß schön
umrahmt in herrlichen Palästen und Domen ab, die so
groß sind, daß man gar nicht durchsehen kann. Sonst ist
kein Unterschied.
Die guten Menschen sind natürlich mit Allem
zufrieden – aber die bösen Menschen sind natürlich mit
nichts zufrieden – ihnen genügt nicht die Alles belebende
Sonne der Baukunst – sie wollen Abendbrot mit Austern
und starkem Getränk – ununterbrochenes Vergnügen mit
Tingeltangel und Schlittenfahrt.
Die guten Engel wollen die bösen Menschen
besänftigen und trösten, sagen freundlich: »Kinder, Ihr
wißt gar nicht, was Euch frommt! Leid und Freud sind in
jedem Menschenleben ganz gleichmäßig verteilt. Diese ist
ohne jenes gar nicht denkbar. Seid vernünftig! Alle
Wünsche sind nicht erfüllbar. Ist es nicht genug, daß wir
Euch eine angenehme Umgebung geschaffen haben? Ihr
wollt bloß immer vergnügt sein – und das geht doch
nicht.«
»Warum nicht?« schreien die Bösen.
»Weil's Euch langweilen würde!« antworten die Engel,
und sie gähnen, während sie an ein ›ewiges‹ Glück
denken.
Die Bösen aber lachen – so häßlich, daß die guten
Engel ernstlich böse werden.
»Man sollte Euch eigentlich,« fahren sie in schärferem
Tone fort, »piesacken – mit feurigen Zangen. Die
Dummheit muß mit Feuer und Schwert ausgerottet
werden. Ihr werdet's niemals verstehen, daß anständig
›wohnen‹ besser ist als anständig ›leben‹. Wie die Pflanzen
der Erde hauptsächlich nur von Licht und Luft lebten, so
sollt Ihr jetzt auch hauptsächlich von dem leben, was
Euch umgibt – von dem Licht und von der Luft der
göttlichen Baukunst, die die ›wahre‹ Kunst ist. Ist es Euch
tatsächlich nicht genug, in diesen himmlischen
Strahlburgen leben zu können? Wißt Ihr immer noch
nicht, was es heißt: in einer Traumwelt daheim zu sein?
Das ist doch die prickelnde Auster der Armut! Was sind
dagegen alle Kaninchen des Reichtums? Eine große
Quarkerei – nicht mehr! Euer Leben soll nur ein Akkord
in der Sphärenmusik des Alls sein – Euer Schmerzenslaut
ist also nicht zu entbehren – sonst wird ja die
Sphärenmusik so weichlich wie Milchreis! Ihr
unglaublichen Nilpferde!«
Die Bösen schütteln sich vor Lachen und halten sich
den Bauch. Die Engel bleiben aber ganz ernst, sie sagen
noch traurig: »Ihr kommt ja sämtlich nicht zu kurz! Die
Qualen des Bettlers werden gleich mit Freuden belohnt,
von denen die armen Könige nichts wissen. Und zu
alledem kommt noch diese prunkvolle Traumwelt Eurer
Wunderpaläste.«
»Die macht uns grade erst recht begehrlich! Wir
wollen keinen Selbstbetrug!«
Also schreien wild durcheinander die dummen
Bösewichter, die immer vergnügt und selig sein wollen.
»Na, wenn Euch der Selbstbetrug nicht paßt,«
donnern die Engel los, »so könnt Ihr ja wieder in Eure
Gräber zurück. Eure kannibalische Dummheit soll uns
das neue Leben, das wir Euch in dieser Glanzwelt
darboten, nicht verleiden!«
Und es treten die hellgrünen Engel mit dunkelgrünen
Tannenzweigen hervor, und mit den dunkelgrünen
Tannenzweigen berühren sie alle Unzufriedenen.
Und die Berührten fallen um und sind tot.
Rasch werden sie hinausgetragen und wieder im
Schnee verscharrt.
Jede Spur der Bösen ist bald verweht.
Die guten Menschen aber, die schon dankbar sind,
wenn sie bloß in einer glanzseligen Traumwelt leben
können, nehmen die Qualen des alten Lebens ruhig über