Robin Carminis

Lebenspfand


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sank er in sein Sitzmöbel zurück und schwieg. Die anderen Vorstandsmitglieder schienen geradezu in sich zusammenzusacken. Allein der CEO bewahrte Haltung.

      »Was schlagen Sie vor, Mr. Sato?«

      »Wir müssen zunächst Gewissheit erlangen. Gewissheit über die Auswirkungen seines Verbleibs. Dazu wird es einige Tage an Computeranalysen bedürfen.«

      Sato durchforschte seit Stunden die Logs der vergangenen Jahrzehnte. Bisher ohne jeden Erfolg. Sie brachten keine neuen Erkenntnisse über den Verbleib von Historyscout Nr. 12.

      Er faltete die Hände hinter dem Kopf und drückte die Lehne seines Schreibtischstuhls zurück. Unfassbar, wo waren nur die Hinweise? Vor- und zurückwippend schweifte sein Blick durch den Raum. Als erwarte er, dass hinter der Yuccapalme oder dem Gemälde an der gegenüberliegenden Wand auf magische Weise plötzlich eine Information zu Tage treten würde.

      Beim Anblick des Bildes, im schlichten Holzrahmen, wurde er melancholisch. Die Firma bot jedem Mitarbeiter bei Einstellung an, sich ein Kunstwerk, aus der internen Haussammlung, fürs Büro auszusuchen. Sato hatte sich damals für das Original des berühmten Künstlers Paul Eckstein entschieden. Der Maler war zu Lebzeiten gefeiertes Mitglied des Club500 gewesen, einer Gesellschaft der besten Maler aller Zeiten. Als er vor fünf Jahren, bei einem Unfall, im Alter von dreiunddreißig, verstorben war, stiegen die Preise seiner Werke in astronomische Höhen. Das Gemälde hatte ihm auf Anhieb gefallen. Der kräftige Strich, die krassen Farben - neonmäßig. Die Landschaft auf dem Bild stellte einen Bachlauf im ehemaligen Nationalpark Yosemite Valley in Kalifornien dar.

      Wie gerne hätte Sato dieses Tal ein einziges Mal mit eigenen Augen gesehen. Sein Großvater, der seinerzeit nach Amerika ausgewandert war, hatte ihm stets von diesem malerischen Naturwunder vorgeschwärmt. Bedauerlicherweise war der Park vor über fünfzig Jahren, bei einem verheerenden Jahrtausendbrand, fast vollständig zerstört worden. Was Sato blieb, war das abstrakte Kunstwerk, um seine Sehnsucht nach unberührter Natur zu stillen. Und das auch nur, solange er Mitarbeiter der Firma blieb, denn leider war man bei Kündigung gezwungen, die großzügigen Leihgaben wieder abzugeben. Die Firma - der Gedanke brachte ihn zurück zu seinem ursprünglichen Problem.

      »Das kostet mich den Job«, dachte er verzweifelt und erinnerte sich an seine Ausführungen vor dem Board-of-Directors. Mit den Fingern strubbelte er sich durch die Haare und massierte seine Kopfhaut. Hinter ihm kicherte eine helle Stimme.

      »Versuchst du durch die statische Aufladung einen Geistesblitz zu erzeugen?«, unkte es aus Richtung Tür.

      »Sehr witzig, mir ist jetzt wirklich nicht nach Scherzen zumute!« Haruki Sato drehte sich herum und sah die junge Frau im Türrahmen finster an. Doch diese stolzierte, unbeeindruckt von seiner missmutigen Laune, mit übertriebenem Hüftschwung heran und ließ sich lasziv auf seinen Schoß gleiten.

      »Samantha, bitte! Als ob ich nicht schon genug Schwierigkeiten hätte. Hast du es noch nicht gehört?«

      »Självfallet, mein Schatz, selbstverständlich. Deshalb bin ich ja hier! Ich wollte sehen, wie es dir geht.«

      Sie schlang ihre Arme um den Hals des Japaners und schmiegte sich an ihn.

      »Ich komme einfach nicht weiter. Die Logs geben, verdammt nochmal, keinen Aufschluss darüber, was passiert ist. Und immer wieder kriege ich diese Warnmeldung ›Mittlere keplerische Anomalie‹. Es ist zum Mäusemelken.«

      Samantha strich ihm beruhigend über den Rücken.

      »Hey, gemeinsam finden wir es heraus. Wozu hast du eine Freundin, die im Historymonitoring arbeitet?« Sie erhob sich und lief zu den Holowänden herüber. Ihre Hände flogen über die Displays, schoben Grafiken zur Seite, oder vergrößerten Ausschnitte von Tabellen.

      »Hast du es schon mit dem neuen Big-Data-Tool versucht?«

      »Ja klar, und ich habe alle Datenquellen angezapft. Ich kriege keine Übereinstimmungen. Als wäre der Typ spurlos verschwunden, atomisiert oder hätte sich verwandelt.«

      »Halt, verwandelt ist ein super Stichwort. Hast du an den Velamentum Filter gedacht? Ich meine die Maskierungsprozedur.«

      »Oh Mann, warum bin ich da nicht früher draufgekommen? Brillant Samantha! Computer, weite den Algorithmus für das Attribut ›Namen‹ auf alle obligatorischen Sprachstämme inklusive Akronyme aus, und kalibriere die Gesichtserkennungsmuster nach Norm 17A2.«

      »Bestätigt«, gab der Computer freundlich zurück.

      »Spezifikationsprüfung abgeschlossen… Suche initiiert.«

      Mit angehaltenem Atem starrten die beiden auf den Bildschirm. Sekündlich erschien ein weiterer Punkt auf dem raumfüllenden Holo, der den Fortschritt der angewandten Suche erahnen ließ. Die Zeit schien dahinzukriechen, bis der Computer endlich das erlösende ›Suche beendet‹ ausspuckte. Ein einziger Eintrag war auf dem hellgrauen Hintergrund zu lesen.

       1976 - Professor Dr. Thomas Wayfarer - Der texanische Unabhängigkeitskrieg - erschienen im Harper & Row Verlag.

      Neben der Textzeile war das Foto eines älteren Mannes mit schulterlangem Haar und grauen Koteletten zu sehen. Sato riss die Augen auf und schnappte nach Luft.

      »Das ist er«, brachte Samantha stammelnd hervor.

      »Das ist Tomás Batedor, unser Historyscout Nr. 12.«

      Kapitel 3 - 2015

      

      Die Zimmertür schwang auf und eine beleibte Schwester mit strengem Dutt trat ein. Sie erblickte Gerry und stutzte kurz.

      »Da sind wir ja endlich wach. Schön! Wie geht es Ihnen?« Ohne eine Antwort der offensichtlich rhetorisch gemeinten Frage abzuwarten, machte sie auf dem Absatz kehrt und fuhr im Gehen fort: »Ich rufe den Doktor.«

      Direkt im Anschluss stürmten zwei Schwestern das Zimmer und überprüften, stillschweigend und routiniert, die Geräte und Schläuche. Kurze Zeit später betrat ein Mann, im weißen Kittel und mit ernster Miene, den Raum.

      »Guten Morgen, Mr. Jester«, nickte dieser Gerry im Vorbeigehen zu und marschierte, ohne ihn weiter zu beachten, zum Fenster. Er öffnete beide Flügel weit und ließ eisige, trockene Luft hereinströmen.

      Einige Sekunden herrschte Stille. Einzig das penetrante Piepsen des Vitalmonitors war zu hören. Aus dem Augenwinkel

       beobachtete Gerry den Mann, der regungslos am offenen Fenster stand und die Winterluft zu genießen schien. Am unteren Ende des Kittels, den er trug, lugte eine ausgefranste Jeans hervor und stippte auf blankpolierte, schwarze Schuhe mit Lochmuster.

      »Wir haben uns ja schon kennengelernt«, sprach der Arzt Gerry unvermittelt an, ohne seinen Blick von den ersten Schneeflocken des Jahres abzuwenden. Gerry zuckte zusammen.

      »Also, ich Sie zumindest«, grinste der Mediziner breit, während er sich zu seinem Patienten umdrehte. Einen Schritt und er war am Fußende des Krankenbettes angelangt. Gerry schielte gequält zum Gesicht des Arztes hoch, welches sich von seiner Perspektive aus gesehen, in beachtlicher Höhe befand.

      »Ich bin Dr. Spellman, leitender Internist hier im Arlington Memorial. An was aus den vergangenen zwei Tagen können Sie sich noch erinnern?« Verweigernd drehte Gerry seinen Kopf zur Seite. Weg von der, um den Infusionsschlauch bemühten Krankenschwester und weg von Dr. Spellman. Ungerührt sprach dieser weiter.

      »Bevor ich umfassendere medizinische Schritte einleite, möchte ich gerne mit Ihnen über den…«, er machte eine Kunstpause, »…Unfall reden.« Mit diesen Worten zog er einen Stuhl ans Bettende und setzte sich. Ein kurzes Nicken in Richtung der Krankenschwestern genügte und diese verließen den Raum. Der Durchzug, der beim Schließen der Tür hereinwehte, trug den Geruch von Desinfektionsmittel und schlecht gelüfteten Gängen herein. Gerry schluckte gegen ein aufsteigendes Gefühl von Brechreiz. Er vermied es weiterhin, den Arzt direkt anzusehen.

      »Ich