Dirk Bodenstein

Polizeibeamte sind auch nur Menschen, oder?


Скачать книгу

ausfallen und was der Vorteil einer Chefarztbehandlung und eines Einzelzimmers im Krankenhaus sein konnte. Die Herren von den Versicherungen wechselten sich mit den Vertretern der verschiedenen Berufsverbände ab, ob Beamtenbund, Gewerkschaft der Polizei oder Bund Deutscher Kriminalbeamter. Da die wenigstens von uns von irgendwas eine Ahnung hatten, gingen sie den Weg des geringsten Widerstandes: Sie schlossen beim ersten Vertreter alles ab, was es gab und hatten den Vorteil, ab da den Anderen nicht mehr zuhören zu müssen.

      Was ich gleich zu Beginn der Ausbildung als nettes Schmankerl empfand, war der Umstand, dass unsere Ausbildungsgruppe zu gleichen Teilen aus Jungs und Mädels bestand. Das versprach viele Möglichkeiten der Art von Kontaktpflege, der Jungs in diesem Alter nicht abgeneigt sind. Erst viel, viel später erfuhr ich, dass das kein Zufall war.

      Einer unserer Fachlehrer, ein offensichtlicher Vertreter der Meinung, dass Frauen bei der Polizei nichts zu suchen hätten, machte seinem Frust einmal Luft. Man habe diese Zusammensetzung zu gleichen Teilen gewählt, aber nur deshalb, weil man bei Einstellung der besten Fünfzig des Auswahlverfahrens nach den Testergebnissen eigentlich nur einen eingeschlechtlichen Lehrgang gehabt hätte - ausschließlich Frauen!

      Das sei natürlich absoluter Quatsch, denn Frauen hätten nur deshalb die besseren Noten im Abi und bessere Testergebnisse, weil sie besser auswendig lernen, sich intensiver vorbereiten, einfach strebsamer und konzentrierter auf ein Ziel hin arbeiten und grundsätzlich fleißiger seien. Das sei natürlich alles Blödsinn, im Hinblick darauf, wer den besseren Kriminalbeamten abgäbe, denn sowas läge einem im Blut und man könne es gar nicht testen.

      Soviel zu der Aussage ‚Creme de la Creme‘ und ‚Sie sind die Besten‘. Viele unserer Jungs haben sich von diesem Niederschlag nie erholt und hegen seit diesem Tag die gleichen unsinnigen Vorbehalte gegen Frauen in unserem Beruf.

      Männer sind da eben etwas einfacher gestrickt und setzen ihre Prioritäten einfach anders.

      Ein gutes Beispiel dazu war unsere Kleiderordnung. Wir empfanden uns als auf der Schulbank sitzend, was lag also näher, dass die meisten sich auf wie in der Schule kleideten. Das bedeutete zu dieser Zeit schon Jeans, Turnschuhe und T-Shirt.

      Bis zu dem Tag, als unser Lehrgangsleiter die Fraktion der leger Gekleideten zu sich in sein Büro einbestellte und ihnen unmissverständlich klarmachte, dass ‚Unterhemden‘ als Oberbekleidung nicht geduldet würden. Dies sei dem Ansehen des Berufs abträglich und würde bei den Bürgern den Eindruck erwecken, das BKA bestände aus Hippies und Drogenabhängigen.

      Ich war verblüfft, geschockt und dachte sofort darüber nach, welche Art von Garderobe angebracht sei.

      Einer meiner Mitschüler war da wesentlich schlagfertiger. Mit einem vernehmlichen »Pah ... Woll´n se´n Dressman oder´n Killer?«, machte er seine Einstellung zu dem Beruf überdeutlich.

      Ich wollte eigentlich kein Killer sein, also entschied ich mich für den Dressman. Fortan war ich in der Regel schicker gekleidet als unsere Dozenten. Während sie in Cordhosen, gemustertem Jackett und dazu nicht immer passender Krawatte erschienen, trug ich dann eher einen dreiteiligen Anzug, rauchte Zigaretten mit einer schicken Zigarettenspitze und hatte schnell einen gewissen Ruf:

      Egal was er macht, er übertreibt alles immer gleich maßlos!

      Apropos Killer: Die gleich zu Beginn unserer Ausbildung startende Einweisung in die Nutzung einer Schusswaffe - also, die hatte schon was. Zu dieser Zeit nutzte die Polizei noch die Walther PPK (Fa. Walther, Polizeipistole klein). Wir waren stolz, die gleiche Waffe wie James Bond benutzen zu dürfen. Sie war wirklich klein, leicht zu verstecken, von geringem Kaliber und heutzutage würde jeder anständige Polizist sich weigern, mit einer »Kinderpistole« ausgestattet zu werden, deren Effektivität zumindest zweifelhaft ist. Aber das war zu dieser Zeit der Standard bei der Kripo und schließlich waren wir ja auch noch irgendwie Kinder. Und was von James Bond (damals noch Sean Connery) in einem coolen Schulterholster getragen wurde, kann ja nicht wirklich schlecht sein. Punkt.

      Die Tücken der Schießausbildung zeigten sich recht schnell in der Schießhalle, wo unsere Damen ihren oft ersten Kontakt mit einer Waffe hatten. Ich dagegen hatte zumindest im elterlichen Keller schon Erfahrungen mit dem Luftgewehr gesammelt.

      Nachdem die erste Kollegin bei Abgabe des ersten Schusses die Waffe mit einem Aufschrei einfach hatte fallen lassen und die zweite Kollegin sich bei einer Ladehemmung zu allen, die hinter ihr standen, umdrehte und mit der Waffe auf sie zeigte, wurden Konsequenzen gezogen. Die Damen bekamen ab sofort Einzelunterricht, bis der Schießausbilder der Meinung war, dass das Risiko für die Herren auf ein erträgliches Maß reduziert sei.

      Zur Ehrenrettung aller Kolleginnen möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass sowohl statistisch, als auch nach meinen eigenen Erfahrungen, die weitaus meisten Unfälle mit Schusswaffen den Herren der Schöpfung passieren. Der Grund dafür ist sehr wahrscheinlich, dass Frauen in der Regel nicht das gleiche Interesse wie Männer an Western, Scharfschützenabenteuer und Shootouts wie in High-Noon verspüren. Die Beispiele dazu kommen erst einige Jahre (für den Leser allerdings nur einige Seiten) später.

      Nach einem dreimonatigen sogenannten »Einführungslehrgang« wurden wir auf die Menschheit losgelassen. Die Bezeichnung Einführungslehrgang bezog sich übrigens auf die Einführung in den Beruf des Polizisten, obwohl doch eine ziemlich große Zahl von uns die Bezeichnung eher wörtlich nahm und ihren Trieben freien Lauf ließen. Das ist allerdings nichts unbedingt Polizeitypisches und bedarf deshalb keiner näheren Ausführung.

      Die Ausbildung sah vor, dass wir nach Beendigung des »Einführungslehrganges« für ein Jahr in eine deutsche Kleinstadt und danach für neun Monate in eine Großstadt jeweils zur dortigen Kripo gingen, um das Gelernte in die Tat umzusetzen - dabei meine ich natürlich das, was wir über die polizeiliche Arbeit gelernt hatten. Der Ort musste aus nachvollziehbaren Gründen eine nicht unerhebliche Anzahl von Kilometern von unserer jeweiligen Heimat entfernt sein, damit wir nicht in die missliche Lage kämen, gegen ehemalige Schulkameraden oder gar Familienmitglieder zu ermitteln. Wir wurden über die ganze Republik verstreut und ich ging auf eigenen Wunsch in eine Stadt mit 40.000 Einwohnern im Schwarzwald.

      Das Tolle daran war: ich war zum ersten Mal weg von zu Hause, meinen Eltern und meinen Geschwistern, ich kannte dort niemanden, hatte erstmals ein möbliertes Zimmer und konnte prinzipiell machen, was ich wollte - zumindest nach Dienstschluss.

      Das Schlimme daran war: genau das oben beschriebene.

      Ich denke, ich war kein Einzelfall und es ging den meisten meiner Lehrgangskolleginnen und -kollegen ähnlich wie mir.

      Auf der kleinen Dienststelle mit gerade mal acht Kriminalbeamten, einer Schreib- und einer Bürokraft, wurde mir ein sogenannter Bärenführer zugeteilt: ein erfahrener Kollege, seines Zeichens ein Kriminalhauptmeister, der dem Jungspund beibringen sollte, wo’s langgeht und gleichzeitig auch ein wenig auf ihn aufpassen musste.

      Mein Glück und Pech war, dass meiner ein richtig bäriger, abgebrühter, lebenserfahrener Führer war, der den ersten Teil seines Auftrages mit Hingabe und Einsatz erfüllte. Er zeigte mir wirklich, wo’s langging im Leben. Mit dem zweiten Teil seines Auftrages nahm er es nicht so genau, was beinahe zu meinem vorzeitigen Karriereende geführt hätte.

      Er hatte sehr schnell gemerkt, dass ich nichts, aber auch garnichts vom echten Leben wusste. Ich hatte noch nie Drogen genommen, trank noch nicht mal Alkohol, war noch niemals im Puff gewesen und sprach Fremde, selbst wenn es Straftäter waren, immer mit »Sie« und einem höflichen »Herr« an.

      Das mit den Drogen hatten wir schnell vom Tisch. Er war der Meinung, dass ich mitreden können musste, wenn ich bei Drogenrazzien mitmachen und mit Drogenkonsumenten reden wollte. Ich rede jetzt allerdings nicht von harten Drogen wie Heroin oder Kokain, sondern von den Medikamenten, die sich manche unserer Kunden so reinpfiffen. Aus dem unerschöpflichen Fundus der sichergestellten Pillen und Mittelchen holte er ein Aufputschmittel, wie es Studenten vor Prüfungen gelegentlich einnahmen, umgangssprachlich »Speed« genannt. Heldenhaft nahm ich eine Tablette und war angenehm überrascht, wie wenig spektakulär sich das Ganze in den ersten Minuten anging.

      Allerdings bemerkte ich nach etwa einer viertel Stunde, dass ich nicht