Klaus Bodenstein

Zen und die Kunst des Bügelns


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      Charlotte senkte den Kopf und dachte nach. Benjamins Blick fiel auf ihren strammen Pullover. Er spürte, wie sein Verlangen sich meldete, und dränge es beiseite. Er musste sich konzentrieren.

      »Das Problem ist, dass wir zu viele sind«, fuhr er fort. »Viel zu viele Menschen. Es kann durchaus sein, dass wir das mit neuer Technologie hinkriegen, den sparsamen Umgang mit Ressourcen, den Rückbau der Zivilisation zugunsten der Natur. Wenn wir noch fünfzig bis hundert Jahre dafür hätten. Wir könnten uns das leisten, hier bei uns. Deutschland ist ein reiches Land. Aber es drängen Milliarden nach, vor allem aus armen Ländern. Dort ist das Leben härter, es gibt Kriege und Katastrophen, die Ressourcen dort sind bereits erschöpft. Wir brauchen jetzt schon zwei, drei Erden, wenn wir so weitermachen wie bisher. Das macht mich nachdenklich. Pessimistisch.«

      Benjamin senkte den Kopf. Es war ihm peinlich, sein Inneres so nach außen zu kehren. So gut kannte er Charlie nicht.

      »Wenn wir nicht so viel wollen würden, ohne all diese Ansprüche, mit einer bescheideneren Menschheit – dann könnten wir alle gut überleben, auch die Natur, die wir so rücksichtslos zerstören. Nicht du und ich persönlich, wir alle zusammen.«

      Charlotte sah ihn kritisch an. Er hatte sie noch nicht überzeugt. Er sah ihren Blick und sprach weiter.

      »Weißt du, in der Evolution waren wir oft die Benachteiligten. Ein schwaches und langsames Tier mit unterlegenen Sinnen, im Vergleich zu erfolgreicheren Raubtieren. Ein Underdog. Das mussten wir wettmachen. Die junge Menschheit war zu Zeiten nicht größer als ein paar Dutzend Personen. Trotzdem hat sie überlebt.«

      »Mit Werkzeug«, versuchte Charlotte.

      »Genau. Feuer, Bekleidung, Arbeitsteilung, Medizin. Werkzeuge aller Art. Alles was uns unabhängiger von den Launen der Natur gemacht hat.«

      »Und deshalb wolltest du nichts mehr mit Frauen zu tun haben?«, fragte sie ihn und schüttelte den Kopf. »Weil Menschen Werkzeuge benutzen?«

      Benjamin grinste. »Im Gegenteil. Das hat es uns ermöglicht, das ganze Jahr über zu können, Kinder kriegen zu können, statt nur in der Brunst, wie andere Tiere. Großer Fortschritt. Die Befreiung der Fortpflanzung von natürlichen Notwendigkeiten.«

      »Wir können und wollen immer«, grinste Charlotte. Benjamin horchte auf. War das eine Aufforderung?

      »Gekochtes Essen, bessere Behausungen, weniger Krankheiten, mehr Essen, bessere Hygiene, bessere Infrastrukturen, und schon gab es mehr Geburten als Tote«, fuhr er fort. »Und das geht exponentiell. Wir fressen den Planeten immer schneller kahl. Und wenn wir einen neuen Planeten fänden, würden wir den genauso schnell oder noch schneller kahl fressen.«

      »Und du glaubst, du könntest das ändern, wenn du an diesem Zirkus nicht mehr teilnimmst?«, fragte Charlotte ihn ungläubig.

      Benjamin schüttelte den Kopf. »Nee, das trifft es nicht.« Sie hob fragend die Brauen.

      »Diese allgemeinen Erkenntnisse teilen wir alle, oder viele von uns. Wir wissen das. Und doch, wir meckern, wir beklagen uns, wir schimpfen. Aber wir ändern unser Verhalten nicht. Schuld sind immer die anderen.«

      »Mein Gott, du zerfrisst dich ja, Zen«, warf Charlotte ein. »Denk doch mal nach. Das kann ein Einzelner gar nicht ändern«, bemerkte sie.

      »Und doch trifft es das immer noch nicht«, fuhr Benjamin fort. »Ich habe die Leute lange beobachtet. Mir fiel auf, dass ganz vieles letzten Endes auf Sex abzielt, direkt oder indirekt. Die Art, wie wir tanzen; Werbung. Wie wir sprechen. Wie wir uns anziehen. Wie wir konsumieren und der Mode folgen. Was unsere Ziele im Leben sind. Alles oft nur dafür, um so viel und so guten Sex wie möglich zu haben, oder zumindest haben zu können. Biologisch, um möglichst viele Nachkommen zu haben, ob uns das bewusst ist oder nicht. Wir sind unseren Trieben weitgehend unterworfen, auch wenn der Verstand das gern leugnet. Nur umfassen unsere Balztänze unser gesamtes Leben, nicht nur ein paar Tage im Jahr.«

      Charlotte musste lachen. Sie ging ins Bad und kam mit einer Handvoll Sachen zurück. »Hier. Die Pille. Meine alte Spirale. Wer vögelt denn heute noch, um Kinder zu kriegen? Alle wollen doch nur ihren Spaß.« Sie grinste ihn an. Er grinste zurück. Genug diskutiert? Ab ins Bett? War das jetzt angesagt?

      Aber er ignorierte die Anspielung. Sie sprachen ja nur darüber, mit Worten. Ihre Körpersprache sagte nichts Intimes.

      »Natürlich, du hast recht. Im Kopf wissen wir das, dass nicht aus jeder Nummer ein Kind entsteht. Trotzdem verhalten wir uns so, als ob es kaum etwas anderes gäbe. Und meist verdrängen wir das, andere Erklärungen finden wir immer. Und irgendwann passiert es dann doch, gewollt oder ungewollt. In vielen Ländern immer noch absolut gewollt, ganz nebenbei. Die Bevölkerung wächst ungebrochen. Und wir haben immer nur eines im Kopf. Dabei gibt es so viele andere wichtige Dinge im Leben.«

      Charlotte gefiel diese Diskussion nicht. »Das ist doch Quatsch, sorry, Zen, aber sieh dich doch mal um. Die Bevölkerung in Deutschland, in Europa, in Japan, sie schrumpft. Auf einem hohen Stand der Technik ist es vorbei mit dem Wachstum der Bevölkerung. Wir werden irgendwann bei zehn Milliarden, vielleicht auch elf oder zwölf, zum Stillstand kommen. Und das ist auch gut so. Da stimme ich dir voll zu.«

      Benjamin wollte erwidern, dass das die großen Ausnahmen waren. Insgesamt ging das exponentielle Wachstum weiter, in fast mathematisch reiner Form. Wenn nicht hier, dann woanders. Und irgendwann kam dann das Woanders hierher. Aber er hielt sich zurück; das war nicht sein Punkt.

      »Ich meine was anderes. Der Bauch regiert, der Kopf erklärt das nur und legt uns die richtigen Argumente dafür zurecht.«

      »Mich stört das nicht«, sagte Charlotte genüsslich und zog ihre Knie auf den Sessel, die Waden an die Oberschenkel geschmiegt. »Solange alles friedlich zugeht. Die Kriege und Kämpfe, die du erwähnt hast, die machen mir viel mehr Sorgen.«

      »Weißt du, Charlie, ich hatte so ein Schlüsselerlebnis, ich kann das gar nicht richtig beschreiben.« Benjamin wollte seinen Faden nicht verlieren. »Da fiel etwas von mir ab. Ich sah das, erkannte es, und schwupps, war dieses Hamsterrad im Kopf weg. Nicht mehr da. Total. In diesem Moment und den Wochen und Monaten danach fand ich das alles eher komisch, wie sich da alle bemühten, wie sie den größten Teil ihrer Energie darauf richteten, ihren Trieben zu folgen. Direkt und indirekt nach Sex zu streben, nach den damit verbundenen kurzen Zuckungen, dem Glücksgefühl, das wir dafür von der Natur als Bonus bekommen. Egal ob es zum Erfolg führt oder nicht. Wenn wir jung sind, ordnen wir dem vieles unter. Im Alter mag das nachlassen, das kann ich nicht beurteilen.«

      »Und was soll daran schlecht sein?« Charlotte verstand ihn nicht. »Das hat uns dahin gebracht, wo wir heute sind. Wann ging es uns jemals so gut? Sieh dich doch mal um. Wir leben doch in einem Paradies auf Erden.«

      »Mag sein. Klar, das Leben ist schön. Trotzdem, das war eine Befreiung für mich. Ich hatte so viel Energie, so viele Erkenntnisse, so viel Freude. An der Natur, am Leben, an allem, was uns umgibt. Und Trauer, wenn ich sehe, was wir alles jeden Tag zerstören. Eine Million Arten ist schon ausgestorben. Den nächsten Millionen gibt das Klima den Rest. Und lange vorher sind auch wir fällig, Charlie.«

      Charlotte sagte nichts, studierte ihn nur.

      »Es war die beste Zeit meines Lebens«, fand Benjamin. »Diese Befreiung davon. Aber jetzt ist das langsam vorbei. Jetzt hat mich das wieder, das Leben. Und ob du’s glaubst oder nicht, jetzt gefällt es mir wieder.«

      Make Love, not War

      Charlotte sah ihn nachdenklich an, nachdem er seine Rede beendet hatte. »Du Armer«, sagte sie schließlich. »Da ist dir ja ganz schön was entgangen in der Zwischenzeit. Kein Wunder, dass du immer so schaust.«

      Benjamin legte den Kopf schief und die Stirn in Falten.

      »Na ja. Erst dachte ich, bloß nicht schon wieder so ein idiotischer Tittenfetischist«, grinste sie breit. »Deine Augen waren ja noch größer als mein Busen. Dann fiel mir auf, wie schüchtern du bist. So ein großer Kerl, und kuckt jedes Mal so verschämt weg, wenn er erwischt wird. Ein großer Junge, der gern möchte, aber sich nicht traut.«