ich abhauen oder meinen Vater sogar „plattmachen“. Mir fehlte der Mut abzuhauen, und mein Bruder riet mir auch ab und tröstete mich. Obwohl er selber unter diesen Bedingungen litt. Dieses „Kasernenleben“ trug auch enorm dazu bei, von zu Hause „abzuhauen“, frei zu sein, zur See zu fahren, Abenteuer zu erleben. In der Schreibtischschublade lag ja immer das Geld für die Miete, und damit würde ich mindestens bis Hamburg kommen. Und dann ab, auf ein Schiff...!
Aber nun ging das auch offiziell. Von meiner Oma bekam ich zum Abschied noch eine goldene Halskette, an der die Symbole für „Glaube, Liebe, Hoffnung“ hingen. Das waren das Herz, der Anker und das Kreuz. Es war meine erste Halskette, und ich trug sie mit Stolz. Leider wurde sie mir später geklaut. Ich war darüber auch sehr traurig, und ich habe lange darüber nachdachte, ob es mir Pech bringen würde. Ein bisschen abergläubisch war ich schon.
Unsere Großeltern waren die Einzigen, von denen wir Kinder Liebe und Wärme erfuhren. Und das habe ich später sehr vermisst.
Die „Neue Freiheit“ in der Seemannsschule Hamburg-Finkenwerder war aber eigentlich nur die Fortsetzung der elterlichen „Erziehungsanstalt“. Nur gab es dort keine Schläge.
Die dreimonatige, fast militärische Ausbildung war der erste Härtetest für uns Jungspunde.
Wir waren ca. 30 Jungs aus ganz Deutschland, überwiegend aber kamen die meisten aus Süddeutschland. Nur ein Berliner war noch dabei. Aber alle wollten in die weite Ferne, so wie Freddy Quinn es ständig sang. Seine Lieder, die von Fernweh, Sehnsucht und Seemannsromantik handelten, dudelten ständig im Radio und machten uns ungeduldig und auch schwermütig.
„Icke“ in der Seemannsschule in Finkenwerder
Aber erst hieß es Seemannschaft und Decksarbeit zu erlernen; d. h. die praktischen Dinge zu lernen, die auf See von großer Bedeutung sind.
„Icke“ in der Seemannsschule in Finkenwerder
Vor allem wurde uns Disziplin, Pünktlichkeit, Sauberkeit usw. beigebracht.
Spleißen, Knoten, Pullen (Rudern) mit den großen, schweren Kuttern, Morsen, die Signalflaggen auswendig lernen, Instandsetzungsarbeiten und immer wieder Reinigungsarbeiten, Klamotten waschen, Schuhe putzen, Küchendienst und allgemeiner Unterricht, wie Deutsch, Englisch etc.
Antreten, Abzählen, Abtreten, im Laufschritt hierhin, dahin usw.
Wir wurden gedrillt und ständig kontrolliert. Saubere Fingernägel und geputzte Schuhe, bevor wir am Wochenende für einige Stunden die Schule verlassen durften. Gab es irgendetwas zu beanstanden, war Ausgangsverbot angesagt und man musste Wache schieben.
Eingekleidet wurden wir mit je zwei Paar blauen Latzhosen, zwei khakifarbenen Hemden, mit aufgenähtem Abzeichen der Seemannsschule Finkenwerder, einem blauen, wollenen Pullover, sogenannter Sweater und einer blauen Pudelmütze, die wir lässig, also schräg, auf dem Kopf trugen. Das war unsere „Uniform“, und wir waren stolz, diese Kleidung zu tragen. Waschen mussten wir natürlich alles selber. Ohne Waschmaschine versteht sich. Wir mussten immer sauber gekleidet sein, und das wurde auch ständig, beim Morgenappell kontrolliert.
Am zweiten Tag mussten alle einzeln auf einen ca. 30 Meter hohen Mast klettern. Das sollte der Test sein, ob man schwindelfrei ist. Für mich war das lächerlich, da ich in Berlin schon in den Ruinen über angekohlte Balken, in Höhe der dritten oder vierten Etagen, gerannt bin. Oft brachen die Balken hinter uns zusammen, und wir kamen uns wie Helden vor. Wenn einer vorher mit den Balken abgestürzt wäre, dann hätte er den Fall von ca. zwanzig Meter nicht überlebt. Auch auf hohe Bäume sind wir oft geklettert und haben dort unser geklautes Obst von den Schrebergärten gegessen. Wir waren wie die Affen. Klauen, schnell wegrennen und ab auf die Bäume. Also, ich war total schwindelfrei und hatte auch keine Angst.
Das Härteste in der Seemannschule, war immer das Kutter pullen (rudern mit schweren Rettungsbooten), in denen ca. zehn Mann saßen.
Von Finkenwerder ging es hinaus auf die Elbe, bis Blankenese und zurück. Wegen der Tide, also Ebbe und Flut, war eine Tour natürlich gegen den starken Strom und dann hieß es: Zieh durch, bis die Hände qualmen. Wir waren ja alle erst 16-17 Jahre alt. Hatten noch keine „Muckis“, und unsere Hände waren zart und kraftlos.
Aber wir mussten durchhalten, machten manchmal auch Wettfahrten mit anderen Kuttern der Konkurrenz, also der Seemannsschule Blankenese. Abends in der Koje schmerzten die Schultern, der Rücken und die zerschundenen Hände. Aber wir waren ein Team, jeder gab alles, und wir waren stolz auf uns. So etwas fehlt den heutigen „Warmduschern“. Jede Erziehungsanstalt oder Knast war dagegen ein Kindergarten. Das war hart, aber wir lernten Disziplin, Durchhaltevermögen, Teamarbeit und Kameradschaft.
Trotz aller Härte, mir machte das Spaß, denn wir wurden gedrillt und wenn wir unsere Sache gut gemacht haben, wurden wir auch gelobt und konnten zum Dank auch am Wochenende früher Feierabend machen. So war das okay, denn ich war bereit, alles zu geben, wenn am Ende dabei auch ein Dank oder eine Anerkennung „herausspringt“.
Rettungsboot pullen
Von zu Hause war ich das ja nicht gewohnt. Da hat es noch nie ein Lob gegeben, auch in den späteren Jahren nicht, als mein Bruder und ich doch einiges im Leben erreicht hatten.
Unsere Ausbilder waren alle ehemalige Schiffsoffiziere, der „Schulleiter“ war ein alter erfahrener Kapitän.
Der Bootsmann ein alter harter Hund, aber mit einem guten Herzen.
Wir lernten, dass es an Bord nur einen „Master next Gott“ gibt, nämlich den „Alten“.
Und ohne Disziplin und Demut geht gar nichts. Uns wurde klar gemacht, dass wir an Bord auf uns allein gestellt sein werden.
Keine Polizei, keine Feuerwehr, kein Richter, keine Mamma, keine Hilfe..., nur wir allein, die weite See und der „Alte“, der alle Macht an Bord hatte. Seine Gehilfen, die Offiziere stünden ihm ehrfürchtig zur Seite.
Und wir „Moschkoten“, also die Matrosen und Junggrade hätten zu funktionieren. Da waren noch Vorarbeiter, also der Bootsmann und der Zimmermann, die noch über dem Matrosen stünden. Na ja, da gäbe es noch die Schiet- oder Schmiergang. Das wären die „Heizer“ und die Maschinisten, der Storekeeper, die Reiniger, die Assistenten und Ingenieure, aber die zählten für uns stolze Seeleute an Deck nicht so viel. Die wühlten unter Deck im stinkigen Maschinenraum herum und kämen ölverschmiert zum Essen und Schlafen an Deck.
Die Kombüse wäre besetzt mit einem Koch, einem Schlachter und einem Bäcker, der jeden Tag für frische Brötchen und Brot sorgte. Ja und Stewards gäbe es auch noch. Alles keine richtigen Seelords, so wie wir.
Also wir begriffen sehr schnell, an Bord herrschte die absolute Hierarchie. Und man müsste sich eben hochdienen. So haben wir Jungs in drei Monaten gelernt, was es bedeutet, Seemann zu sein.
Wir haben aber auch gelernt, was Kameradschaft ist, mit den unterschiedlichsten Charakteren und Mentalitäten auf engstem Raum auskommen zu müssen. Es ginge nicht mehr um das Ich, sondern nur um das Wir.
Ich glaube, in der Zeit habe