K. D. Beyer

Die goldene Krypta


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es fühlte sich gut an, immer jemanden in seiner Nähe zu haben.

      Irgendwann dachte sogar, er sei verliebt.

      Bis zu jenem Tag, an dem er Magdalena begegnete.

      Doch Magdalena traf keine Schuld.

      Sie konnte am Allerwenigsten dafür, dass Friedolin sich schlagartig wie ein Verlierer fühlte.

      Friedolin und Magdalena wären sich wahrscheinlich nie begegnet, wenn Friedolin an diesem Tag pünktlich, wie es normalerweise seine Art war, bei seinem Rechtsanwalt eingetroffen wäre.

      Er verspätete sich wegen einer langweiligen Besprechung jedoch um weit mehr als über eine Stunde und sein Anwalt war dadurch natürlich bereits schon wieder mit anderen Mandanten im Gespräch, als Friedolin abgehetzt am späten Nachmittag in der Kanzlei eintraf.

      „Es dauert bestimmt nicht mehr lange. Vielleicht eine halbe Stunde!“, schätzte die freundliche Dame am Empfang.

      Ihr Name stand groß und unübersehbar vor ihr auf dem Schreibtisch: Paula Panther.

      Friedolin starrte auf ihre extrem langen, spitz manikürten Fingernägel.

      „Scharfe Krallen – der Name ist wohl kein Witz?“, fragte er auf seine direkte Art.

      Sie schüttelte lachend den Kopf.

      „Mit dem Namen könnten Sie glatt Karriere machen!“, dachte Friedolin und biss sich auf die Zunge, damit er diesen Gedanken für sich behielt.

      Wie hätte er Sigrid Frau Panthers Kratzspuren erklären sollen?

      Die schwarz glänzenden Bubikopf-Haare flogen ihr um die Ohren.

      Friedolin schaute genau hin und versuchte, ein Leopardenmuster darin zu erkennen.

      Dann fuhr Paula Panther ganz sachlich fort, den weiteren möglichen Tagesablauf vorzutragen.

      „Danach hat Herr Dr. Lubitz keine Termine mehr und hätte dann ausreichend Zeit für Sie. Natürlich vorausgesetzt, dass Sie damit einverstanden sind.“

      „Oh ja, gerne …!“, sagte Friedolin. Dabei ließ er die langen Fingernägeln, die eifrig über die Tastatur des Computers huschten, nicht aus den Augen.

      „Möchten Sie einen Kaffee? Sie können gerne hier Platz nehmen …“, ihr Panther-Blick ging zu der einladenden Sitzecke neben der Eingangstüre.

      Die fünf schwarzen Ledersessel schienen sehr neu zu sein, denn Friedolin nahm plötzlich den feinen Geruch von Leder wahr. Auf dem Tischchen, um das die Sessel gruppiert waren, stand ein großer Teller, vollbepackt mit zuckersüßem Weihnachtsgebäck.

      Friedolin entdeckte sogar aus dieser beachtlich weiten Entfernung Vanillekipferl, seine absoluten Lieblingskekse, nicht nur in der Weihnachtszeit.

      Das Wasser lief ihm im Mund zusammen.

      Und eine vernünftige Antwort fiel ihm richtig schwer:

      „Vielen Dank, Frau Panther. Gehe lieber eine Runde spazieren. Habe heute bereits viel zu viel Zeit im Sitzen verbracht. Sie wissen schon!“

      „Ich kann Sie kurz anrufen, wenn Herr Dr. Lubitz frei ist. Damit Sie ihren ähm … Ihren Bewegungsdrang ausleben können!“ Sie lächelte ihn dabei so freundlich an, dass Friedolin erneut überlegte, doch hier zu bleiben und Fräulein Panther etwas genauer auf den Zahn zu fühlen.

      Draußen war es dunkel, stürmisch und kalt.

      Und hier?

      Hier war es hell, warm und sehr angenehm.

      „Was bist du nur für ein Hornochse! Raus jetzt mit dir – denk‘ daran, was der Doc dir das letzte Mal dringend empfohlen hat: Bewegung, Bewegung, Bewegung!“ Friedolin seufzte und nickte.

      „Gerne …! Hier ist meine Karte!“, lächelnd reichte er ihr seine edle Visitenkarte, die auf einen Blick verriet, dass Herr Dr. Friedolin Fritz Fischer eine besonders wichtige Position in seiner Firma inne hatte.

      Die Assistentin seines Anwalts hatte natürlich bereits sämtliche Daten von Herrn Dr. Fischer. Sogar seine Schuhgröße wusste sie. Kürzlich hatte ihr Chef erzählt, dass sie festgestellt hätten, dass sie ihr komplettes Outfit beim gleichen Onlinehändler bestellen würden. Schuhe in Größe 44 hatte nur dieser Händler als einziger immer vorrätig.

      Dennoch nahm sie die Karte entgegen, behandelte sie wie ein kostbares Geschenk und einen Moment lang blickten sich die beiden in die Augen, die Visitenkarte, die sich weich und glatt wie Seide anfühlte, als spannungsgeladene Brücke zwischen ihren Daumen und Zeigefingern.

      Ja, eine Abkühlung würde Friedolin sicher sehr gut tun und als er in die kalte Abendluft kam, atmete er erst einmal tief durch, während Paula die Karte zu den anderen zehn Visitenkarten von Friedolin packte.

      Doch Friedolin kam nicht weit.

      Nicht weit von der Anwaltskanzlei entfernt traf er auf zwei Kollegen, die sich vor dem beliebten Café Hahn ein Feierabendbierchen gönnten. Sie hatten es sich vor dem überdachten Lokal gemütlich gemacht. Für die Raucher und die Frischluftfanatiker bestand hier die Möglichkeit, auf Holzbänken unter einem Heizstrahler weiterhin am gesellschaftlichen Leben teil zu nehmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen, die draußen saßen, hatten sich Holger und Bernd keine Decke über ihre Beine gelegt.

      Sie waren in einer hitzigen Diskussion verwickelt und Friedolin konnte sich vorstellen, worum es ging. Die Übernahme dieses Konkurrenten hatte auch ihm bereits viele schlaflose Nächte bereitet.

      „Na Jungs, wieso seid ihr denn noch nicht auf der Weihnachtsfeier?“

      Die beiden schauten hoch, als sie Friedolins tiefe Stimme vernahmen, die so gar nicht zu seiner langen, hageren Gestalt passte.

      „Also, du hast ja keine Ahnung – stell dir nur vor …!“

      „Nein, nein, nein! Jetzt habe ich Feierabend! Lasst uns morgen darüber reden. Und auch auf gar keinen Fall gleich auf unserer Weihnachtsfeier …!“

      „Ach ja, die Weihnachtsfeier! Eigentlich wollten wir gar nicht hin gehen. Wie kommt man eigentlich auf die dämliche Idee, montags eine Weihnachtsfeier zu veranstalten? Da kann doch keiner am nächsten Tag vernünftig arbeiten!“ Holger wurde nicht müde, sein Missfallen an diesem ungewöhnlichen Termin laut heraus zu posaunen.

      Friedolin sah das ganz anders.

      Er freute sich auf die Party.

      Schließlich erwartete die Gäste ein erlesenes Buffet im besten Restaurant der Stadt. Der neue Chef, der Sohn des verstorbenen alten Chefs, hatte beschlossen, dass dieses Jahr besonders stilvoll zu Ende gehen sollte.

      Es sollte nicht in ein Massen-Besäufnis ausarten, wie in den vergangenen Jahren.

      Daher hatte er sich für eine Weihnachtsfeier an einem Montag entschieden und die meisten fanden diese Neuerung gut.

      „Diskutiert ihr schon wieder über die Weihnachtsfeier?“ Friedolin schüttelte ungläubig den Kopf. Er rechnete fest damit, dass das Thema gegessen wäre, sobald der umstrittene Termin vorbei wäre.

      „Ist nichts geschäftliches, Fridolin! Stell dir vor: Holger hat eine neue Flamme! Wir schauen uns gerade Bilder von ihr an, bevor wir rüber zur Weihnachtsfeier gehen.“ Bernd stieß seinen Ellbogen Holger so heftig zwischen die Rippen, dass er husten musste.

      Für Friedolin war die Nachricht einer neuen Holger-Flamme nichts Besonderes.

      Holger war, genau wie die meisten seiner Kollegen, permanent auf der Suche nach neuen Abenteuern und noch mehr Nervenkitzel. Allerdings benahm er sich noch immer so experimentierfreudig wie ein Halbstarker, obwohl er sogar ein, zwei Jahre älter als Friedolin war. Egal ob Tauchen inmitten von Haien, Surfen auf den Monsterwellen vor Hawaii oder Eisklettern – er schien sich nur lebendig zu fühlen, wenn der Tod mit an Bord war.

      Erst diesen Sommer konnte Holger nur mit viel Glück aus einer Gletscherspalte gerettet werden. Vier bange Tage lang wurde