Bernhard W. Rahe

Der kleine Klang


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sind nass,

      die Gesichter vieler Menschen scheinen blass.

      Novembergeister lieben Nebelschleier,

      eine zarte Eisschicht glänzt auf dem Weiher.

      Die meisten Tage des Jahres sind gezählt,

      sprühend' Feuer im Morgentau längst verschwelt.

      Tauben über rauchenden Schloten gurren.

      Katzen leis' an warmen Kaminen schnurren.

      November, du lässt das Jahr schon bald enden,

      dabei ein Jahrtausend auf sich bewenden.

      Jahreswechsel 2005

      Raketen steigen auf, in die Nacht hinaus,

      Menschen stehen stolz vor dem eigenen Haus.

      Rauchschwaden harmlos durch die Straßen wallen,

      man hört Gelächter und Sektkorken knallen.

      Feiernde tanzen im erleuchteten Saal,

      die Domglocken schlagen jetzt zum zwölften Mal.

      Sektkelche - mit Sehnsucht gefüllt - erklingen,

      der schwarze Vogel weitet seine Schwingen.

      Unten am Meeresgrund toben die Schollen,

      eine Warnung hat keiner hören wollen.

      Papst Paul erteilt den Christen seinen Segen.

      Seismographen sprechen von einem Beben.

      In Fluten sterben nicht mehr und nicht minder

      Einhundertfünfzigtausend Gotteskinder .

      An die anarchistischen Kinder

      So einfallsreich, mit blitzend forschen Augen

      können Kinder den Eltern Nerven rauben.

      Mit faustischem Lachen, völlig ungerührt

      wird die Welt zu ihrem Spielzimmer gekürt.

      Ihr küsst die Hand, die sich gegen euch erhebt,

      seid so lebendig, schlau und unüberlegt.

      In euren Herzen pocht Gesetzlosigkeit,

      zum Aufgeben seid ihr keinesfalls bereit.

      Die Zukunft ruht auf euren schmalen Rücken.

      Idealismus und Mut machen euch reich,

      ihr verzaubert die Welt und könnt entzücken.

      Doch Erwachsene und Kinder sind nicht gleich.

      Wenn die Kinderseelen zerbrochen werden,

      erlischt die letzte Hoffnung hier auf Erden.

      An das mutige Kind

      Wenn Lehrer und Sophisten kaum noch fragen,

      was Gedanken mit dir tun, wie es dir geht.

      Nur versprechen, du wirst es besser haben,

      man dein Universum aber nicht versteht.

      Dann ahnst du wohl, es sind nicht die richtigen

      Menschen an deiner Seite, die gestalten

      die neue Seele zu einem wichtigen

      Wesen in der Welt der gescheiten Alten.

      Spielzeug und Rat werden sie dir auch geben,

      aber keine Formel für wahres Leben.

      Die zarte Ahnung, sie wächst in dir heran.

      Eine Einsicht, die die Welt entfalten kann.

      Wenn du nur Courage hast, nachzudenken,

      werden Götter dir ein Bewusstsein schenken.

      Von den ungeborenen Kinderseelen

      Im Nirgendwo erstreckt sich ein leerer Raum,

      in ihm ruht sanft und einsam ein hehrer Traum.

      Kinderchöre, verlassen von Verrätern,

      Stimmen, die rufen nach Müttern und Vätern.

      Vom Nichtexistieren ganz matt und träge

      sind hohle Atemzüge und Herzschläge.

      Die Zeit dämmert, alles wartet auf Leben,

      man behielt es und wollt’s nicht weitergeben.

      Äonen, Lebensläufe, ganze Meere

      von Menschenworten hocken in der Leere,

      und allmählich wird es leiser und leiser.

      Das Licht erlischt, die Rufe klingen heiser.

      Eine Umarmung steht verwaist noch im Raum,

      körperlos verwachsen mit dem Lebensbaum.

      Totes Haus

      Es war so still in der Nacht, alle schliefen,

      als Schicksalsgötter Höllenboten riefen.

      Ein dünnes Kabel in der Decke glühte,

      bis es sich entflammte und Funken sprühte.

      Gegen Morgen des grünen Donnerstags dann

      im Dachstuhl ein Feuer zu wüten begann.

      Den Geruch der brennenden, heißen Gase

      spürte nicht ein Schlummernder in der Nase.

      Die Flammen leckten gierig an den Betten,

      Ein blinder Mann konnte sich nicht mehr retten.

      Wer hat Mut, diesen Toten zu beklagen.

      Hört ihr ein Seufzen, eine Glocke schlagen?

      Haus, in der Nacht noch warst du erhellt und rot,

      am Tag danach abgebrannt, ganz schwarz und tot.

      An das Vorhandensein

      Ist Zeit des Aufbruchs in eine neue Welt,

      in der du verlässt den engen warmen Schlund,

      wirst brutal in dein eig’nes Leben gestellt,

      so klein, völlig ausgeliefert, schutzlos und

      als Kreatur, die nicht weiß, was Leben ist.

      Wächst auf in einer glanzvollen Gesellschaft.

      Wirst schlauer und schlauer, weil du denkend bist,

      trägst zum Weltwandel die geniale Kraft.

      Der Wille, glaubst du, bestimmt den Weg, das Wort,

      du bist eben gekommen und gehst schon fort,

      stürzt aus deinem Lebenstraum wie buntes Laub.

      Ist erreicht das End’ von diesem kurzen Sein,

      da bist du nur ein elendes Häufchen Staub,

      nicht viel mehr, als nur ein kleiner, runder Stein.