Rita Renate Schönig

Der rote Brunnen


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bald erfolgen würde – schon gar nicht in beruflicher Hinsicht. Er war mehr als überrascht.

      „Nun, was sagen Sie? Wäre das eine Perspektive für ein neues Leben?“

      „Danke.“

      „Soll das ein JA bedeuten?“

      Philipp nickte erneut.

      „Na fein. Dann wäre das auch geklärt.“ Dr. Claudia Scherer nahm wieder neben Philipp Platz.

      „Und keine Sorge. Ich werde auch weiterhin über Sie wachen. Ich muss es sogar. Sie werden einmal wöchentlich in meine Sprechstunde kommen müssen.“

      Philipp hob langsam den Kopf. Von müssen kann keine Rede sein, dachte er.

      Sonntag – 13. Mai 2018 / 09:35 Uhr

      Zwischen den Ritzen der heruntergezogenen Rollos drängte die Sonne in den Raum. Nicole Wegener blinzelte ins Halbdunkel des Schlafzimmers. Schon seit Wochen hatte sie nicht mehr so gut geschlafen und rekelte sich in ihrem Bett.

      Der Fall „Hausfrauenmörder“ hatte die Soko in Atem gehalten; ganz besonders sie selbst. Zum ersten Mal, seit sie Anfang des Jahres zur Ersten Kriminalhauptkommissarin ernannt worden war, musste sie eine Soko anführen und wollte … nein, durfte sich keine Fehler erlauben. Das zehrte gewaltig an ihren Nerven. Entsprechend beeinflusste ihre Nervosität ihre Partnerschaft.

      Zum Glück war Andreas Dillinger sehr verständnisvoll. Als Kriminalhauptkommissar – früher ebenfalls an vorderster Front, bis er sich nach einem Dienstunfall freiwillig ins Archiv des Polizeipräsidiums versetzen ließ – wusste er von der körperlichen … aber mehr noch der psychischen Belastung, die ein solcher Mord mit sich bringen konnte.

      Aber jetzt war der Täter gefasst. Obwohl, gefasst war vielleicht das falsche Wort. Er saß wieder in der psychiatrischen Klinik, aus der er zuvor geflohen war. Aber das Motiv blieb, nach wie vor, unklar.

      Seine Opfer – zwei Frauen – legte er stets an öffentlichen Plätzen ab.

       Die erste Leiche fanden Kirchgänger am 16. April, einem Sonntagmorgen, auf den Stufen der Christuskirche in Offenbach. Wenige Tage danach erfolgte der zweite Mord.

       Ein Mann, der gegen 22 Uhr 45 noch eine späte Runde drehte, beobachtete am Wegkreuz in Flörsheim, wie der Täter sich mit einem Messer über die Frau beugte. Auf sein Zurufen wäre der nicht einmal erschrocken, sondern setzte sich gemächlich in Bewegung und verschwand in Richtung Rathausplatz.

      Der Passant rief die Polizei. Als diese, keine zehn Minuten später, eintraf und den näheren Bereich absuchte, fand sie einen Mann auf einer Bank sitzend. Er ließ sich ohne Gegenwehr festnehmen. Das blutverschmierte Messer hielt er noch in der Hand.

      Beiden Frauen war, mit aufgefundenem Messer, in den Unterbauch gestochen worden. Das war vorerst die einzige Gemeinsamkeit und – die über dem Bauch gefalteten Hände, in die jeweils ein Rosenkranz gewickelt war.

      Die Frauen unterschieden sich sowohl von der Haarfarbe als auch vom Typ, sodass man nicht von einem bestimmten Beuteschema ausgehen konnte. Ein sexueller Übergriff konnte ebenfalls ausgeschlossen werden.

      Das erste Opfer – eine 35-jährige Frau – verheiratet und kinderlos. Die zweite Frau war 39 Jahre alt; ebenfalls verheiratet, Hausfrau und Mutter von zwei Kindern im Alter von 12 und 16 Jahren.

      Die Vernehmung des mutmaßlichen Täters – er nannte sich Michael Lambrecht und hatte keinerlei Ausweispapiere bei sich – gestaltete sich schwierig. Auf die Beamten machte er einen verwirrten Eindruck.

      Ein sofort durchgeführter Drogentest und eine spätere Blutentnahme ergaben, dass der Mann keine bewusstseinshemmenden Substanzen eingenommen hatte; Alkohol konnte auch ausgeschlossen werden.

      Auf die Frage, welchen Bezug er zu den Frauen hatte, antwortete er nur: „Gott gab mir den Auftrag sie zu töten, um ihre Seelen zu retten.“

      Das absonderliche Verhalten des Mannes erklärte sich, als eine psychiatrische Einrichtung, in Hofheim/Taunus, die Abwesenheit eines Patienten anzeigte. Wie sich herausstellte, handelte es sich um besagten Michael Lambrecht.

      Wie der Mann aus der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie entkommen konnte, konnte niemand erklären. Auch die Aufzeichnungen der Überwachungskameras an den Eingängen ergaben keinen Treffer.

      Die Befragung der Angestellten, sowie des Pflegepersonals und der Ärzte brachten keine hinreichenden Indizien für einen Durchsuchungsbeschluss; weshalb der Richter, nach dem vorgelegten Gutachten der psychologischen Leiterin der Institution, Dr. Claudia Scherer, schnell zustimmte, den Mann wieder in deren Obhut und somit in die Anstalt zurückzuführen.

      Begründung: Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen, nach § 20 STGB und § 21 STGB. Ein gesondertes Verfahren sollte klären, inwieweit eine Verletzung der Aufsichtspflicht der zu betreuenden Personen vorlag.

      Weiterhin blieb offen, woher Lambrecht die Wohnorte seiner Opfer kannte und deren Vorleben. Beide Frauen hatten im jugendlichen Alter eine Abtreibung vornehmen lassen.

      Letztlich ein alles andere als befriedigendes Resultat, weder für die Kriminalkommissarin, noch für die Angehörigen der Opfer. Alle hätten es lieber gesehen, wenn die Morde endgültig aufgeklärt worden wären und der Mörder lebenslänglich ins Gefängnis gekommen wäre.

      Nicoles Hand tastete zur Seite … leer. Demnach standen die Chancen auf ein ausgiebiges Frühstück nicht schlecht. Das leise Klappern von Porzellan gab ihr recht.

      Vielleicht ein schöner Spaziergang durch den Klostergarten und am Main entlang? Oder auch nur chillen …? Mal sehen, was sich so ergibt.

      Mit diesen Gedanken öffnete sie die Schlafzimmertür und schon waberte der Duft von Kaffee und anderen Köstlichkeiten um ihre Nase.

      „Guten Morgen, mein Schatz“, wurde sie von Andy begrüßt. „Gut geschlafen?“

      „So gut wie schon lange nicht mehr“, erwiderte Nicole und legte ihre Arme von hinten um die Taille ihres Lebensgefährten.

      Über seine Schulter auf die Pfanne blickend fragte sie: „Was zauberst du da? Das riecht köstlich.“

      „Eier und Speck, Würstchen, gebratene Champignons, Tomaten. Ein fast perfektes Schottisches Frühstück. Aber, Black Pudding magst du ja nicht.“

      „Nein, bloß nicht.“ Angewidert verzog Nicole das Gesicht. „Wer isst schon zum Frühstück gebratene Blutwurst? Welcher vernünftige Mensch isst überhaupt gebratene Blutwurst?“

      „Wurstähnliche Gerichte aus Blut sind so alt wie die Menschheit. Erste schriftliche Zeugnisse eines ähnlichen Gerichts finden sich im Jahr 800 vor Christus in der Odyssee von Homer.

      Gerade in der armen Bevölkerung hatte man sehr darauf geachtet, sämtliche Teile eines geschlachteten Tieres zu verwenden, auch das Blut. Ob Blutwurstprodukte allerdings von den Römern bei ihrer Eroberung Europas verbreitet wurden oder ob die Mauren es nach Frankreich brachten und von dort nach England oder einen ganz anderen Weg auf die britische Insel fanden, ist kaum noch endgültig zu klären. Fest steht … in England war Black Pudding regelmäßiges Frühstück des Königs Henry VIII, wenn er große Bankette am Hampton Court abhielt.“

      Nicole zog die Stirn in Falten. „Du weißt aber schon, dass er zwei seiner sechs Ehepartnerinnen hinrichten ließ? Lag vielleicht am Black Pudding.“

      „Ist ja schon gut.“ Andy hob abwehrend die Hände. „Bevor du mir den Kopf abschlägst … Kaffee ist fertig. Koffein bringt dich hoffentlich auf andere Gedanken.“

      Nicole nippte kurz an dem schwarzen heißen Getränk und verschwand im Badezimmer.

      Zehn Minuten später saßen die beiden gut gelaunt am Frühstückstisch, bei offener Terrassentür. Die Sonne wärmte mit bereits 20 Grad, wie das digitale Thermometer an der Außenwand anzeigte, und es sollte am Nachmittag noch wärmer werden.

      „Wie