Walter Rupp

Dialoge, Monologe, Interviews


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nie über Gott, sondern über sein Zerrbild lästern. Ich habe diesen Satz jetzt geändert: könnte man Gott erfinden, wäre er kein Gott.

      PFARRER: Gegen diese Formulierung wäre theologisch nichts einzuwenden.

      VOLTAIRE: Sind Sie Pfarrer?

      PFARRER: Ja. – Und ich entnehme Ihrer Aussprache, dass Sie Franzose sind?

      VOLTAIRE: Pardon, habe ich mich noch nicht vorgestellt? Francois-Marie Arouet

      PFARRER: Sie sind Voltaire? Das überrascht mich, dass Sie hier sind… ich wollte sagen…

      VOLTAIRE: Sie hatten mich einige Stockwerke tiefer vermutet. Man sollte mich nicht bei den Atheisten einreihen, nur weil ich die Gläubigen mit meinen Sprüchen reizte.

      PFARRER: Sie sind ein Spötter.

      VOLTAIRE: Spotten hat mir einfach Spaß bereitet. Man hat mir hier sogar bescheinigt - darauf bin ich stolz - dass meine Ironie witzig und geistreich war.

      PFARRER: Trotzdem müssen Sie hier warten.

      VOLTAIRE: Seit 1778. Das sind 226 Jahre. Das ist eine lange Zeit. – Man hat mir übel genommen, dass es nichts gab, was ich ernst genommen habe. Über alles andere hätte man hinweggesehen.

      PFARRER: Sie haben natürlich durch Ihre Spottsucht, manchen Gläubigen verwirrt oder gar vom Glauben weggebracht.

      VOLTAIRE: Ihnen scheint es ja in Ihren Predigten auch nicht gelungen zu sein, die Gläubigen im Glauben zu stärken, sonst wären Sie nicht hier. Für mich ist es beruhigend, dass ich mich hier in der Gesellschaft eines Pfarrers befinde.

      PFARRER: Man hat mir gesagt, ein guter Prediger sollte sich anstrengen, seine Zuhörer nicht anzustrengen. - Leider konnte ich diesen Einwand nicht ausräumen.

      VOLTAIRE: Ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass man über alles so genau Bescheid weiß. Es gibt ja kein Wort und keine Tat, die nicht festgehalten wurde. Ich glaubte immer, dass das, was man getan hat, auch vergangen ist.

      PFARRER: Man hat mir vorgehalten, dass ich als Hirte oft vergessen habe, dass auch ich ein Schaf bin. Leider war keiner aus meiner Gemeinde bereit, für mich einzutreten.

      VOLTAIRE: Das ist bitter.

      PFARRER: Kein einziger. Im Gegenteil. Alle klagten nur über meine zu langen Predigten, die endlosen Wiederholungen und die lähmende Langeweile, die ich verbreitet haben soll.

      VOLTAIRE: Schriftsteller und Prediger sollten sich immer an den Grundsatz halten: lang und gut ist gut, kurz und gut ist sehr gut. Aber kurz und schlecht ist schlecht, und lang und schlecht ist sehr schlecht.

      PFARRER: Mir war das gar nicht bewusst, dass man mit Predigten und Vorträgen Menschen quälen kann.

      VOLTAIRE: Ja, Vorträge und Predigten sind Marterinstrumente. - Bei mir hat man anerkannt, dass ich sehr unterhaltsam zu schreiben verstand, aber leider war der Inhalt daneben. Die einen beherrschen das Erzählen und vernachlässigen die Wahrheit, und die anderen sind im Besitz der Wahrheit, haben aber nicht das Zeug, gefällig darüber zu reden.

      PFARRER: Man hat mir vorgehalten: Wenn meine Predigten so kurz gewesen wären wie mein Gebet, mein Gebet so andächtig wie das Zeitunglesen, meine neu verfassten liturgischen Texte so reif wie die alten, meine Firmvorbereitung so gewissenhaft wie das Zählen der Kollekte, meine Äußerungen so zurückhaltend wie die Krankenbesuche und meine Spenden so großzügig wie meine Reisespesen, wäre ich ein guter Seelsorger gewesen.

      VOLTAIRE: Das hat man Ihnen vorgeworfen?

      PFARRER: Das hat man mir vorgeworfen, nach über 40 Dienstjahren.

      VOLTAIRE: Ich glaube erst an die Gerechtigkeit, wenn einer, der die Leute mit atheistischen Sprüchen so gereizt hat, dass sie anfangen nachzudenken, nicht strenger bestraft wird als einer, der die Menschen mit frommen Sprüchen so gelangweilt hat, dass sie das Nachdenken aufgegeben haben.

      PFARRER: Ich finde das ungerecht, dass das Langweilen genauso viel wiegt wie das Provozieren!

      VOLTAIRE: Sie waren so inkonsequent wie ich.

      PFARRER: In Ihrem Leben waren doch Widersprüche viel gravierender.

      VOLTAIRE: Gravierender? Pfarrer handeln oft anders als sie reden, und wir Schriftsteller reden oft anders als wir handeln. Was ist da der Unterschied?

      Lenin

      *Im Fegefeuer

      POLITIKER: Altersvorsorge. – Vorsorge – Sorge. *Er atmet langsam

      LENIN: Endlich darf ich mich mal wieder frei bewegen.

      POLITIKER: Sie stören mich!

      LENIN: Wer kam bloß auf diese Schnapsidee, mich einbalsamiert auf dem Roten Platz in Moskau in einen Sarkophag zu legen und auszustellen, statt mich in ein Grab zu legen.

      POLITIKER: Können Sie sich nicht ruhig verhalten. Ich muss mich konzentrieren. Lebensqualität. Leben – Qualität. *Atmet wieder tief

      LENIN: Seit 1924 liege ich in einem Mausoleum. Können Sie das verstehen?

      POLITIKER: Trotzdem Herr Wladimir Iljitsch Uljanow, stören Sie mich nicht! Recht auf Arbeit. *Er atmet wieder tief

      LENIN: Legen Sie sich mal 70 Jahre regungslos in einen Sarkophag, um sich täglich begaffen zu lassen. Sie haben ja keine Ahnung, wie man sich da vorkommt: wie im Zoo.

      POLITIKER: Das war nun einmal so. Das ist vorbei. Das haben Sie hinter sich. *Atmet tief: Mitbestimmung.

      LENIN: Wenn ich die antreffe, die mir das angetan haben … Leider darf man sich hier nicht mehr rächen. Das Fegefeuer ist für mich eine Erholung im Vergleich zum Roten Platz.

      POLITIKER: Chancengleichheit. Gleichheit – ohne Unterschied. *Atmet tief.

      LENIN: *Ärgerlich: Lassen Sie doch dieses blöde Repetieren! Chancengleichheit, Friedensliebe, Gerechtigkeit, Völkerfreundschaft. Werden diese hohlen Phrasen, immer noch unters Volk gestreut? Ich kann sie nicht mehr hören.

      POLITIKER: Langsam begreife ich, wie gedankenlos ich geredet habe.

      LENIN: Sind Sie Politiker?

      POLITIKER: Es fällt mir auf einmal schwer, diese Phrasen in den Mund zu nehmen.

      LENIN: *Liest ein Plakat: Zukunftssicherung! Wer hat denn diesen Schwachsinn geschrieben? Wie kann man etwas sichern, was man noch nicht kennt?

      POLITIKER: Das waren unsere letzten Wahlplakate.

      LENIN: Das müsste doch der Dümmste begreifen, dass das nicht zusammenpasst: Sicherung und Zukunft.

      POLITIKER: Vielleicht haben wir zu viel versprochen. Aber wir mussten erst einmal die Wahlen gewinnen, damit wir die Versprechen wieder zurücknehmen konnten.

      LENIN: So ist es: Erst wenn man sich durch Lügen das nötige Vertrauen erworben hat, kann man sich wieder erlauben, die Wahrheit zu sagen.

      POLITIKER: Meine Lügen wurden mir nicht angerechnet. Das hatte ich eigentlich nicht erwartet.

      LENIN: Das ist auch nicht zu verstehen.

      POLITIKER: Meine Lügen waren so groß,