Kristian Winter

Elixiere der Macht


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erinnere ich mich eines schmächtigen Leutnants, der das perfekt beherrschte. Vom Äußeren her ähnelte er eher einem Schuljungen mit weichen Zügen und meist verlegen nach unten gerichtetem Blick. In der Ausbildung zog er zwei Jahre geduldig seine Karre, allein in der Hoffnung, von allem unbehelligt zu bleiben. Zwar hatte er nie etwas bewegt, eckte aber auch nirgendwo an.

      Doch mit den ersehnten Epauletten auf den Schultern war er wie verwandelt. Plötzlich konnte er schreien, dass es über den ganzen Appellplatz hallte, anderseits aber auch die unsinnigsten Weisungen so emotionslos vermitteln, dass man gar nicht auf die Idee einer Rückfrage gekommen wäre.

      Aber selbst wenn er damit durchaus zu beeindrucken wusste, genügte das alleine nicht, denn Modifikationen oder gar Risiken, wie für ein weiteres Fortkommen vonnöten, waren im Zuge reiner Befehlsausführung nicht zu erwarten.

      So erschöpfte sich sein Vermögen allein im blinden Gehorsam und ließ keinerlei Reserven erkennen. Ich bin überzeugt, dass er genau wusste, wie weit, oder besser, wie weit er es nicht bringen würde. Schon deshalb reduzierte sich sein Ehrgeiz auf die Festigung des Erreichten. Die Gewissheit, funktionierendes Teil eines Systems zu sein, genügte ihm zum eigenen Selbstverständnis.

      Nun gab es aber auch Niedere, die über diese Reserven durchaus verfügten, oder zumindest daran glaubten. Zu nennen wäre da mein Klassenleiter, Hauptmann Pfennigwerth, ein wackerer Endvierziger mit silbrigem Haar, blassen, unruhigen Augen und leicht vorstehenden Zähnen.

      In seiner weiten Jacke wirkte er oftmals etwas verloren und versuchte seine Unsicherheit durch übertriebene Lässigkeit zu überspielen. Damals stand er kurz vor dem Major, jener Grenze also, die Niedere von Höheren trennte, und feilte seitdem beharrlich an seinem Aufstieg.

      Nachdem er die letzte Klasse mehr schlecht als recht durchgebracht hatte (man munkelte von mehreren disziplinarischen Ausrutschern), war die Erwartungshaltung groß. Die Folge war neben seiner fortwährende Nervosität und latenten Reizbarkeit vor allem eine manische Angst vor Disziplinlosigkeiten seiner Unterstellten.

      Schon deshalb nahm er vieles überkorrekt, buhlte aber andererseits auch durch erstaunliche Toleranz um ihre Gunst. Diese für untere Chargen unabdingbare Gratwanderung, beherrschte er aber nur wenig.

      Nur allzu oft glitt er ab, verzettelte sich und neigte zu Extremen. Genau genommen war er für diesen Posten gar nicht geeignet, zumal ihm jedes pädagogische Feingefühl fehlte. Oft vergriff er sich im Ton und reagierte auf Nachfragen sehr unbeholfen.

      Ich glaube auch nicht, dass er von den sozialistischen Idealen sonderlich angetan war, auch wenn er stets Gegenteiliges beteuerte. So kam es vor, dass er eben noch in den höchsten Tönen davon sprach, im gleichen Moment jedoch erstaunlich abfällig darüber spöttelte, als verfüge er schon jetzt über eine Sicherheit, die ihm eine solche Lippe gestattete.

      Dabei gab er sich unter seinen Jungs durchaus leger, nannte einen schon mal beim Vornamen und suchte kameradschaftliche Nähe. Es wirkte auch erstaunlich echt, wenn er sich auf einen Stuhl flegelte, die Mütze auf den Tisch warf und mit volkstümlichen Kraftausdrücken seinem Unmut Luft machte. Seine Kühnheit schwand jedoch, sobald seine Position zu offenkundigen Missständen gefordert war. Dann besann er sich auf seinen Rang und beendete jede Diskussion unter Berufung auf militärische Disziplin.

      Solches Lavieren erwies sich vorteilhafter als jede Geradlinigkeit, weshalb man letzteres von ihm auch nicht erwarten konnte. Kam es doch den damaligen Strukturen entgegen, in erster Linie bewusst zu sein. Danach folgten fachliche Kompetenz und charakterliche Festigkeit. Und was sein Bewusstsein anbelangte, ließ er keinen Zweifel, dieses durch markige Sprüchen zu bekunden.

      Aber auch wenn er dabei weniger den Kern traf - denn er war, wie schon erwähnt, alles andere als ein guter Redner -, war sein Bemühen doch erkennbar. Freilich fürchtete er so etwas, zitierte lieber oder verwies auf irgendwelche Fakten. Kein Wunder, kam er doch aus dem zivilen Sektor und hatte mit politischen Dingen nur wenig am Hut, von militärischen ganz zu schweigen.

      Wie ich hörte, hatte man ihm nach einem qualvollen Studium den Abschluss bescheinigt. Danach versuchte er sich als Justitiar auf einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, bekam jedoch eine Allergie vom Tragen der Gummistiefel. Da kam ihm das Angebot seines alten Jugendfreundes, Major Jäger, gerade recht. Der hatte ihm die Sache durch die vielen zu erwartenden Vergünstigungen schmackhaft gemacht. Also griff er zu und versah nach einigen Startschwierigkeiten seither seinen Dienst als Dozent für Rechtskunde mit durchschnittlichem Erfolg.

      Ob er es bereute, ließ sich nie feststellen. Auf alle Fälle wirkte er niemals entspannt und blieb selbst in harmlosen Situationen überaus konzentriert. Sogar in seinem Lachen lag etwas Kummervolles wie bei Menschen, die in Gedanken stets woanders sind. Ich könnte mir denken, dass er verblendet war von der Uniform und dem Rang des anderen und mehr aus einer spontanen Begeisterung handelte.

      Vielleicht hatte man ihn auch nur beschwatzt, zumal seinerzeit jede Werbung eine Prämie versprach. Wie auch immer. Beide verband seither eine absonderliche Beziehung, die im zivilen Alltagsleben kaum denkbar, hier jedoch schon obligatorisch war. Ihre ständige Rivalität äußerte sich in vielen kleinen Reibereien, in denen meist Pfennigwerth das Nachsehen hatte.

      Den anderen gefiel das natürlich, weshalb er auch nicht müde wurde, diese am Laufen zu halten. Das geschah meist durch Kleinigkeiten, die einem Außenstehenden kaum aufgefallen wären, einem Kenner jedoch sofort ins Auge sprangen.

      Aber selbst wenn beide nur ein Dienstgrad trennte, bedeutete das Welten. Kein Wunder, dass sich in Pfennigs Herzen ein angstvoller Respekt eingegraben hatte, der mitunter kuriose Blüten trieb. So bürstete er dem Freund gelegentlich die Jacke und lachte zu witzigen Bemerkungen erst, wenn dieser durch sein Schmunzeln Zustimmung signalisierte.

      Aber dazu später, deshalb kurz noch etwas zur Ausbildung. Diese gliederte sich in drei Hauptbestandteile, die neben dem fachlichen und militärisch–sportlichen, noch den polit- ideologischen Bereich umfasste. Wollte man hier eine Gewichtung vornehmen, wäre letzterem das Primat zu geben, da sich ein ideologisches Defizit immer zugleich auch auf fachliche Leistungen auswirken musste.

      Man verstand sich als politisches Element, das sich nicht nur zu seinen Werten bekannte, sondern diese auch setzte. Wir stehen links, wurde propagiert, weshalb jede Entscheidung in erster Linie eine politische war.

      Das wiederum erforderte ein höheres Bewusstsein, was es hier zu vermitteln galt. Folglich genügte es nicht, eine Entscheidung allein rechtlich zu begründen; sie musste vor allem im gesellschaftlichen Kontext interpretiert werden. Deshalb besaß die Fähigkeit zur richtigen politischen Analyse absolute Priorität, - übrigens ein ideologisches Grundprinzip jedes totalitären Systems.

      Aber ich habe schon zu weit vorgegriffen, - deshalb zurück zu meinen ersten Eindrücken.

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