Nadja Hummes

Blümchenkaffee


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loggte sich während dieser Zeit keine weitere Person unserer Clique ein, dafür fand ich eine sehr verzweifelt klingende Arbeitsanfrage in meiner Nachrichtenbox vor: Ein Ehepaar namens Gemsbach möchte wissen, ob ich ihnen bei diversen Umzugsarbeiten behilflich seien könnte. Auf Grund der Pandemie-Auflagen dürfen seit März weder Sozialkaufhäuser noch Möbelpacker noch sonstige branchenübliche gewerbliche Anbieter Möbel abbauen, abholen, einlagern, transportieren, andernorts wieder aufbauen, tapezieren helfen und dergleichen mehr. Oder gar Spenden aus Haushaltsauflösungen entgegen nehmen.

      Die klassischen Umzugshelfer seien also unabkömmlich, da diese wegen der allseits bekannten Entwicklungen nun einmal so ihre Auflagen hätten. Zumal es, gesetzt den Fall sie dürften wieder ran, sowieso schon sehr lange Wartelisten gebe.

      Leider war die Gesundheit der werten Frau Mutter des Herrn Gemsbach nicht gewillt, dies zu berücksichtigen.

      So sei man jetzt in der misslichen Lage, allen Umständen zum Trotz der lieben Frau Mama ihr neues Quartier herrichten zu müssen.

      Und alles dafür Notwendige sei, so die inständige Bitte – versehen mit drei Ausrufezeichen – so zügig wie möglich umzusetzen.

      Weil nämlich die aktuelle persönliche und familiäre Situation für alle Beteiligten nicht unbedingt vorteilhaft sei und…

      Sie verstehen…

      Bei Zusage möchten seine Frau und er selbst sich jetzt schon vorab für eventuelle Unannehmlichkeiten, die durch die werte Frau Mama herrühren könnten, entschuldigen…

      … hierfür bestehe hoffentlich jedoch kein Anlass…

      … dennoch, weil es leider nicht auszuschließen sei…

      … seine Frau oder er selber könne bei den Tätigkeiten keinesfalls anwesend seien…

      … Hintergrund aus Zeitmangel momentan leider nicht näher zu erläutern…

      Sofern Sie also freie Kapazitäten hätten…

      … sich bitte umgehend bei uns melden könnten…

      Es soll Ihr Schaden nicht sein. Nochmals drei Ausrufezeichen.

      Die anfallenden Arbeitsbereiche umfassen, soweit bis jetzt absehbar, hauptsächlich das Demontieren, Verladen, Transportieren, Ausladen, Montieren und gegebenen Falles auch das Befestigen des Mobiliars. Eventuell käme auch die ein oder andere Neuanschaffung in Frage, so zum Beispiel…

      … müsse man in der Situation sehen und entscheiden…

      Angenehme Arbeitszeiten, da flexibel zu vereinbaren…

      Aufwandsentschädigungen gemäß Rücksprache…

      Garantierte und großzügige Vergütung…

      Stundenlohn oberhalb des gesetzlichen Mindestlohnes…

      Auf Wunsch Barzahlung gegen Quittung, gerne aber auch per Überweisung…

      Und so weiter und so fort.

      Mich dünkt, Frau Gemsbach senior ist keine angenehme Zeitgenossin.

      Wenn sich Herr Gemsbach junior nebst Frau Gemahlin dermaßen ins Zeug legen, um Madame Senior so bald wie möglich anderweitig unterzubringen, muss sie ihnen schon arg das Leben vergällen. Respektive vergällt haben.

      Nun denn. Schauen wir mal.

      *

      Von: Valtteri

       Betreff: Traurige Grüße

       An: Lenja

      Herzlichste Lenja

      Ich musste erst einmal begreifen, was du hast mir da geschrieben.

       Ich bin wie von ein Donner erschlagen.

       Jetzt habe ich ein tiefes Bedauern über mein Versäumnis. Dass ich es bisher nicht schaffte, dich in Deutschland zu besuchen. Gemeinsam mit Anneline.

       So, dass auch Günters Einladung von damals in der Zwischenzeit in eine Möglichkeit gelegen hätte. Wir wären sehr erfreut gewesen, gerne mit dir, ihm, seiner Frau, seinem Hund, drei Pferden und zwei Rindern auf der Weide zu sitzen und zu grillen.

       Leider, diese Möglichkeit ist nun vorüber.

       Und du bist ohne seine Freundschaft. Und ohne ein Einkommen.

       Ich brauche Zeit, das zu verstehen.

       Ist es nicht merkwürdig? Ich habe Günter nie in ein direkter Kontakt die Hand geschüttelt. Obwohl ich ihn nur von damals skypen und aus deine Erzählungen kannte, er ist mir sympathisch gewesen.

       Dennoch, du bist wahrscheinlich mehr in Trauer als Anneline und ich. Sicher nicht nur von Günters Tod, aber auch zu vermissen die Tiere und deine Arbeit mit ihnen.

       Es ist nicht notwendig, dass du mir davon berichtest. Ich kenne dich lange und gut genug, zu wissen, es ist so.

       Wenn du es kannst, bitte helfe mir, mehr besser zu verstehen:

       Wann war die Beerdigung? Wie fand das statt? Unter die geltenden Auflagen in Deutschland? Wie funktionierte die Finanzierung von alles? Wie war es in ein organisierter Ablauf zu bringen? Wie geht es Günters Frau? Wieso hat sie nicht die Weiden in deine Arbeit gelassen? Warum wurde alles aufgelöst? Wo sind die Tiere? Was passierte mit die Raser? Wie ging es weiter? Was ist für dich geworden?

       Ach, viele Fragen habe ich offen. Aber ich will dich nicht in eine Bedrängnis bringen.

       Schreibe mir, wann immer du möchtest und schreibe, was du möchtest.

       Sei umarmt, von Anneline und mir,

      Valtteri

      *

      Von: Lenja

       Betreff: Zeit

       An: Valtteri

      Lieber Valtteri

      Natürlich kannst Du Dir bis zu Deiner nächsten E-mail etwas Zeit nehmen.

       Ich kann Dich nur zu gut verstehen. Du musst das erst einmal verdauen. Ich weiß. Mir ging und geht es nicht anders. Zumal alles noch so frisch ist.

       Nun bemühe ich mich, näher auf Deine Fragen einzugehen. Leider kann ich Dir nur bedingt Auskunft geben, – da ich wider Erwarten wenig weiß.

       Vielleicht entsinnst Du Dich, dass Günter manchmal von seiner „Haupt­ein­kommens­quelle“ sprach, auf der er sich ab und zu „mal blicken lassen“ musste? Davon hatte ich Dir berichtet. Ich habe das damals wenig hinterfragt, wusste nur, dass seine Haupt­ein­kommens­quelle rechtens war. Wie sich herausstellte, ist er, gemeinsam mit seinem Bruder, Inhaber einer gewerblichen Autowerkstatt gewesen. Zwei Ortschaften weiter. Er hatte sich aber schon weitgehend daraus zurückgezogen. Persönlich und zeitlich. Finanziell und rechtlich allerdings nicht. Zumindest das hatte Annerose mir noch erzählt, – während wir Amira, Lucky, Dana, Frieda und Mimmi auf die Transporter verluden. Die Tiere dürfen ihr restliches Leben auf einem wirklich schönen Gnadenhof verbringen. Sie werden nicht geschlachtet. Sogar von eventuellen Notschlachtungen sind sie ausgenommen. Das wurde uns schriftlich zugesichert.

       Ansonsten hat Annerose kaum etwas gesagt. Mir ist noch bekannt, dass sie Günters Rechte an der Autowerkstatt an seinen Bruder und die Weiden an einen Bauern abtrat. Ich weiß nicht, wieviel Geld der Verkauf von Anteilsrechten an einer gut laufenden Autowerkstatt und zwei Weiden in einer Zeit wie dieser einbringt, aber so konnte Annerose Günters Beerdigung und ihren Umzug bezahlen. Ich habe keine Ahnung, wie sie den Umzug unter Pandemie-Auflagen bewerkstelligte. Vermutlich hatte Günters Bruder ihr geholfen. Der verkaufte die Autowerkstatt übrigens fast zeitgleich und brach ebenfalls sämtliche Zelte ab. Wer wo genau hin zog, ist mir unbekannt. Mit Günters Bruder hatte ich ohnehin nichts zu tun. Vor Günters Tod wusste ich nicht einmal, dass er existiert.

       Alles, was Annerose mir bei unserer Verabschiedung noch mitteilte, war, dass sie ihre Arbeitsstelle in Strunzdorf gekündigt hat und immer schon ans Meer wollte. Dort möchte sie nun alt werden und mit Johnny, Günters Hund, oft am Strand spazieren gehen. Immer nach Schichtende ihrer neuen Halbtagsstelle. Mehr mochte