Gerstäcker Friedrich

Tahiti


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in das dichte üppige Kraut, was überall den Boden /31/ bedeckte, niederdrückte. Er war also umstellt, und es half ihm nichts, seinen Schlupfwinkel zu verändern, denn diese Wachen würden ihm natürlich auf den Fersen gefolgt sein; ja die Möglichkeit lag vor, daß sich seine Feinde, vielleicht zahlreicher als er selber eine Ahnung hatte, hier in den Hinterhalt gelegt, nur eben auf sein Niedersteigen wartend, um ihn dann in dem dichten Gestrüpp so viel leichter überfallen und binden zu können. Scheu deshalb, hinter jedem Stamm einen versteckten, zum Ansprung bereiten Feind vermuthend, das gespannte Terzerol in der Hand, zog er sich rasch, aber unbelästigt, wieder zu dem verlassenen Versteck zurück.

      „Gut," murmelte er dabei zwischen den fest zusammengebissenen Zähnen durch, als er zu seiner kleinen Feste zum zweiten Mal aufstieg - „laß sie dann die Folgen nehmen, wenn sie mich mit Gewalt zum Aeußersten treiben wollen; aber lebendig bringen sie mich, beim ewigen Gott! nicht von diesen Steinen hinunter."

      Er untersuchte jetzt auf das Sorgfältigste seine kleinen Terzerole, schraubte die Pistons los und that frisches Pulver wie nachher frische Kupferhütchen drauf. Als er sich wenigstens dieser Hülfe versichert und sein Messer gefühlt hatte, ob es ihm locker und zum Griff bequem an der Seite hing, wußte er, daß er für den Augenblick nichts weiter thun konnte, und warf sich auf die Steine nieder, seine Kräfte wenigstens nicht durch unnöthige Anstrengungen vor der Zeit zu erschöpfen.

      Etwa eine halbe Stunde mochte er so gelegen haben, als der Lärm der jetzt zu ihm heraufsteigenden Schaar an sein Ohr drang - er horchte einen Augenblick auf, blieb aber, als er die lauten Stimmen einer großen Zahl Menschen deutlich unterschied, ruhig in seiner Stellung, denn er wußte, daß sie, mit solchem Geräusch ankommend, ihn nicht überraschen wollten. Aber der entscheidende Augenblick nahte auch; er hatte das Boot wieder zurückkommen sehen und erwartete kaum Anderes, als daß sich der Harpunier selber mit seinen Leuten der Schaar angeschlossen habe.

      Diese kam jetzt so rasch und mit solchem Geplapper und Lachen und Schreien näher, daß er sich endlich aufrichten mußte; ein Blick verrieth ihm aber, daß er es hier nur mit /32/ Insulanern und keinem seiner früheren Kameraden zu thun habe, und mit der Ueberzeugung zog ihm auch wieder neue Hoffnung durch die Seele. In seine frühere Stellung lehnte er sich auf den Stein zurück, und als er Männer und Frauen in bunter Masse um sich versammelt sah, konnte er selbst ein Lächeln nicht zurückhalten.

      „Was für eine herrliche Situation wäre dies jetzt für einen der frommen Missionäre," murmelte er leise vor sich hin - „Kanzel und Auditorium fix und fertig, und welch' zahlreiche, bunte Versammlung - wahrhaftig auch Frauen - die lieben Dinger müssen doch überall dabei sein, selbst wenn es gilt, einen armen Teufel von Matrosen wieder an seine Henker auszuliefern. Aber prenez-garde, mes dames, noch habt Ihr ihn nicht, und billig sind die zehn Ellen rother Kattun usw. wahrhaftig nicht verdient, wenn Ihr ihn bekommt."

      Die Schaar versammelte sich indessen um den Felsen, und obgleich diesmal eine höhere Person als Raiteo, nämlich der Sohn des Königs selber, mitgekommen war, behielt doch Jener bei den nachfolgenden Unterhandlungen als Dolmetscher das Wort. Er war aber augenscheinlich verdrießlich durch die Hartnäckigkeit des Burschen, um den ihm von Gott und Rechts wegen zustehenden Lohn gebracht zu sein, und forderte ihn einfach und barsch auf, herunter zu kommen und mit ihnen zu gehen, weil sie sonst Gewalt brauchen müßten. Ihr König erlaube ihm nicht länger hier auf der Insel zu bleiben, also helfe ihm weiter kein Widerstand.

      René hatte sich hoch aufgerichtet, die jetzt frisch von der See herüberwehende Brise schlug ihm das dunkle lange Haar wild um die Schläfe, und sein Gesicht war von der innern Aufregung vollkommen bleich geworden, aber seine Augen funkelten und ein trotziges Lächeln kräuselte ihm selbst die Lippe, als er mit lauter, herausfordernder Stimme hinunter rief:

      „So kommt denn, wenn Ihr den Muth habt, mich zu holen - kommt und seht, wessen Blut diese Steine zuerst färben soll - kommt und überliefert einen Mann, der Euch nie ein Leid gethan, seinen Feinden, Ihr seid ja am Ende /33/ gar Christen und wollt nach Gottes Geboten handeln - kommt, aber ehe ich jenes Schiff wieder lebendig betrete -"

      Er schwieg plötzlich, denn sein Auge hatte in diesem Moment fast unwillkürlich das ferne Fahrzeug gesucht, und er sah jetzt zum ersten Mal das von der Gaffel flatternde Zeichen, wie das zu dem Schiff zurückkehrende Boot. Ein zweiter Blick überzeugte ihn sogar, daß nach Westen hin die drei anderen Boote ebenfalls voll unter Segel waren, und die Wahrheit des Ganzen durchzuckte ihn im Nu.

      Als die unten Stehenden sahen, daß er plötzlich seine Blicke so ausmerksam nach der Richtung hin sandte, wo das Schiff lag, suchten sie ebenfalls dorthin Aussicht zu gewinnen, und zwei junge Leute, die rasch eine der Casuarinen erstiegen hatten, riefen bald etwas in ihrer Sprache herunter. Von den Männern vertheilten sich jetzt mehrere nach lichteren Punkten hin, wo sie die See besser überschauen konnten, und es zeigte sich gar bald, daß etwas Besonderes dort an Bord vorgehen müsse, was für den Augenblick, da es ja auch mit ihren Verhandlungen hier in naher Beziehung stehen mußte, ihre Aufmerksamkeit vollkommen von dem jungen Matrosen ablenkte.

      René selber dachte kaum mehr an die Eingeborenen - er sah, wie das Boot, das ihn hatte abholen sollen, an Bord des Delaware zurückkehrte, der augenblicklich seine Raacn umbraßte und mit geblähten Segeln den vorangeeilten Booten nach Westen folgte. Jedenfalls hatten sie dort eine große Zahl Fische bemerkt, und hielt die Jagd nur bis Abend an, daß das Schiff dadurch eine tüchtige Strecke nach Westen versetzt wurde, so war die Frage, ob der Capitain seinetwegen hier wieder gegen den Passat ankreuzen würde; jedenfalls behielt er einen, vielleicht mehrere Tage Zeit, auf Flucht von der Insel zu denken, und die Gefahr war wenigstens für den Augenblick von ihm genommen. Daß er die Insulaner jetzt leicht von sich abhalten konnte, daran zweifelte er keinen Augenblick.

      Der Erfolg zeigte denn auch, daß er darin vollkommen Recht gehabt. Die Insulaner wußten nicht recht, woran sie waren, und mußten erst wieder einen Boten nach unten /34/ schicken, neue Verhaltungsbefehle einzuholen. Allerdings begegnete diesem schon ein anderer, der ihnen die Ordre brachte, den jungen Fremden nur einstweilen einzufangen und mit herunter zu nehmen. Das war aber weit eher gesagt, als gethan; wenn er gutwillig kam, ja; aber sollten sie ihr Leben wagen, ehe sie einmal sicher wußten, ob das Schiff hierher zurückkäme?

      Die Frauen und Mädchen waren dem Zug aus Neugierde gefolgt und hielten sich im Anfang scheu zurück; da aber Alles friedlich abzulaufen schien, so kamen sie weiter vor, und suchten Plätze zu bekommen, von denen sie den jungen Fremden genau beobachten konnten. Nur ein junges Mädchen allein war schon früher so weit vorgedrungen, daß sie sich dem Umstellten auf einer andern kleinen Erderhöhung fast gegenüber befand, und hatte die ganze Zeit keinen Blick von ihm gewandt.

      Es war ein junges bildschönes Kind von vielleicht sechzehn Jahren, schlank gewachsen wie die Palme ihrer Wälder, aber mit vollem, rundem Gliederbau; die rabenschwarzen, mit wohlriechendem Cocosöl getränkten Locken wild um die braune Stirn flatternd, und die schönen großen dunkeln Augen halb ängstlich, halb mitleidig auf den jungen Mann geheftet. Sie war nach Art der übrigen Mädchen gekleidet: ein Lendentuch von farbigem Kattun, das ihr bis auf die feingeformten Kniee niederging, schloß sich ihr dicht um die Hüften, und ein anderes Tuch war nur lose über die linke Schulter gehangen und auf der rechten mit einem Knoten locker zusammengehalten, den rechten Arm vollkommen nackt und zu freier Bewegung lassend. In den vollen Locken trug sie einen dünnen Kranz weißer und rother Blüthen, mit den Fasern des Cocosblattcs fest zusammengebunden, in den Ohren aber zwei der großen weißen duftenden Sternblumen, und wie sie dort stand auf dem bröckeligen Gestein, um das sich dicht hinter ihr die vollen dunkeln Büsche schmiegten, den linken Arm um die dünne Casuarine geschlungen, die sie da oben auf ihrer etwas gefährlichen Stelle stützte, glich sie eher einer lauschend aus dem Dickicht gebrochenen Waldnymphe, als einem einfachen, schlichten Kind dieser Inseln. /35/

      René war im Anfang natürlich zu sehr mit der Gefahr seiner eigenen Lage beschäftigt gewesen, einzelne Gestalten der ihn umgebenden Insulaner beachten zu können. Vorzüglich hatte er die Männer und ihre Bewegungen im Auge behalten, da er ja auch gar nicht wissen konnte, ob sie nicht einen plötzlichen Angriff auf ihn beabsichtigten. Jetzt aber, als sein leichter Sinn ihn rasch über die geringere Gefahr hinwegsetzte, fühlte er mehr das Eigenthümliche, ja Interessante seiner Lage, und während das Blut in seine Wangen zurückkehrte