Richard Wossidlo - 1859-1939

Segelfahrterinnerungen 1850-70 - Richard Wossidlo befragte ehemalige Seeleute


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Hüter des Gesetzes scheinen diesen „Ost-West-Handel“ nicht wesentlich beeinträchtigt zu haben.

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      Der Schiffsjunge

      Das Anmustern, von dem wir eben gehört haben, stellte wohl den jeweiligen Tätigkeitsbeginn dar; die Vorbereitung auf den Beruf aber begann für den einzelnen bereits viel früher. Schon die Kinderspiele lassen erkennen, dass die Jungen an der Wasserkante von klein an unter dem einzigen Gedanken aufwuchsen, Seemann zu werden. Bekanntlich ist es überall eine besondere Freude der Jugend, Schiffe schwimmen zu lassen. Die zukünftigen Seefahrer verlangten aber, dass diese Schiffe nicht Phantasiegebilde, sondern naturgetreue Abbilder der großen Schiffe seien. Und immer fanden sich alte Fahrensleute, die den Jungen wahre Kunstwerke schufen und ihnen an Hand der Modelle die Seemannssprache beibrachten. „Alle Mann an Buurd, dat Schipp geiht fuurt!“, so klang es aus dem Mund der spielenden Kinder. Vor allem die Speicherböden mit ihren vielfachen Balkenlagen konnten in der Phantasie leicht zu Schiffen werden, und in halbsbrecherischer Kletterei turnten die Bengels, wenn sie kaum die ersten Hosen anhatten, bis zum Dachfirst hinauf. Herrlich aber wurde es, wenn die wirklichen Schiffe in Winterlage gingen. Dann kamen die Jungen überhaupt nicht vom Wasser weg.

      Wi Jungens hier in Warnmünd hadden jo uns ganz Gedriew an ’n Strom. De Schäpen, de in ’n Winter nich henkamen künnen na Rostock wägen dat Ies, bleben hier in Warnmünd in Winterlaag. Dor spälten wi Jungens denn up. Ein alter Wismaraner Seemann erinnerte sich schmunzelnd: Wi Jungens sünd hier in Wismar rinklattert in de Masten un in de Wanten tohöchten, wi stegen hoch as so ’n Apen. Halsbrecherische Leistungen wurden vollbracht: Ik heff baben up ’n Knoop, wo de Flagglien dörchkümmt, up ’n Buuk lägen un heff dahn, as wenn ik swemmen ded. Wi Jungens hier in Warnmünd wieren ümmer gliek in de Masten –- so lihrten wi dat Nababenstigen ganz von sülwst. Wi künnen alles: Wi sünd von de Grootmast an ’t Stagg na de Fockmast roewerklattert un sünd an de Pardunen daalrutscht, wenn wi fix na unnen wullen, un hebben uns de Bücks intweiräten; de Been würden oewerslagen, denn würd daalrutscht an ’t Stagg. Auch die Mädchen wurden oft von diesem Eifer angesteckt und standen den Jungen nicht nach. Peter Dohse sien Fru is as jung Diern höger stägen in de Masten as de Jungens. Es handelte sich aber bei den Klettereien nicht nur um die turnerische Leistung, es war ein regelrechtes Spiel, das für den Beruf vorbereitete: Wi spälten ornlich Schipper: Een wier Kaptain, een Stüermann un so. Denn müssten wi ornlich so doon, as wenn wi räwen wullen. –- Wenn wi de Schoolarbeiten farig hadden, güng ’t fuurts rup na de Brammrah, buten uppe Nock, as wenn wi Sägel unnerslagen wullen.

      Auch die Abenteuerlust kam zu ihrem Recht. Räuber hebben wi hier in Warnmünd uppe Schäpen spält. Een hadd ’n Flitzbagen, een ’n Ballerbüss un so. Een hadd de Utkiek, dee meld ’te denn: De Piraten kamen! Denn wi all achterut un stellten uns kloor.

      Vielfach verstanden die Jungen ihre Sache so gut, dass sie schon zu seemännischen Arbeiten herangezogen wurden. De Brigg „BALANCE“ hebben wi Jungens aftakelt.

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       Der Enkel des Warnemünder Kapitäns und Modellbauers Heinrich Stuhr, Hans Kölzow, übergab das Familienerbstück, ein Modell der Brigg „Balance“, an das Heimatmuseum. Museumsleiterin Dr. Kathrin Möller und Hans Pochmann, Vorstandsmitglied des Museumsvereins, freuten sich über das geschichtsträchtige Exponat.

      – Bericht der Lokalpresse –

      Wi hadden uns dat all afluert, woans wi dat maken müssten. De Schipper Möller säd to uns, as wi farig wieren: So, nu soelen ji juug eens dick fräten in Arften!

      Die Jungen wuchsen also ganz von selbst in den Seemannsberuf hinein. Und so ist es kein Wunder, dass für sie nichts anderes in Frage kam, als Schiffsjunge zu werden. Es wandte sich in Warnemünde – und ähnlich war es auf Poel und auf dem Fischland – früher fast die ganze männliche Jugend dem Seemannsberuf zu. Früher güng hier up Päul all, wat so ’n bäten wier, to See. – Dee nich kroepelig wier, güng to See. Vielen Vätern galt der Entschluss des Jungen als selbstverständlich, und alles Warnen und Abraten von anderer Seite war vergeblich. In ’n Bett sünd all mihr Lüd dootbläben as up See, antwortete wohl ein vorlauter künftiger Janmaat auf das Abraten besorgter Tanten.

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       maritime Holzschnitz-Kunst aus Wustrow – Foto von Jürgen Ruszkowski

      Unbändigen Stolz auf ihren künftigen Beruf verrieten diese Jungen. Wenn hier in Warnmünd ’n Jung nich Seemann warden wull, de würd nich ankäken. Wi wieren dörtig Konfirmanden: Een würd Schooster, de annern all Seelüd. – Wenn de Lihrer vör de Konfirmatschon fragt hadd, wat wi warden wullen, un een seggt hadd, he wull ’n Handwark lihren, denn würd achteran ropen: „Dor löppt de Schooster (Snider) hen!“ – De Seefohrt wir jo hier in Wismar früher dat Hauptgeschäft, de annern hadden de Jungens nich uppe Räknung.

      Solcher Hochschätzung des Seemannsberufs setzten die Landratten ihre Meinung entgegen. Früher wier dat jo so: Dee anners nich to bruken wieren, dee güngen to See. Dor dachten jo de Minschen: Alles, was nichts ist auf Erden, kann zuletzt noch Seemann werden. So warnten Väter ihre Söhne vor dem Seemannsberuf. Ik heff to minen Soehn seggt: Leewer kannst bi ’n Buern deenen as Kädenhund. Wenn de Buer von sinen Hund wat höllt, hett dee ’ne Hütt, wo he unnerkrupen kann bi slicht Wäder. Dat hett de Seemann nich. Auch mit List suchten die Eltern die Söhne von der Seefahrt abzubringen. So stellten Väter die Bedingung, ihr Junge solle erst ein anderes Handwerk beginnen; später könne er dann noch Seemann werden. Oft blieben die Jungen aus Bequemlichkeit dann in ihrem Handwerk hängen. Ik wull ok to See – dat treckt jo an. Oewer Vadder säd, ierst süll ik een Johr in de Warkstäd bi em arbeiten, naher künn ik Seemann warden. So bün ik Discher worden. Von einem wirkungsvollen Kniff berichtete ein Alter: Mien Soehn wull abslut to See – ik wull nich. Dor heff ik em up ’n lütten Huker anmustert; dor müsst he för annerthalw Mann kaken, das heißt, für den Schiffer und sich selbst. Die kümmerlichen Verhältnisse verleideten ihm dann die Seefahrt.

      Aber auch alte Fahrensleute rieten gelegentlich von der Seefahrt ab. Eigene bittere Erfahrungen mögen hinter dieser Mitteilung aus Poel stehen: Vadder wier sülben to See fohren as Kock. He wull nich, dat mien Broder Seemann würd. „Denn will ik mi ’n Strick köpen un mi uphängen“, säd he. „Naher kannst doon, wat du wisst.“ Und wieder taucht der Vergleich mit der Landarbeit auf: De oll Seemann Niemann säd to mi: Leewer kannst bi ’n Buern de Swien höden, as Seemann warden. Oewer ik dacht jo: Alleen wisst di ok nich trüggtrecken. In ganz seltenen Fällen hört man auch einmal von der Abneigung eines Jungen gegen den Seemannsberuf: Ik hadd keen Lust to dat Water, ik müggt leewer in ’t Holt arbeiten.

      Das waren aber Ausnahmen. Die große Mehrheit ging freudig in den gefährlichen Beruf. Und die Jungen brachten wertvolle Vorkenntnisse mit (natürlich auch im Rauchen, Priemen und Fluchen). Die seemännische Berufssprache beherrschten sie von vornherein und waren damit den Binnenländern weit voraus. Das ersieht man aus folgendem Erlebnis: Ik heff dat mal hüürt, dat ’n poor Jungens von ’n Dörpen hierher na Warnmünd kemen, un de een säd: Dausend, wat hebben de Deirer för Dwassknüppels – ik mööt ok rein to See führen! Gemeint hatte der Dorfjunge nichts anderes als die Schiffe mit den Rahen. Wie weit waren ihm gegenüber die Waterkantler voraus! Kein Wunder, dass die meisten Kapitäne Jungen von der Küste bevorzugten. So sagte ein Schiffer: Ik nehm bloot Weck von de Seekant. So ’n Jung ut de Stadt wüsst jo oft gor nich mal, wat vör un achter up ’n Schipp is. Auch das Rudern waren die Jungen von der Küste schon gewohnt. De Schippers nehmen jo am leewsten Jungens, dee gewohnt wieren to wraken un marachen, wenn se rauhnen deden in de Jöllen. Deshalb hatten es Jungen, die weither aus dem Binnenland kamen, besonders schwer, ein Schiff zu bekommen. Een Tietlang wull jeder Rheinländer (so säden wi: von hoch rut ut ’n Süden von Düütschland) fohren. Dee geben den Schipper Geld to, dat he se bloot an Buurd nehm.

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