Helmut H. Schulz

Denk mal!


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zur Linken, Mangel litt das Heer wohl nicht.

      Macheste kommt nach gründlicher Untersuchung der Rollen zu diesem Schluss:

      "Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass eine fremde Hand in die Rollen eingegriffen hat. Die Struktur des Papyrus ist überall unversehrt und die Herstellung selbst gleichen Datums. Ich finde nur eine Erklärung für dieses Loch im Text: Karsos gab keinen Bericht, weil es nichts zu berichten gab. Er beförderte das Unternehmen, ihm lag daran, rasch zum Euphrat zu gelangen. Das ist die einzige Erklärung, die ich finden konnte, mögen andere scharfsinniger sein als ich. "

      Wie schon bemerkt, löste die Veröffentlichung dieses Teiles der Rollen heftigen Protest aus, es war nicht nur die katholische Partei, die sich gegen die Publikation wandte, aber sie trat als Erste auf den Plan. Nach einem Annäherungsversuch an Macheste, trieb sie ein Subjekt auf, welches unter Eid aussagte, die Rollen gefälscht zu haben. Zwar wurde Macheste gerichtlich rehabilitiert, aber es war ein Pyrrhussieg; der Gelehrte wurde wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Dem Dekan seiner Fakultät, der ihn zu seinem Freispruch beglückwünschte, soll er geantwortet haben: "Mein Herr, ich bin verloren, sie werden zu den Ersten gehören, die mich verraten."

      In der Tat war er verloren. Seinen Arbeiten haftete der Makel an, nicht koscher zu sein. Daran änderte sich auch nichts als der Priester, der den Kopten abgewiesen hatte, um der Wahrheit willen die Exkommunikation auf sich nahm. Es gibt von beiden Männern, dem Kurienbeamten und Macheste ein berühmtes Foto. Beide geben sich darauf die Hände und der Notar, der den Text aufnahm, überreichte Macheste Immortellen. Machestes Klage um Wiederaufnahme des Verfahrens wurde jedoch abgewiesen.

      Ein anderer tragischer Umstand darf nicht unerwähnt bleiben. Beatrice Macheste, nunmehr verehelicht mit einem römischen Baron, rückte unter dem Zwang ihrer neuen Kaste mehr und mehr von ihrem Vater ab. Pausenlos gab sie Interviews, eitel und selbstgefällig. Mit einem Lächeln, welches sogar den blinden Kardinal Mondamino bezaubert haben soll, was an sich schon als Wunder gewertet werden darf, äußerte sie über ihren Vater:

      "Der Gute, manchmal ist er sehr vergesslich. Als ich ihn einmal zu Tisch bat, es gab Pute, sah er mich abwesend an und fragte, "Sie haben sich doch nicht selbst geschlachtet mein Kind?"

      Es kam, wie es kommen musste. All diesen Angriffen hielten weder die Universität, noch die Akademie stand. Man bestürmte Macheste ein Opfer zu bringen. Er tat es, legte alle Titel und Ämter nieder. Seine Familie trennte sich von ihm und er siedelte nach Ajaccio über, von wo aus er seinen Kampf fortsetzte.

      Im Wesentlichen richteten sich die Angriffe des Klerus gegen Inhalt und Interpretation der Karsos-Aufzeichnungen. Dass eine vormessianische Figur in die Geschichte eingeführt wurde, ohne Sanktion der Kirche, das reduzierte den Glauben auf jenen Teil, wo er sein Machtstreben hinter einem mythischen Gebäude verschleiert. Mit Tugendrose und geweihtem Hut und Degen, ließ sich diese Sache nicht mehr aus der Welt schaffen; verlegte doch die Karsosschrift die Etablierung der römischen Kirche gewissermaßen aus der Periode des großen Konstantin zurück in den Nebel biblischer Legenden, und mit der Bibel hatte der Klerus wahrhaftig schon genug Ärger gehabt, so dass die Bemerkung eines Kardinals, die Bibel wäre besser unveröffentlicht geblieben, glaubhaft erscheint.

      Eines ist bei der Kritik richtig, und Macheste hatte stets selber darauf hingewiesen; Sprache, Stil und Denkweise, wie sie in der Schrift zum Ausdruck kommen, sind griechisch, vielleicht prähellenisch, aber eindeutig griechisch. So und nicht anders konnte nur ein Okzidentale die Vorgänge deuten, ein Mann, der in einem freien Staat aufgewachsen war, dem Staatskult, religiöses Leben Element des Politischen war. So konnte nur ein Grieche urteilen. Aus dieser Einsicht Machestes leitete die Kirche ab, die Schrift sei viel später geschrieben worden. Beweisen freilich konnte vorerst niemand, wann die Schrift wirklich geschrieben worden war.

      Vollends ins Fettnäpfchen trat Macheste, der eingefleischte Graecist, mit seinem zweiten Kommentar:

      "Unter antiker Sklaverei stellt sich der moderne, das heißt, der kommunistisch aufgeklärte Mensch etwas wie ein Getto vor.

      Weit gefehlt, der antike Sklave unterschied sich wohl nicht vom modernen Arbeiter, was seine soziale Stellung betrifft. Von den unentwickelten Verhältnissen wurden ja alle gleichermaßen getroffen. Ein heutiger Empfänger von Arbeitslosengeld würde sich sehr bedacht haben, seine Lage mit der eines athenischen Vollbürgers zu tauschen. Man macht sich eben selten klar, wie sehr Konsum mit Freiheit verwechselt wird und die Besitzerin der kleinen Taverne an der Ecke, die sich soeben einen Volvo gekauft hat, wird nie begreifen, dass Kleopatra auch ohne Auto glücklich-unglücklich war.

      Was die Aufzeichnungen des Karsos schlagend belegen, ist dieses: Jede Macht, die sich der Kontrolle entzieht, ist Missbrauch. Darüber hinaus legt Karsos den Mechanismus bloß, der bis in unsere Tage hinein für Revolution und Konterrevolution wirkt.

      Eine beliebige soziale Gruppe sucht nach einem blutigen Gaukler, der geeignet ist, ihr die Geschäfte zu besorgen. Sie findet ihn, rüstet ihn mit Geld aus, setzt ihn in den Stand, Machtgelüste zu entwickeln. Was noch fehlt, ist die Doktrin, die geistige Rechtfertigung des Umsturzes. Hierzu müssen die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden; alles andere ist böse, man selber heilig, tabu, nützlich für alle. Das ist der springende Punkt. Leute, die ihre Lage verbessern wollen, gibt es genug. Bald jedoch ufert das auf demagogische Weise rekrutierte Heer Unzufriedener aus und jener Vorgang setzt ein, den Karsos beschrieben hat. Nach der Säuberung festigt sich die herrschende Clique, richtet sich in der Macht ein und fühlt sich darin so wohl, dass sie diesen Zustand verewigen möchte. So war es aber nicht gemeint; es bleiben noch zwei Dinge zu tun, erstens muss der Strohmann ausgeschaltet werden und darin muss natürlich auch der Gottesstaat auf das normale Maß gebracht werden. So bereitet man einen Machtwechsel vor, nicht mit den unvollkommenen Mitteln der französischen Revolution, siehe Marsch auf Rom. Die Welt wird dieses Trauerspiel wohl noch einige Male über sich ergehen lassen müssen.

      Es ist klar, dass der faschistische Staat antworten musste. Zwar saß Macheste im sicheren Exil und war nicht zu haben, aber etwas konnte immerhin geschehen. Macheste wurde aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßen, seiner Bürgerrechte entkleidet, wegen 'Verächtlichmachung des italienischen Volkes'. Wohlgemerkt, dieses von ihm geliebte Volk hatte Macheste niemals irgendwo angegriffen, im Gegenteil.

      Eine dritte Partei die kommunistische, fühlte sich ebenfalls düpiert. Ihre Ideologen wendeten sich vor allem gegen die weltanschauliche Indifferenz Machestes, wie sie meinten.

      Macheste schrieb im zweiten Kommentar:

      "Die Zeit für eine bewaffnete Revolution ala Russland ist vorbei, Auf diese Art Krieg ist der Staat gefasst, er fordert diese Revolution eher noch heraus. Darum handelt es sich aber gar nicht. Es geht mir bei der Herausgabe der Karsos-Dokumente um jenes Moment, das sich Macht nennt, Macht an sich, Macht um jeden Preis. Allerdings sollten geschulte Marxisten in der Lage sein, eines der Grundprinzipien ihrer Lehre anzuwenden. Alles befindet sich in Bewegung, unwandelbar, einzig, ewig. Endzeit, ununterbrochenes Glück, sind bloße Hirngespinste."

      Macheste wurde im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen zum Renegaten erklärt und aus der Bewegung ausgestoßen, als ob jemand einem anderen einen geistig-ethischen Besitz absprechen könnte.

      Der Anfang des dritten Kommentars, auf den sich Beatrice nach dem Tode ihres Vaters stürzte, um ihn zu Geld zu machen, enthält ein wichtiges Bekenntnis zur Toleranz:

      "Wer vergisst, dass jede Macht delegiert ist und genommen werden kann, wer die Macht um der bloßen Macht willen ausübt, der ist ein Tyrann, aber das Handicap der anderen besteht darin, der Macht nicht mit gleichen Mitteln gegenübertreten zu können, ohne das Prinzip der Toleranz preiszugeben."

      Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! Und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk. Und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! Denn wir worden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der Herr hernieder, dass er sehe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten." Mose 1, Kapitel 11/3/4/5

       2. Teil