Helmut H. Schulz

Denk mal!


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gab mir einen Ruck, ich gedachte meiner eigenen Kinder, auch fielen mir Streitigkeiten aus der Nachbarschaft ein, wo sich Söhne gegen ihre Väter und Töchter gegen Mutter und Vater aufgelehnt hatten, dass sie vom Areopag verurteilt und von uns gesteinigt werden mussten.

      »Ich mochte diese Medea nicht«, sagte ich, »sie sah verlebt aus, als ob sie schon durch viele Hände gegangen war. «

      »Sagte ich schon, dass sie auch die Töchter des Pelias anstiftete, ihn zu töten, zu zerstückeln und zu kochen, die Töchter den eigenen Vater, freilich in Unwissenheit, was sie taten? «

      Mein Simon nahm einen tüchtigen Schluck Wein und sagte zufrieden: »Brot, Zwiebeln und Wein, vielleicht noch ein Stück Schafs- oder Ziegenkäse, wenn du welchen hast, es muss aber nicht sein, darüber geht nichts, o Kleon. Was ich noch sagen wollte, den Töchtern dieses Pelias ist eigentlich kein Vorwurf zu machen. «

      »Und wegen all dieser Sachen trennte sich Jason von Medea? « Mich überlief es eiskalt, zu denken, dass ich, eine ehrlicher Seemann mit einer solchen Familie zu tun gehabt hatte.

      »Unsinn, du wirft alles durcheinander. Jason und Medea gingen doch zunächst nach Korinth, er vermählte sich später mit Glauke. Muss ich noch sagen, dass Medea dieser Glaube ebenfalls tötete? «

      »Und zerstückelte? Beim Styx!«

      »Davon ist mir nichts bekannt«, sagte mein Simon gelassen, »Möglich wäre es. Man sagt, Glauke ist verbrannt. Medea litt an einem Zerstückelungskomplex. Immerhin ist Jason nicht zu tadeln, als er sich von ihr trennte, abgesehen davon, dass ihm der Tod seines Onkel Pelias schließlich sehr gelegen kam. «

      Ich nickte, dann fiel mit ein, dass mein Simon vielleicht auch etwas über den Verbleib des Schatzes wusste, den wir geraubt hatten.

      »Was war es doch gleich, welchen Schatz brachten wir aus der Kolchis heim? « fragte ich.

      »Was für einen Schatz? Das Fell? Meinst du das? «

      »War es ein Fell? Wegen eines gewöhnlichen Felles wären wir um die halbe Welt gefahren? Das ist nicht dein Ernst, mein Simon! «

      Er zuckte die Schultern. »In den Kisten mag Gold gewesen sein, aber an für sich sollte Jason nur das Fell holen, das eines Widders und zwar eines goldenen. Ich glaube, so fing diese Geschichte überhaupt an. Die Gottheit schenkte der Nephele einen goldenen Widder. Die wusste damit nichts anzufangen. Ihr Sohn Phrixos brachte den Schafbock in die Kolchis, opferte ihn der Gottheit und hängte das abgezogene goldene Fell im Hain des Ares auf. Jason wiederum sollte es zurückbringen. «

      »Bei den Göttern, ein goldenes Fell? Ich habe noch nie einen Widder mit einem goldenen Fell gesehen und ich züchte doch seit langem Schafe. «

      Gleichmütig trank mein Simon und begann ein Lied zu summen.

      »Na, sie war aber auch ein schönes Schiff, diese Argo, « sagte ich.

      »Gewiss«, sagte Simon, »man baut heute nur noch so. Von den Symplegaden, die wir besiegt haben und einigen anderen Abenteuern, die uns begegnet sind, könnte ich dir noch erzählen, wenn du willst und falls noch Wein da ist. Sie gehen in Griechenland von Mund zu Mund. «

      »Für dieses Mal wollen wir es genug sein lassen, mein Simon. «

      Er lächelte und ich sah doch einen großen Ernst auf seinem Gesicht, das eines alten Fahrensmannes und während er von seinen anderen harmloseren Abenteuern berichtete, vergaß ich, dass die Heuer schlecht gewesen und der Schiffsherr mürrisch war und erhaben auf uns herabsah, und ein Dreckstück von Weib mitgeschleppt hatte.

      »Glaubst du, dass es Schafböcke mit einem goldenen Fell gibt? « fragte ich.

      »Möglich ist alles; wie du sagst, hat die Gottheit eben die Hand im Spiele. Oben in den Bergen des Kaukasus«, fuhr mein Simon fort, »waschen sie feinen Goldstaub aus dem Flusssand, so fein, dass sie ein Fell als Sieb nehmen, um es aufzufangen. Die größeren Goldkörner – sie sind immer noch so winzig wie ein Staubkorn - kann man mit den Fingern herausklauben, aber die ganz feinen bleiben in dem Fell hängen. Mit der Zeit nehmen diese Haarsiebe einen goldenen Schimmer an, und es ist ein erstaunlicher Anblick, kann ich dir versichern, wenn man diese Felle zum trocknen aufgehängt sieht, aber es nichts Ungewöhnliches dabei. Das goldenen Fließ, wer weiß...

      Du wolltest etwas Käse holen, o Kleon, falls welcher da ist. «

      Ich holte ihm den Käse und er aß. Im Westen ging die Sonne unter, sie färbte den Himmel blutrot. Im Osten dunkelte es. Dort lag der Hellespont, das Tor zum Pontos. Ich rief meine Enkelkinder, um ihnen den Seemann zu zeigen, mit dem ihr Großvater in den alten Tagen des Ruhmes und der Unsterblichkeit auf Heldenfahrt zu den Kolchern gegangen war, denn ich kann es nicht leugnen, ich war schließlich doch stolz dabei gewesen zu sein.

       Lektion 2: DAS TOR GOTTES; BABYLONISCHES TAGEBUCH

      "Wohlauf, lasset uns herniederfahren

      und ihre Sprache daselbst verwirren,

      dass keiner des anderen Sprache verstehe …"

      Mose 1 Kapitel 11/7

       Die Rollen des Fellachen

      Durch die sogenannten Rollen des Fellachen, erstmalig von Rovere Macheste der wissenschaftlichen Welt 1929 zugänglich gemacht, erlebte die christliche Partei eine ihrer eklatantesten Niederlagen. Auf dem Ethnologen Congress im Museo Nationale erklärte Macheste:

      "Ich bin im Besitz von Schriften, welche die Legende von der babylonischen Sprachverwirrung widerlegen. Zu Beginn des Baues sprachen alle bereits das sogenannte Koine, dem Levantinischen vielleicht vergleichbar oder dem Pidginenglish. Die Annahme, im Gefolge der Diadochenkämpfe oder des Hellenismus habe sich Koine ausgebreitet, ist falsch. Das in meinem Besitz befindliche Werk ist in Koine aufgezeichnet."

      Macheste, einer der besten Archäologen seiner Zeit, bekannt als fantasiebegabter Spötter, leitete ein Jahrzehnt lang Ausgrabungen im Zweistromland. Ironisch bemerkte er am Rande des Kongress, er gehe davon aus, dass der beschränkte Jahve annahm, den Turmerbauern könne das unmögliche Werk tatsächlich gelingen. Präsumtive Furcht kennzeichne nun einmal alle Diktatoren. Nach dieser Äußerung verließ die katholische Fraktion den Kongress.

      Der Schriftsteller Jorge Luis Borge, der bekanntlich alle Wirklichkeit durch seine entzückenden historisch-literarischen Einfälle in den Schatten stellt, durfte die Macheste-Manuskripte einsehen, machte aber von seinem Wissen keinen Gebrauch; er schwieg sich darüber bedauerlicherweise aus, aber auf einem Manuskriptblatt Borges' findet sich der angefangene Satz:

      "0, König der Zeit", ... was auf eine arabische Urheberschaft hindeuten würde. In Wirklichkeit beginnen die Rollen des Fellachen aufsehenerregend folgendermaßen:

      "Großer König, König der Könige, König der von allen Völkern bewohnten Länder, König der großen Erde bis weithin."

      Wir haben es also eindeutig mit einer nach Persien gerichteten Schrift zu tun, denn "Großer König" war der Titel der Perserkönige. Ehe wir uns um Aufhellung der tatsächlichen Urheberschaft des Manuskripts bemühen, müssen wir den Spuren nachgehen, welche die Rollen des Fellachen durch die Jahrtausende hinterließen. Die erste Zeit ist noch leicht zu verfolgen. Die Rollen lagen in einem Archiv. Letzteres befand sich in der Nähe der Stadt Uru-sa-lim, es handelt sich um die berühmten Grotten mit den Sieben Eisernen Nägeln. Sieben hintereinanderliegende Höhlen sind durch jeweils einen eisernen Nagel aus der Zeit des Trojanischen Krieges gleichsam versiegelt. Die letzte der Höhlen beherbergte eine mächtige Amphore mit den erwähnten Rollen. Der Fellache drang etwa um 1890 in diese Höhle ein und konnte die Rollen bergen. Sein Name ist nicht überliefert.

      Nun beginnt für die Rollen des Fellachen eine jener Irrfahrten, die einer solchen Entdeckung erst den Hautgout verleihen. Wahrscheinlich wusste der Fellache, welchen Fund er gemacht hatte. Auf dem Weg nach Damaskus traf er mit einem britischen Ägyptologen zusammen, Sir Henry Worchester. Dieser nahm dem sterbenden Fellachen die Rollen