Ivanka Ivanova Pietrek

Pearls of Bulgarian Folklore


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von Kertsch. Aber der leuchtende Sieg Mansteins wirft auch dunkle Schatten, nicht nur auf dem Schlachtfeld. Noch während der Kampfhandlungen um die Stadt Kertsch im Osten der Halbinsel rückt ein Teilkommando der Einsatzgruppe D ein, um die Juden zu ermorden. Die SS „nahm sofort die Arbeit auf“, heißt es in einem Bericht.

      Auf dem Schlachtfeld ist das blutige Handwerk indes getan. Die Bilanz fällt eindeutig aus: Fast 170.000 Rotarmisten geraten in Gefangenschaft, rund 28.000 bezahlen die Fehler ihrer Vorgesetzten mit dem Leben. Der Verteidigung ermangelte es nicht zuletzt an Tiefe. Nach dem Durchbruch der Deutschen fehlten den Russen befestigte rückwärtige Stellungen, auf die sich die ausmanövrierten Truppen hätten absetzen, wieder Front machen und festbeißen können. Im offenen Steppengelände der Halbinsel, die kaum natürliche Hindernisse bietet, waren Koslows Armeen dagegen den schweren Schlägen des VIII. Fliegerkorps mehr oder minder schutzlos ausgeliefert. So gelang Manstein mit zahlenmäßig bescheidenen schnellen Verbänden, der 22. Panzerdivision und einer motorisierten Vorausabteilung unter Oberst Groddeck, die erfolgreiche Verfolgung und schließlich Überflügelung des Gegners. Das XXX. Armeekorps gewann das Wettrennen auf die Hafenstadt Kertsch und verhinderte ein „russisches Dünkirchen“.

      Daneben büßen die Sowjets 258 Panzer und 1.133 Geschütze ein. Von Januar bis April verliert Generalleutnant Koswlows Krimfront 352.000 Mann. Nur Schukows Westfront erleidet in dieser Zeitspanne höhere Verluste. Für Koslow hat das Fiasko auf Kertsch auch persönliche Folgen. Er wird zum Generalmajor degradiert.

      Über die Verluste der siegreichen 11. Armee kursieren widersprüchliche Angaben. Sie reichen von 600 bis zu den 7.588 (!) Gefallenen, die das werk „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“8 ausweist. Sollte letztgenannte Zahl tatsächlich stimmen, erscheint es umso bemerkenswerter, dass die Divisionen der 11. Armee nur zweieinhalb Wochen nach diesem fürchterlichen Aderlass schon wieder gegen Sewastopol antreten! Wahrscheinlicher sind allerdings Gesamtverluste in Höhe zwischen 7.000 und 8.000 Mann, also inklusive der Verwundeten. Diese wohl berechtigte Annahme stützt auch Feldmarschall Bock, seinerzeit Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd. Sein Kriegstagebuch weist einen „blutigen Gesamtverlust“ von „rund 7000 Mann“ aus, also Gefallene plus Verwundete. Fest steht, dass Manstein die erste Runde im Kampf um die Krim klar gewonnen hat. Ein bemerkenswerter Triumph, den die 11. Armee in nicht einmal zwei Wochen erringen konnte.

      Operation „Störfang“ – Mansteins 11. Armee erobert Sewastopol

      Viel Zeit zum Feiern bleibt den Siegern nicht. Schon läuft das Räderwerk zur nächsten, noch gewaltigeren Angriffsschlacht an. Operation „Störfang“ soll Sewastopol zu Fall bringen. Die Festung hält General Petrows Küstenarmee mit sieben Schützendivisionen in einer Gesamtstärke von über 100.000 Mann. Im Schlachtverlauf werden noch Verstärkungen auf dem Seeweg zugeführt. Den Verteidigern stehen gut 600 Geschütze, über 1.000 Granatwerfer, aber nur ein paar Dutzend Panzer und kaum mehr als 50 Flugzeuge zur Verfügung. Ihr gegenüber ist die 11. Armee mit siebeneinhalb deutschen und eineinhalb rumänischen Divisionen, zusammen rund 200.000 Mann, aufmarschiert. Dazu kommen überlegene Flieger- und Artilleriekräfte. Insgesamt warten 1.300 Geschütze auf den Feuerbefehl, darunter 600 großkalibrige Rohre. Auf deutscher Seite ist es die stärkste Konzentration an Artillerie während des gesamten Zweiten Weltkriegs. Ein unglaublicher Aufwand, zu dem der Gegner gezwungen hat. Die Russen haben die Zugänge zur Stadt massiv befestigt. Zahllose Bollwerke im Vorfeld müssen erst sturmreif geschossen werden. Manstein erkennt: Dafür reicht das übliche Vorbereitungsfeuer von Stunden oder gar Minuten nicht aus. Der Oberbefehlshaber der 11. Armee setzt vielmehr auf die Wirkung einer tagelangen Kanonade. Geplant ist eine nachhaltige Zerstörung.

      So beginnt die Operation „Trappenjagd“ am 2. Juni mit einem fünftägigen Artilleriebeschuss und Luftbombardement. Richthofens Geschwadern stehen insgesamt 600 Maschinen zur Verfügung. Die totale Luftherrschaft der Deutschen bleibt auch in den Tagen des „Störfang“ unangefochten. Das VIII. Fliegerkorps fliegt bis zu 1.200 Einsätze pro Tag. Mit der überwältigenden Feuerkraft, die Heer und Luftwaffe entfesseln, sollen Hunderte Betonwerke, bestückt mit schwersten Batterien, breite Bunkergürtel und 350 Kilometer Schützengräben systematisch eingeebnet werden.

      Unter den deutschen Geschützen wirken drei einzigartige Riesenrohre: der Gamma-Mörser im Kaliber 42,7 Zentimeter. Aus dem 6,72 Meter langen Rohr können 923 Kilo schwere Geschosse bis zu 14,25 Kilometer weit verschossen werden. Der Mörser „Karl“, auch „Thor“ genannt, hat ein Kaliber von 61,5 Zentimeter. Er verfeuert aus seinem fünf Meter langen Rohr 2.200 Kilo schwere Granaten auf Entfernungen bis zu fünf Kilometer. Die Geschosse durchschlagen zweieinhalb Meter dicken Beton beziehungsweise 45 Zentimeter starken Stahl. Noch weitaus monströser wirkt das Eisenbahngeschütz „Dora“. Das Ungetüm ist 43 Meter lang, sieben Meter breit, 12 Meter hoch und 1.350 Tonnen schwer. Dieses größte Geschütz der Welt, Kaliber 80 Zentimeter, verschießt Riesengeschosse im Gewicht von 4.800 beziehungsweise 7.000 Kilo. Die 7,80 Meter langen Granaten erzielen, je nach Art der Munition, Reichweiten von 38 bis 47 Kilometern. Zur Bedienung gehören nicht weniger als 4.120 Mann, die drei Schuss pro Stunde abfeuern können. Das Megageschütz durchschlägt bis zu acht Meter dicken Eisenbeton respektive 32 Meter gewachsenen Boden. Eine wahnsinnige Schöpfung durchgeknallter Rüstungsfachleute.

      Der Luftwaffensoldat Kurt Kull9, Angehöriger der Flakbatterie 293, wird Zeuge der monströsen Veranstaltung. Seine Zwei-Zentimeter-Flak ist zum Schutz des Eisenbahngeschützes „Dora“ eingesetzt. Der blutjunge Frankfurter berichtet über den großen Knall:

      „Der Schuss war ein umwerfendes Erlebnis: Die Detonation war so gewaltig, dass es uns zu Boden riss. Die zurücksausende Lafette konnte durch elastische Puffer erst nach mehreren Hundert Metern aufgefangen werden.“

      Kull und seine Kameraden können sogar den „Austritt des Geschosses aus dem Riesenrohr“ genau verfolgen. Die einschlagenden Granaten reißen Löcher von der Größe eines Wohnhauses.

      Während seines Einsatzes auf der Krim wird Kull allerdings auch Zeuge eines anderen niederschmetternden Ereignisses. Als die Flak-Kanoniere neue Stellungen schanzen, stoßen sie auf ein Massengrab mit männlichen Leichen. Kull und seine Kameraden erhalten Befehl, die Toten wieder mit Erde zu bedecken und sich ihre Deckungslöcher woanders zu graben …

      Im Herbst 1942 soll die düstere Ahnung aus dem Sommer durch ein weiteres Vorkommnis indirekt bestätigt werden. Diesmal kann Kull durchs Fernrohr beobachten, wie SS-Angehörige 30 bis 40 kniende Männer durch Genickschuss liquidieren. Als der Frankfurter seinem Hauptmann Reichert gutgläubig Meldung über die Exekution macht, antwortet dieser schroff:

      „Kull, vergessen Sie, was Sie gesehen haben!“

      Aber der 20-jährige mit dem Bubi-Gesicht kann das Verbrechen nicht so einfach verdrängen, leidet seither unter Albträumen.

      Derweil zermürbt das tagelange Trommelfeuer die Verteidiger Sewastopols. Allein die 8,8-Batterien des Flakregiments 18 verschießen im Laufe der 27-tägigen Schlacht 181.787 Granaten. Und das Artillerieregiment 22 der 22. Infanteriedivision verfeuert über 100.000 Granaten. Kann sich da überhaupt noch wer zur Gegenwehr erheben, wenn die deutsche Infanterie zum Sturm antritt?

      *

      Am 7. Juni beginnt der Vorstoß der 11. Armee auf Sewastopol. Den Hauptschlag führt das LIV. Armeekorps unter General der Artillerie Hansen mit der 22., 24., 50. und 132. Infanteriedivision von Nordosten her. Aber trotz des tagelangen Vernichtungsfeuers gibt es erbitterte Gegenwehr – erst im waldigen Berggelände, dann in den Festungswerken. Mörderischer Hitze liegt über dem rauchgeschwängerten Schlachtfeld. Am 13. Juni zeigt das Thermometer 38 Grad Celsius. In den Sturmgeschützen, die den vorgehenden Stoßtrupps zugeteilt sind, herrschen über 50 Grad. Schweiß fließt in Strömen, und bald auch Blut. Ein Mitkämpfer der Infanterie beschreibt seine Eindrücke der Schlacht:

      „In einer kleinen Senke plötzlich ein feindliches MG-Nest. Auf unser Feuer hin stehen drei Mann auf und heben die Hände. Als wir langsam näher gehen, schießen zwei andere, die noch in Deckung liegen, mit dem MG auf uns. Ein weiterer stellt sich tot. Als wir vorbei sind, flitzt er hoch und will uns in den Rücken fallen. Das ist die bolschewistische Kampfmethode. Sie alle sprechen sich