Sindy Sea Turtle

Auf Schatzsuche in Schottland


Скачать книгу

       Es erging uns wie unseren Brüdern in Lindisfarne. Gott hat uns eine schwere Prüfung gesandt. Die wilden Männer aus dem Norden zerstörten Muir of Ord. Nur ich konnte mich mit unserem kostbarsten Heiligtum retten. So Gott mir weiter gnädig ist, werde ich mich in den Rachen des Ungeheuers begeben und dort Schutz suchen. Eilt, wenn ihr diese Botschaft erhaltet, zu Hilfe. Mael Coluim

      Pater O’Brian hatte Frederik Mühlgneisel die Bibelseite sogar gezeigt. Der Hobbyhistoriker O’Brian hatte herausgefunden, dass es sich bei Muir of Ord um einen Vorläufer der Abbtei Beauly, die nördlich von Inverness gelegen ist, handelte. Offenbar ging Pater O’Brian davon aus, dass der Schatz längst verschollen oder vielleicht doch noch in die Hände der Wikinger gefallen war. Er hielt die Bibelseite lediglich für ein interessantes historisches Dokument. Das sah Frederik Mühlgneisel nicht so. Er widmete den Rest seines Urlaubs der Schatzsuche. Doch er musste die Rückreise nach Deutschland antreten, bevor er fündig wurde.

      „Wow, das ist ja super. Wetten, dass wir den Schatz aufspüren?“ Finn war begeistert. Jetzt würden sie nicht nur gemeinsam nach Schottland fahren, sondern auch noch einen richtigen Schatz entdecken – denn, dass ihnen das gelingen würde, daran zweifelte er nicht eine Sekunde. Tim war ebenso fasziniert wie Finn. Aber er hatte Bedenken.

      „Aber das Tagebuch gehört uns doch gar nicht. Das ist bestimmt nur aus Versehen in der Bücherkiste gelandet. Wir müssen es zurückgeben“, wandte er zaghaft ein.

      „Du spinnst, dein Vater hat doch die ganze Bücherkiste gekauft, also gehört es jetzt dir“, rief Finn empört. „Außerdem wissen wir ja überhaupt nicht, wie dieser Verkäufer heißt und wo er wohnt. Wir können es also gar nicht zurückbringen. Der Flohmarkt ist längst vorbei, es ist ja schon halb fünf Uhr.“

      Je länger Finn redete, desto deutlicher hörte Tim heraus, dass Finn sich mit seinen tollen Argumenten noch nicht einmal selbst überzeugen konnte. Und als sie Tims Eltern das Tagebuch zeigten – natürlich ohne sie auf den Schatz hinzuweisen, denn der sollte ja ihr Geheimnis bleiben – meinten auch sie, Tim sollte das Tagebuch dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben.

      „Mühlgneisel ist ja wirklich kein häufiger Name. Außerdem kommen die meisten Händler auf dem Kruschtelmarkt doch aus der Umgebung. Schaut doch einfach mal im Karlsruher Telefonbuch nach, ob ihr den Namen findet“, schlug Tims Mutter vor.

      Tatsächlich gab es nur einen Eintrag für „Mühlgneisel“. Ein Hans-Jörg Mühlgneisel im Vorort Grötzingen. Schweren Herzens rief Tim dort an.

      „Ja, hallo. Ich bin Tim Schneider. Heute morgen hat mein Vater Ihnen eine ganze Kiste mit Schottlandbüchern abgekauft. Da war auch ein Tagebuch dabei. Also, Sie sagten ja, dass die Sachen Ihrem verstorbenen Bruder gehörten und da dachte ich, Sie wollten das vielleicht gar nicht verkaufen. Ich würde es Ihnen natürlich zurückgeben...“ Tim ratterte die Sätze, die er sich vorher zurecht gelegt hatte, möglichst schnell herunter. Finn stand daneben und verdrehte die Augen – fehlte ja nur noch, dass er den Schatz erwähnte. Doch darüber hätte er sich keine Sorgen machen müssen, denn Hans-Jörg Mühlgneisel war schwerhörig und verstand nur die Hälfte von dem, was Tim ihm sagte.

      „Ach ja, der nette Junge vom Flohmarkt. Was meinst du, ein Tagebuch? Entschuldige, mein Hörgerät funktioniert gerade nicht richtig. Kannst du nicht vorbeikommen, dann können wir uns unterhalten. Ich wohne in Grötzingen, schräg gegenüber von der Eislotte, in dem alten Fachwerkhaus“, schlug Herr Mühlgneisel vor.

      „Klar, kann ich machen“, antwortete Tim. Den Eissalon kannte er gut. Schon oft war er mit Finn auf dem Rückweg vom Baggersee dort vorbeigeradelt und sie hatten sich beide ein Eis gekauft.

      „Kann ich einen Freund mitbringen?“ fragte Tim. Ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, allein jemanden zu besuchen, den er überhaupt nicht kannte.

      „Aber sicher, Hausnummer acht. Das findet ihr leicht“, antwortete Herr Mühlgneisel.

      Zwanzig Minuten später standen sie mit ihren Rädern vor dem Hoftor mit der Hausnummer acht und klingelten. Herr Mühlgneisel öffnete ihnen und führte sie in die Wohnung. Das Wohnzimmer war voll mit dunklen Eichenmöbeln. Auf dem Tisch lag eine hellbraune Häkeldecke, an den Wänden hing ein nachgedunkeltes Ölbild mit einem röhrenden Hirsch. Eine große Standuhr schlug gerade sechs. Die Luft roch leicht muffig.

      „Mensch, das ist ja wie eine Zeitreise. Ich dachte, solche Wohnungen gibt es längst nicht mehr“, flüsterte Finn Tim zu. Tim dagegen kannte diesen Einrichtungsstil sehr wohl. Er besuchte regelmäßig seine Oma im Altersheim. Die Senioren, die dort einzogen, richteten ihre Zwei-Zimmer-Apartments mit ihren alten Möbeln ein. Fast alle Wohnungen im „Seniorenstift Waldschlössel“ sahen so oder so ähnlich aus.

      „Setzt euch doch, Jungs. Wollt ihr eine Limonade?“, fragte Herr Mühlgneisel freundlich.

      „Ja, gerne“, antwortete Tim höflich. Er fragte sich, was Herr Mühlgneisel wohl unter einer Limonade verstand. Aber was das Essen und Trinken anbetraf, hatte Herr Mühlgneisel einen sehr modernen Geschmack. Er kam mit einer Packung Chips und drei Dosen Cola zurück.

      „Hier, greift zu“, sagte er, warf Finn die Chipstüte zu und machte sich selbst eine Coladose auf. „Also, habe ich das richtig verstanden, ihr wollt mir etwas aus der Flohmarktkiste zurückgeben?“

      Während Finn mit einem lauten Ratsch die Tüte aufplatzen lies und hungrig drauflosmampfte, setzte Tim zu einer Erklärung an:

      „Ja, wir haben das Tagebuch Ihres Bruders gefunden und dachten, es ist vielleicht nur aus Versehen unter die Schottlandbücher geraten. Sicher wollen Sie das doch behalten?“

      „Habt ihr es dabei? Könnt ihr es mir mal zeigen?“, fragte Herr Mühlkneisel interessiert.

      „Ja hier – bitte.“

      Tim zog das Tagebuch aus dem Rucksack und reichte es Herrn Mühlgneisel. Der blätterte es andächtig durch, während Tim und Finn ihre Cola tranken. “Ja, ja, der Henrik“ murmelte er hin und wieder. Er schien völlig in seine Erinnerungen versunken zu sein und schaute erst wieder auf, als Finn Tim mit dem Ellenbogen anschubste und meinte: „Wir müssen dann mal wieder los.“

      Da klappte Herr Mühlgneisel das Buch zu und gab es den verblüfften Freunden zurück.

      „Nehmt es ruhig wieder mit, wenn ihr Lust habt, es zu lesen. Ist ja vielleicht ganz spannend, ihr fahrt doch demnächst nach Schottland, oder?“

      „Oh, ja!“, rief Finn erfreut und schnappte sich das Buch. Tim aber hatte kein gutes Gefühl bei der Sache und platzte mit der Wahrheit heraus:

      „Aber Ihr Bruder hat doch Hinweise auf einen alten Schatz, der vor den Wikingern in Sicherheit gebracht wurde, gefunden.“

      Finn bedachte ihn mit einem strafenden Blick.

      „Echt?“, Herr Mühlgneisel lächelte erst und fing dann an zu lachen – lange und herzhaft. Finn und Tim sahen sich verständnislos an.

      „Das ist kein Witz“, meinte Tim, leicht beleidigt.

      „Nein, nein, natürlich nicht. Ich lache nur, weil ich mich freue, dass Henrik doch noch ein richtiges Abenteuer auf seiner Schottlandreise erlebt hat. Das hat er sich immer gewünscht, müsst ihr wissen. Er wollte auch unbedingt noch mal hinfahren. Leider ist nichts mehr daraus geworden, er war schon zu krank und ist bald nach seiner Rückkehr aus Schottland gestorben. Wisst ihr was? Sucht ihr doch nach dem Schatz. Henrik hätte es bestimmt toll gefunden, dass jemand seinen Spuren folgt. Ich bin ja schon viel zu alt für so etwas.“

      Dieses Angebot nahmen Tim und Finn sofort an. Die restlichen Tage vor der Abreise nach Schottland verbrachten die beiden – sehr zur Verwunderung ihrer Eltern, denn es war eigentlich schon Schwimmbadwetter – lesend auf dem Baumhaus. Sie wollten unbedingt so viele Informationen wie möglich sammeln, bevor die Jagd nach dem Schatz losging.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст