Ole R. Börgdahl

Der Kaiser von Elba


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Durant schüttelte den Kopf. »Nein, wir sind in Ihrer Schuld, da Sie es gewagt haben … aber ich will es mir nicht wieder in Erinnerung rufen, es hat uns doch sehr mitgenommen, weshalb wir uns auch so schnell zurückgezogen haben.«

      »Ich bitte Sie, Madame, dafür habe ich vollstes Verständnis, es war auch für mich ein aufregendes Ereignis. Ich habe mir erlaubt, der Obrigkeit Bericht zu erstatten. Dieser Ort hier steht unter Kriegsrecht und ich möchte nicht, dass Sie noch weitere Unannehmlichkeiten haben, wenn hier eine Untersuchung stattfindet.«

      »Eine Untersuchung?«, wiederholte Madame Durant. »Ich verstehe nicht.« Sie räusperte sich und wandte sich an ihren Sohn. »Philippe, würdest du bitte zu Julie in die Küche gehen. Sie darf dir zu Essen geben, wenn du hungrig bist.«

      Der Junge gehorchte sofort, erhob sich von seinem Stuhl, vollzog einen weiteren, artigen Diener in meine Richtung und verließ den Raum. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sah Madame Durant mich wieder an, wobei sie einen ernsten Gesichtsausdruck annahm.

      »Glauben Sie, dass wir Schwierigkeiten bekommen? Es sind immerhin Menschen gestorben, der arme Paul, ich weiß gar nicht, was ich seiner Familie sagen soll. Er hat eine alte Mutter, für die er gesorgt hat und …« Sie stutzte. »Entschuldigen Sie, aber mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf.«

      »Nein, nein, das ist schon in Ordnung, dafür habe ich vollstes Verständnis, Madame, und darum habe ich die Angelegenheit für Sie auch schon geregelt, wenn das überhaupt möglich ist.«

      »Ich weiß nicht, es ist alles so schrecklich. Wir haben kein Geld und es gibt auch nichts von Wert im Haus und dafür musste der arme Paul sterben und nicht nur er.«

      »Es ist Krieg«, sagte ich. »Machen Sie sich keine Gedanken, warum das geschehen ist, es hätte jeden treffen können. Es wird sicher noch etwas dauern, bis die Zeiten wieder ruhiger werden.«

      Sie nickte, sah mich dabei mit ihren hellblauen Augen eindringlich an, so dass ich beinahe verlegen wurde.

      »Aber verzeihen Sie«, sagte sie plötzlich. »Ich habe noch gar nicht gefragt, wie es Ihnen geht. Sie wurden verletzt, ich sehe doch die schlimmen Verbrennungen in Ihrem Gesicht. Sie müssen mir sagen, was Sie sonst noch im Kampf mit diesen Männern davongetragen haben.«

      »Es ist nicht so schlimm.« Ich berührte die Stellen in meinem Gesicht. Die Verbände hatte ich bereits abgenommen, aber es haftete noch die Salbe auf meiner Haut.

      »Nein, es ist schlimm, ich sehe es doch.« Sie überlegte. »Ich habe bereits erfahren, dass die Preußen in Versailles sind, Truppen, sehr viele Soldaten, und alles sucht Quartier. Wenn es Ihnen genügt, können Sie sich auch in den kommenden Nächten in der Bibliothek einrichten.«

      »Das kann ich nicht annehmen«, sagte ich, ohne es wirklich so zu meinen. »Ich finde ganz bestimmt woanders Quartier und außerdem werde ich bald wieder nach Paris beordert. Ich gehöre schließlich nicht zu Barclay de Tollys Leuten.«

      »Sie sind Schwede, Herr Kapten, stehen denn auch schwedische Truppen in Paris?«

      »Die Koalition steht in und vor Paris«, antwortete ich zögerlich, weil ich sofort an ein Verhör dachte, aber dennoch davon überzeugt war, dass Madame Durants Frage harmlos war. »Sie wissen sicherlich, dass die Koalition aus Russen, Preußen, Österreichern und auch aus Schweden besteht.«

      Sie nickte zögerlich. »Ich bin nicht so gut informiert, wie Sie vielleicht glauben. Und ich biete Ihnen Quartier aus Selbstschutz. Mit Ihnen im Haus fühlen mein Sohn und ich uns sicherer. Sie können auch einige Ihrer Leute in der Scheune unterbringen, das wäre mir sogar sehr recht.«

      »Dann sage ich zu, muss Ihnen aber leider mitteilen, dass ich alleine bin. Aber was heißt alleine, die preußische Armee sorgt hier jetzt für Ordnung, wenn es notwendig ist. Und falls ein Großteil der Kontingente auch abgezogen wird, weil Ihr Kaiser noch nicht kapituliert hat, dann verbleiben aber immer noch genug Truppen in Versailles.«

      »Der Kaiser, Napoléon Bonaparte? Dann ist der Krieg noch nicht vorüber?«

      »Ich versichere Ihnen, Madame Durant, es ist vorüber, es ist nur noch eine Sache von Verhandlungen. Napoléon hat die Bedingungen für einen Frieden ganz sicher schon erhalten, aber das ist Politik, von der ich auch nicht viel verstehe. Die nächsten Tage werden ganz sicher Klarheit über die Zukunft Frankreichs bringen.«

      »Die nächsten Tage?« Sie nickte. »Dann müssen Sie bis dahin zusagen, meinem Sohn und mir beizustehen und bei uns Quartier nehmen. Bitte, Herr Kapten Hanson, sagen Sie zu.«

      *

      Es fiel mir nicht schwer, ihrer Bitte zu entsprechen, denn Madame Bellevie Durant war wirklich eine sehr schöne Frau und erinnerte mich schon bei unserer ersten dramatischen Begegnung an eine unglückliche Liebe, der ich wenige Monate zuvor in Lübeck nachgehangen hatte. Damals war ich Louisa Brinckhoff in der Buchhandlung ihres Vaters begegnet, hatte mich sofort in sie verliebt, musste dann aber schmerzlich feststellen, dass sie sich bereits einem anderen Mann versprochen hatte.

      Und dies nicht genug, verstand Louisa mein ungeschicktes Werben falsch und zog mich in eine Intrige hinein. Denn Louisas Auserwählter, den ich damals so beneidete, fand bei ihrem Vater keine Zustimmung. So wurde ich als Bräutigam ausgegeben, um den Vater zu erpressen, weil ich mit meiner Frau selbstverständlich von Lübeck in meine schwedische Heimat ziehen würde. Und genau diese Trennung von der Tochter sollte für den Vater schlimmer sein, als einen nicht standesgemäßen Schwiegersohn zu akzeptieren.

      Ich ließ mich auf Louisas Spiel ein, trat dann aber von der Bühne dieses im Grunde gemeinen Stücks ab. Ich musste Lübeck für ein paar Wochen verlassen, um an der Belagerung Glückstadts teilzunehmen. Nach meiner Rückkehr erfuhr ich, dass die Dinge einen ganz anderen Lauf genommen hatten. Louisa hatte mit ihrer wahren Liebe Lübeck verlassen, war vor dem Vater geflüchtet, der seinerseits das Paar in Richtung Berlin verfolgte. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem auch ich Lübeck endgültig verlassen musste, erfuhr ich nicht, was aus dem Drama geworden war.

      Und jetzt war es Madame Durant, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Sie hatte das gleiche faszinierende Blau in ihren Augen wie jene Louisa Brinckhoff und auch dieses üppige, dunkle Haar, das bei ihr allerdings nicht tief schwarz, sondern dunkelbraun war und dabei im Sonnenlicht in einem reizvollen Rotton glänzte. Aber was machte ich da, dass ich es wagte, die beiden Frauen miteinander zu vergleichen, dass ich überhaupt einen Gedanken daran verloren hatte. Obwohl es Louisa bei weitem nicht an Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit gemangelt hatte, fehlte ihr doch etwas. Und dieses Etwas konnte ich anfangs nicht greifen, dann fiel mir der Wesenszug dieses Unterschieds jedoch ein. Madame Durant war reifer und dadurch unerreichbar für mich. Dies lag nicht alleine daran, dass sie mit Philippe bereits einen zehnjährigen Sohn hatte. Es gab noch weitere Merkmale dieser Reife, die ich nicht in Worte fassen konnte. Alles jedoch mündete in eine Form der Bewunderung, die ich für diese Frau entwickelte und die es mir immer schwerer machte, mich in ihrer Gegenwart unbefangen zu verhalten. Ich musste immer mehr eine Verlegenheit überspielen, die ins unermessliche anwuchs, wenn sie mir während unserer Spaziergänge näherkam oder wenn sie mich sogar das eine oder andere Mal berührte, wenn sie mich auf etwas aufmerksam machen wollte.

      Noch am Tag nach dem Überfall machten wir nämlich einen Spaziergang durch den Petit Parc von Versailles. Sie zeigte mir die Gärten und Anlagen und da ich wenig davon verstand, führte sie ihre Erklärungen weiter aus. Versailles war ein großangelegter Barockgarten mit dem flachen, nur niedrig bepflanzten Parterre, auf dem auch an diesem Tag zahlreiche Gärtner und Gehilfen ihrer Arbeit nachgingen. Madame Durant begrüßte die Leute und wurde selbst dabei mit höflichem Diener oder Knicks geehrt. Die Männer und Frauen hatten Respekt vor ihr, was mich ebenfalls beeindruckte und sie noch ferner von mir rückte.

      Danach lernte ich, was ein Boskett, ein Lustwäldchen, ist und so hatte das Labyrinth aus Bäumen seine Erklärung. Es blieb allerdings nur bei der Erklärung, weil mir Madame Durant vor allem die große Orangerie zeigen wollte. Denn hier züchtete sie sogar selbst einige Blumensorten, die gerade jetzt mit dem beginnenden Frühling kräftig wuchsen und auch schon in Blüte standen, und dies ein, zwei Wochen vor der Zeit, weil die Pflanzen im Garten der Orangerie