Ole R. Börgdahl

Der Kaiser von Elba


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es, man entdeckte uns, was auch von den Royalisten provoziert war, die noch bei uns standen. Eine Gruppe der Angreifer schwenkte in unsere Richtung. Die Royalisten stürmten ihnen entgegen, hatten als Waffen aber nur ihre Gläser, Flaschen und Bierhumpen, so dass sie schnell zurückgetrieben wurden. Das Kampfgetümmel kam uns gefährlich nahe. Wir waren aber wie erstarrt, standen an der Häuserwand gedrängt und jeder wartete auf einen Impuls zu flüchten. So etwas ereignet sich tatsächlich, diese Starre, gegen die man machtlos ist. Ich habe es selbst erlebt und nicht nur einmal und nicht nur in eben dieser Nacht in Paris.

      Erneut war es Micha, der seine Kameraden und mich mitriss. Wir waren allerdings bereits in Bedrängnis geraten. Knüppel schwangen in unsere Richtung und erwischten einen jungen Kavalleristen an der Hand. Sofort wurde zurückgeschlagen und obwohl wir selbst unbewaffnet waren, änderte sich dies schnell. Es war ein Leichtes, den Angreifern ihre Stöcke und Knüppel abzunehmen. Kampferfahrene Soldaten, gegen einen Pöbel, der Gegenwehr seiner Opfer nicht gewohnt war. Wir schlugen zurück, vertrieben die Angreifer, die sich auf uns gestürzt hatten, und befreiten sogar die Royalisten aus ihrer Not.

      Jetzt wollte man uns gegen die Hauptmacht der Angreifer schicken. Der Kampf vor der Kneipe schien nämlich zu kippen. Ich übernahm schließlich die Führung, aber wir ließen uns nicht in die Angelegenheit zwischen Royalisten und Bonapartisten hineinziehen. Wir warfen die Knüppel weg, drängten uns aus der Menge frei und setzten endlich unseren Weg fort, den wir schon längst hätten nehmen sollen. Ich war erst an der Spitze, kümmerte mich dann aber um einen Kameraden, der gestürzt war. Plötzlich zischte ein Stock haarscharf an meinem Kopf vorbei. Der dreiste Angreifer setzte erneut zum Schlag an, doch Micha stellte sich dazwischen und teilte einen beherzten Tritt aus. Der Getroffene sackte sofort zusammen und ich konnte den Schmerz gut nachvollziehen, da ich selbst ein Ziehen in dieser gewissen Körperregion verspürte.

      Micha und ich eilten unseren Kameraden hinterher, ohne uns noch einmal umzusehen. Sie brachten mich schließlich zurück zur Stadtvilla. Wir verabschiedeten uns herzlich und besonders Micha erhielt von mir eine freundschaftliche Umarmung da wir nicht wussten, wann wir uns wiedersehen würden, denn ich sollte schließlich am nächsten Tag nach Fontainebleau reisen.

      *

      Im Leben und besonders in Zeiten des Krieges kommen die Dinge immer anders als geplant. Die Reise nach Fontainebleau traten Överste Kungsholm und ich am nächsten Tag nicht an. Es war zu diesem Zeitpunkt plötzlich unpassend, dass wir dort auftauchten, denn Zar Alexander und Napoléon Bonaparte fochten noch immer die Bedingungen der Abdankung aus. Es waren allerdings einseitige Verhandlungen, da der Kaiser von Frankreich, der er bis zum 11. April noch war, keinen Spielraum für eigene Forderungen hatte.

      Ich blieb also noch zwei weitere Tage in Paris, verfasste zusammen mit Överste Kungsholm einige Depeschen. Es gab dann auch eine zweite Verabschiedung zwischen mir und Micha, der mit seiner Eskadron ebenfalls Paris verließ und dies sogar endgültiger als ich, da seine Kavallerie nach Nordosten geschickt wurde, um die Einheiten zu reduzieren, die sich in Paris oder innerhalb der französischen Grenzen befanden. Es sollte der erste Schritt sein, Frankreich wieder zur Normalität zu führen, insgeheim aber war es eine Forderung der Briten. Denn an den beiden Tagen, die ich in Paris wieder Stabsaufgaben übernahm, erfuhren wir über die Kriegserfolge des Field marshals Sir Arthur Wellesley. Während Napoléon vom Norden her bekämpft wurde und die Koalition es bis nach Paris geschafft hatte, tobte im französisch besetzten Spanien und Portugal ein Bürgerkrieg, in den die Briten bereits einige Jahre zuvor eingegriffen hatten.

      Im Jahre 1808 begann die britische Intervention von Portugal aus und sie war von Anfang an ein schmerzhafter Stachel in Napoléons Fleisch. Diese Formulierung stammte von Överste Kungsholm, der erstaunlich gut über den Peninsular War der Briten unter Arthur Wellesley unterrichtet war. Er wusste auch über die Indienzeit Wellesleys zu berichten und mir wurde eine Geschichtsstunde mit Informationen geboten, von denen ich zuvor nie gehört hatte. Indien ist mir seither im Gedächtnis geblieben und wäre ein Ort, den ich gerne einmal kennengelernt hätte.

      Der Stachel in Napoléons Fleisch ließ sich jedenfalls nie ganz herausziehen, obwohl der Kaiser mehrmals persönlich eingriff. Und am Ende war die spanische und portugiesische Sache verloren. Die Reste der französischen Besatzer unter Maréchal Soult wurden über die Pyrenäen nach Südfrankreich zurückgedrängt. Die Briten unter Field marshal Wellesley setzten nach und verdienten sich spätestens jetzt das Recht auf eine bedeutendere Rolle in der Koalition gegen Napoléon Bonaparte.

      In einer der letzten Depeschen, die über Umwege nach Paris gelangt waren, und die wir übersetzten und weiterleiteten, wurde ein Treffen in der Gegend um Toulouse angekündigt. Maréchal Soult hatte sich in die südfranzösische Stadt zurückgezogen, während die Briten unter Wellesley vorrückten.

      Am Morgen des 9. April entließ mich Överste Kungsholm vorerst, gab mir ein paar Tage frei, so dass ich noch einmal nach Versailles zurückzukehren konnte. Ich fieberte dem Besuch entgegen, gab meinem Pferd kaum eine Pause, bis wir die gut zwölf Meilen geschafft hatten. Ich ritt über den großen Platz auf das Schloss zu, nahm dann einen Weg links an den Gebäudeflügeln vorbei und gelangte über die Treppe der hundert Stufen in den Garten der Orangerie. Ich war schon überlegt, Bellevie dort aufzusuchen, ich vermutete aber, dass Sie einen Mittagsimbiss im Herrenhaus einnahm und so war dies mein Ziel, weil ich mich dort auch frisch machen konnte.

      Ich ritt also weiter, durch den menschenleeren Park und erst jetzt fiel mir ein, dass Samstag war und dazu der Tag zwischen Karfreitag und Ostersonntag. In den Tagen, die ich in Paris verbracht hatte, war mir nicht bewusst geworden, dass wir uns in der Woche vor Ostern befanden, dazu waren die Zeiten zu kriegerisch. Aber ich freute mich, denn so hatte ich die Gelegenheit, das Osterfest in Versailles und vor allem in Gesellschaft von Bellevie zu verbringen. Dann wieder kam es mir in den Sinn, dass auch Bellevies Ehemann und Philippes Vater heimgekehrt sein konnte. In diesem Falle würde ich mich selbstverständlich zurückziehen.

      Mit diesen Gedanken im Kopf erreichte ich das Herrenhaus, das mir wie der Park so merkwürdig still vorkam. Tore und Türen waren verschlossen, ganz so wie an jenem Abend, als ich das erste Mal dort war. Ich ging diesmal gleich zum Hauptportal, band mein Pferd an der Tränke fest und es begann auch gleich gierig zu saufen. Ich blieb kurz an der Stelle stehen, an der Bellevies Diener gestorben war und an der ich seinen Mörder gerichtet hatte. Ich trat schließlich vor die Eingangstür und schlug den silbernen Klopfer. Im Haus tat sich nichts, ich versuchte es ein zweites und drittes Mal, erst dann stellte ich fest, dass die Tür verschlossen war.

      Ich war schon im Begriff, an den Fenstern nachsehen, aber dies gehörte sich nicht. Ich wollte mein Pferd wenigsten im Stall unterbringen, aber auch dazu hatte ich keine Erlaubnis. Ich ließ meinem Schimmel noch ein paar Minuten an der Tränke, auch in der Hoffnung, dass mir doch noch jemand aufmachte oder dass Bellevie und Philippe von einem Ausflug oder Besuch zurückkehrten. Meine Hoffnung wurde nicht erfüllt und so sollte die Orangerie mein nächstes Ziel sein.

      Ich ritt nicht durch den Park, sondern nahm die Abkürzung über die Straße, die um das Schlossareal herumführte. Es gab einen offenen Seiteneingang und so gelangte ich hinter das große Wasserbecken und auf einen Weg, der direkt auf den Garten der Orangerie zulief. Mein Pferd war immer noch durstig. Ich stieg ab, band es an einem niedrigen Geländer fest, so dass es am Ufer des Wasserbeckens grasen konnte. Ich ging zu Fuß weiter, hatte keine hundert Yards mehr vor mir und sah mich nach Menschen um. Und tatsächlich war ein Gärtner mit dem Stutzen der ersten Orangenbäumchen beschäftigt, die man schon aus den Arkaden in den Garten gebracht hatte. Ich grüßte ihn, was er mit einem zurückhaltenden Nicken quittierte.

      Ich ging weiter bis unter die Arkaden der Orangerie und fand die Räume abgesperrt, die sich direkt unter dem darüberliegenden Schlosshof befanden. Ich rüttelte an den Türen, klopfte sogar, ohne dass mir jemand aufmachte. Ich kehrte in den Garten zurück, fand aber den Orangenbaum verlassen vor. Dann hörte ich hinter mir das Quietschen eines Rades. Ich drehte mich um. Der Gärtner hatte ein weiteres Orangenbäumchen auf seine Schubkarre gehievt und brachte es jetzt zu seinem neuen Standort. Ich begleitete ihn zunächst wortlos und half ihm dann beim Abladen.

      »Merci monsieur!«, sagte er knapp.

      »De rien.« Ich zögerte. »Können Sie mir sagen,