Petra Pfeiffer

Gano


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Kommode mit einem altmodischen schwarzen Wählscheibentelefon. Am Ende des Flurs stand die Tür zu einem hellerleuchteten Raum offen, auf der rechten Seite befanden sich zwei geschlossene Türen. Links von ihr führte eine Holztreppe mit durchgetretenen Stufen nach oben.

      Ihre Bluse fühlte sich im Rücken klatschnass an und klebte auf der Haut. Ich bin völlig durchgeschwitzt, dachte sie. Langsam fand ihr Herz wieder zu seinem normalen Rhythmus zurück. Du meine Güte, schuldbewusst blickte sie an sich herunter, ich hab den schönen Holzboden voll getropft. Unter ihr hatte sich eine dunkle Lache gebildet. War der Nebel so feucht, überlegte sie. Sie ging in die Knie und wühlte hektisch in ihrer Tasche nach ihrem Handy; sie wollte jetzt unbedingt mit jemandem reden, am besten mit ihrer Mutter. Ein Blick auf das Display zeigte ihr, dass sie keinen Empfang hatte. Mist. Enttäuscht schaltete Ella das Gerät wieder aus und steckte es in die Hosentasche. Prima, dachte sie, wahrscheinlich müsste sie nach draußen gehen, um Empfang zu bekommen, aber das kam im Moment überhaupt nicht in Frage. Womöglich lungerten die drei Kerle noch im Vorgarten herum.

      Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie eine Bewegung. Am Ende des Flurs stand ein Mädchen. Es hatte beide Hände entsetzt auf den Mund gepresst und sah sie mit riesengroßen erschreckten Augen an. Ihre Gestalt flimmerte und war etwas verschwommen. »Hallo, tut mir leid …«, begann Ella und machte einen Schritt auf das Mädchen zu. Da war es plötzlich weg, wie vom Erdboden verschluckt. Ella blinzelte verwirrt. Sie fühlte sich auf einmal so schlecht, dass sie kurz in die Hocke ging und befürchtete, einfach umzukippen. Dann ließ der Druck in ihrem Kopf wieder nach. Was war das denn, überlegte sie und ging vorsichtig den Flur entlang. »Hallo?«, krächzte Ella. Sie räusperte sich und rief nochmal: »Hallo? Entschuldigung, die Tür stand offen!« Sie wartete einen Moment, doch nichts regte sich.

      Vorsichtig spähte sie in den hell erleuchteten Raum. Nochmals rief sie leise »Hallo?« Sie befand sich in der Küche, einer herrlichen alten Küche aus hellem Holz, dunklem Parkettboden, in der Mitte ein großer, hell gescheuerter Holztisch mit altmodischen Stühlen drumherum, und einer großen alten Uhr an der Wand. Aber auch hier war niemand. Alles war ordentlich aufgeräumt. Eigenartig, dass mich niemand bemerkt hat, wunderte sie sich. Vielleicht sind alle oben? Sie zuckte mit den Schultern und ging zur Treppe, die ins Obergeschoss führte.

      Sie sah hinauf. »Hallo? Entschuldigung!«, rief sie etwas lauter. Vorsichtig stieg sie die Stufen hinauf. Auch hier spendeten Wandlämpchen ein angenehmes Licht. Auf der rechten Seite stand eine Zimmertür offen und der Raum war hell beleuchtet. Hier ist bestimmt jemand, dachte sie, klopfte vorsichtig an die Tür und blickte durch den Spalt ins Zimmer. An einem kleinen runden Holztisch saß eine alte Dame mit weißem, kunstvoll aufgestecktem Haar, verrunzeltem Gesicht und knotigen Fingern. Sie legte leicht zitternd eine Patience. Erschrocken blickte sie auf, als sie Ella in der Tür stehen sah.

      »Entschuldigung«, Ella trat ein, »die Haustür stand offen und ich bin einfach hereingerannt. Mich hat eine Gruppe Jugendlicher verfolgt. Ich glaube, die wollten mir die Handtasche klauen. Tut mir leid – ich wusste einfach nicht, wohin.«

      Die alte Dame stand vorsichtig auf und sah Ella ratlos an. »Die Tür stand offen?«, murmelte sie. »Ja, was machen wir jetzt? Du bist ja völlig durchnässt und verängstigt, mein Kind. Komm, gehen wir in die Küche, ich mache dir eine heiße Schokolade.«

      »Das ist sehr nett von ihnen«, antwortete Ella dankbar, »ich müsste auch dringend telefonieren«.

      »Das Telefon steht unten auf der Anrichte«, erklärte die alte Dame, »aber jetzt komm erst einmal mit«.

      Ella folgte der kleinen, alten Frau, die steif und etwas gebückt vor ihr her ging. An einer Tür blieb sie stehen und öffnete sie. »Hier ist das Bad, mach dich erst einmal frisch. Zieh die nassen Sachen aus und häng sie über die Wanne. Hinter der Tür findest du einen Bademantel, den kannst du dir überziehen.« Die Frau deutete Richtung Treppe, »komm danach runter in die Küche«.

      Ella bedankte sich erleichtert, betrat das Badezimmer und schloss die Tür fest hinter sich. Sie seufzte tief und lehnte sich gegen die geschlossene Tür. Im Rücken fühlte sie den festen Stoff eines Bademantels. Wieder fiel ihr der unangenehme Geruch auf. Sie rümpfte die Nase. Langsam ging sie zum Waschbecken und wusch sich die Hände und das Gesicht. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr schneeweißes, bleiches Gesicht. Große entsetzte Augen sahen ihr entgegen. Ich bin völlig fertig, dachte sie. Eigentlich ist nichts Schlimmes passiert – ich bin nochmal mit dem Schrecken davon gekommen. Ich wusste gar nicht, dass ich so schnell laufen kann, sie grinste ihr Spiegelbild schief an. Diese Kerle sind doch krank, denen macht so etwas auch noch Spaß. Was hatten die eigentlich von ihr gewollt? Wahrscheinlich die Handtasche. Bargeld, Handy, Kreditkarten – damit ließ sich bestimmt etwas anfangen, dachte sie wütend.

      Jetzt rufe ich endlich meine Mutter an, erzähle, was passiert ist und werde das Essen heute Abend absagen. Irgendwie geht es mir gar nicht gut. Aber erst muss ich mich zu der alten Dame in die Küche setzen. Sie ist so nett und hilfsbereit, da bin ich ihr ein paar Minuten Zeit schuldig. Und dann geht’s endlich ab nach Hause. Sie seufzte. Wie gerne würde sie jetzt daheim ein heißes, entspannendes Bad nehmen und danach gemütlich auf dem Sofa liegend fernsehen. Genau das, was ich jetzt bräuchte, dachte sie.

      Ella durchfuhr ein Gedanke. Ich muss zur Polizei! Nicht, dass diese Kerle noch andere Frauen belästigen; das wäre unerträglich. Das muss ich dann aber auch gleich erledigen, das heißt, aufs Polizei­revier in der Stadt fahren und eine Anzeige aufgeben. Konnte sie der Polizei eine Beschrei­bung von den dreien geben? Ella überlegte und stützte sich aufs Waschbecken. Kurzgeschorene Haare, Springerstiefel … der mit der Bierflasche hatte ein auffälliges Tattoo auf dem Unterarm. Schwarze Klamotten, auffällige Piercings im Gesicht. Wie alt waren die drei? Auf jeden Fall noch sehr jung, vielleicht 16 Jahre. Mehr fiel ihr nicht ein. Sie hatte die Typen nur ganz kurz gesehen und dann war sie gerannt. Aber vielleicht half das der Polizei auch schon weiter und zumindest war der Überfall dann aktenkundig. Sie musste unbedingt versuchen, ihre Freundin Marion zu erreichen. Diese würde sich bestimmt mit ihr auf dem Polizeirevier treffen und ihr bei der Anzeigenaufgabe beistehen. Irgendwie sehnte sie sich nach Beistand und Marion war ihre beste Freundin, eine treue Seele, immer für andere da. Sie waren schon seit der Schulzeit miteinander befreundet. Ja, Marion würde ihr bestimmt helfen. Ella seufzte. Sie hatte noch einen anstrengenden Abend vor sich.

      Mit kalten, steifen Fingern machte sie sich daran, ihre Bluse aufzuknöpfen. Bluse und Hose hing sie über die Leine, die über der Wanne gespannt war. Das Badezimmer war, genau wie der Rest des Hauses, sehr altmodisch eingerichtet. Die Wanne war kurz und schmal, die Armaturen waren in einem klobigen, goldenen Design gehalten und über der Toilette hing ein Wasserkasten mit einer Leine daran. Die Wände waren halb hoch mit kleinen, weißen Kacheln gefliest, darüber hing eine hässliche, grün gemusterte Tapete. Der Boden war mit schwarzen Fliesen bedeckt und wirkte im Gegensatz zum Rest des Badezimmers sehr edel. Rasch zog sie den Bademantel über und richtete nochmal ihre Bluse über der Leine aus, damit sie nicht zu viele Falten bekam.

      Plötzlich wurde ihr schwindlig. Ihr Blick zerfiel in kleine Scherben. Als sie klarer sah, hingen ihre Bluse und die Hose zerknittert über der Leine und waren von dunklem Blut getränkt. Dicke Tropfen fielen in die Wanne, jeder davon wurde von einem satten ›Plopp‹ begleitet. Das Blut sammelte sich am Boden der Wanne und lief langsam in einem dickflüssigen, hellroten Rinnsal in den Abfluss. Ella presste die Hände auf den Bauch, ihr wurde schwindlig und übel, sie drehte sich übers Waschbecken. Ihr Gesicht blickte ihr im Spiegel entgegen. Es war entsetzlich zugerichtet. Über dem linken Auge hatte sie eine tiefe langgezogene Wunde, aus der dunkles Blut über das Auge lief und sich im Mundwinkel sammelte. Die Wange war in einer Mischung aus dunkelviolett und gelb verfärbt, die Lider dick geschwollen. Die Haut grau, die Lippen blass, fast weiß. Das Haar hing ihr wirr, dunkel und schwer vom Blut ins Gesicht.

      Hinter ihr stand das Mädchen, das sie unten im Flur gesehen hatte, und starrte sie panisch an. Ella keuchte entsetzt auf und drehte sich schnell um, doch da war niemand. Sie ging in die Knie und klammerte sich verzweifelt am Waschbecken fest. OGott­oGott­oGott, murmelte sie panisch vor sich hin. Sie ließ sich ganz herabgleiten und saß völlig verängstigt auf dem Fußboden. OGott­oGott­oGott, wimmerte sie weiter und hob den Blick zu den Kleidungsstücken auf der Wäscheleine.