Annette Riemer

Sachsen-Anhalt, wie es glänzt und dämmert


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liegt es recht verloren in dieser herzlosen Mitte Sachsen-Anhalts, irgendwo zwischen Halle und Magdeburg. Im Kreis selbst konkurriert Schönebeck gleichauf mit Bernburg, Aschersleben und Staßfurt liegen nicht weit hinter der Kreisstadt. Und regional dominiert Dessau das alte Anhalt, das kürzlich sein 800-jähriges Bestehen feierte. Da hüllte sich das riesige Bernburger Schloss pünktlich in Bauplanen: Chance vertan!

      Zu allem Überfluss wurden durch die jüngste Eingemeindung von sieben Dörfern aus dem Umland der Stadtcharakter und die Identität Bernburgs verwaschen – aber immerhin firmiert die neunt-größte Stadt im Land weiterhin unter ihrem Namen, was schon einiges bedeutet angesichts solcher skurrilen Gebilde wie Wettin-Löbejün, Oranienbaum-Wörlitz oder Dessau-Roßlau. Ein kleiner Triumph, wenigstens das.

      In Bernburgs Innenstadt selbst darf der Besucher nur eine Stunde parken, was einer ebenso klaren wie falschen Selbstbescheidung gleichkommt. Als ob diese kurze Zeit ausreichen würde, um all die aufgerissenen Straßen, das halbsanierte oder halbverfallene Schloss und die traurigen Blicke des kleinen, vereinsamten Bären am Burggraben zu bestaunen!

      Und nebenbei hat Bernburg noch wesentlich mehr zu bieten. Natürlich muss der Besucher nicht wie die Einheimischen zwischen Berg- und Talstadt, zwischen Alt- und Neustadt unterscheiden lernen, um sich heimisch zu fühlen: Er kann gelassen durch die von außen betrachtet gleich schön verträumten Viertel schlendern, auch wenn es in der „SonderBar“ am Markt keinen Kuchen gibt. Der Naturfreund kommt im Tierpark, dem äußersten Zipfel des Naturparks Unteres Saaletal, und natürlich überall an der Saale auf seine Kosten, der Geschichtsfreund in allen Gassen der Stadt – und im Schloss: Prinzen-Aura in allen drei Innenhöfen. Till Eulenspiegel sitzt noch heute als elektrische Puppe mit befremdlicher Tonschleife im höchsten Turm des Schlosses, der mühselig über unterschiedlich steile Stufen erklommen werden muss. Die verehrte letzte Herzogin Friederike lässt sich tiefer und entsprechend einfacher zugänglich in Öl bestaunen.

      Wer es über Museumsbesuch und impressionistische Schlenderei hinaus etwas intensiver mag, ist in Bernburg falsch, denn hier gibt es nichts weiter. Die Stadt liegt eben im Niemandsland zwischen Halle und Magdeburg, in der Provinz der Provinz. Aber wenigstens liegt sie schön dort.

      Biederitz

      Karl May ließ seinen Trapper aus St. Louis in dem auch für Mays Verhältnisse recht kitschig geratenen Groschenheft-Roman Waldröschen zwar nach Biederitz kommen – was an sich schon eine literarische Sensation ist –, trotz dreistündigem Aufenthalt kommt der Wildwestmann allerdings nicht über den Bahnhof des Dorfes hinaus.

      Und so mag es auch heute noch vielen Reisenden ergehen: Biederitz ist das Tor zum Jerichower Land, hier steigt um, wer nach Gommern, Burg oder Möckern will, aber auch, wen es weg von hier nach Berlin, Magdeburg und Braunschweig, Dessau und Leipzig zieht. Zu sehen bekommen die meisten Menschen, die nach Biederitz geraten, also auch heute nur den Bahnhof mit – was selten ist in diesen Breiten – einer ziemlich ordentlichen Gaststätte.

      Biederitz erleidet dasselbe Schicksal wie die anderen beiden Einheitsgemeinden des Jerichower Landes, Elbe-Parey und Möser: Sie stehen hinter der fünf Städten Burg, Genthin, Gommern, Jerichow und Möckern zurück und sind noch gesichtsloser als diese. Weil sie zusammengeschustert worden sind, künstliche Gewächse. Aber auch, weil da eben nicht viel ist auf dem platten Land Ostelbiens: Dorfkerne und Wohnparks, alte, gewundene und am Reißbrett entworfene Straßenzüge eng beieinander.

      Immerhin, man bemüht sich. In Biederitz etwa, genauer gesagt im Ortsteil Heyrothsberge, wird ein alter NVA-Bunker als Konzertbühne und Bar genutzt. Das ansehnlichere Schloss Neu Königsborn hingegen verfällt. In Möser befindet sich neben einer Bockwindmühle, einem Hünengrab und einem Weinberg ein ziemlich imposantes Wasserstraßenkreuz, wo die Elbe den Mittellandkanal passiert. Und in Elbe-Parey? Na, alle sieben Dörfer der Gemeinde von Bergzow bis Zerben haben kleine, niedliche Dorfkirchen vorzuweisen. Es muss ja nicht immer Berlin sein. Und auf dem teilsanierten Schloss Zerben lebte einst das leibhaftige Vorbild für Theodor Fontanes Effi Briest – also doch ein bisschen Berlin und Preußen.

      Und dann schwebt seit einigen Jahren die jährlich gekürte Elbauenkönigin durch alle Bierzelte der am dünnsten besiedelten Gemeinde des Landkreises. Das hat schon was, das verleiht Kultur, wenngleich auch eher Agri-Kultur. Denn Elbe-Parey ist wie alle anderen Gemeinden im Landkreis auch hauptsächlich landwirtschaftlich geprägt. Der Tourismus hingegen beschränkt sich auf den Verkehr: Die Radfahrer ziehen langsamer, die Zugreisenden (meist) schneller durch das Land. Und länger als für eine Nacht, so versichert der Gastwirt in Biederitz, ist hier noch niemand abgestiegen. Wozu auch, fragt er.

      Bitterfeld-Wolfen

      Bitterfeld – das gibt es ja heute gar nicht mehr. Seit 2007 ist die einstige Boomtown der DDR Teil von Bitterfeld-Wolfen. Seitdem gibt es auch keinen Landkreis Bitterfeld mehr, nur noch Anhalt-Bitterfeld. Dabei lag Bitterfeld nie im historischen Anhalt, nur an der Bitter, wie Kurt Tucholsky in seinem Schloss Gripsholm erzählt. Aber davon wissen nicht einmal die Bitterfelder: Einen Fluss namens Bitter gibt es nicht.

      Es stimmt schon etwas traurig, durch diesen Ort zu schlendern. Eigentlich müsste es hier doch aufwärts gehen: Neuer Name, neues Glück. Und ein neues Image: Früher galt Bitterfeld als chemisches Drecksloch, aber inzwischen sind alle Akten ausgewertet: Der verseuchteste Ort der DDR war Merseburg, nicht das verkannte Bitterfeld. Dazu ein architektonisch bemerkenswerter Bitterfelder Bogen statt eines Bitterfelder Wegs in den literarischen Sozialismus. Statt Tagebau heißt es jetzt Seenlandschaft.

      Und trotzdem: Das Rathaus in seinem voluminösen Gute-Hitlerjahre-Stil, der Kulturpalast im sozialistischen Betonformat und nicht zuletzt die Glasfronten der neuen Berufsschule – weithin sichtbar – hauchen Bitterfeld etwas martialisch Übergroßes ein. Das Flair fehlt.

      Und auch ein bisschen die Einwohner. Die Stadt hat sich seit der Wende fast halbiert. Und wer in einer ehemals boomenden Arbeiterstadt ohne großartiges Bildungsbürgertum nach der Abwanderung der „gut ausgebildeten, meist weiblichen jungen Menschen“ geblieben ist, kann sich wohl jeder denken. Wer nicht, muss nur am Sonntagnachmittag an die Goitzsche raus. Solche derben O-Töne bekommt man sonst nur in Halle-Neustadt zu hören.

      Also gar keine Hoffnung für Bitterfeld? Vielleicht mit Blick auf das Europagymnasium in der Binnengärtenstraße, vielleicht vor dem alten, backsteinernen Rathaus am Markt, in den vielen, teils neu angelegten Parks – da ist die Stadt dann doch überraschenderweise – beinah schön.

      Blankenburg

      Blankenburg ist etwas für den Nachmittag. Vorher sollte man nicht in diese kleine Stadt am Nordrand vom Harz fahren, denn um den Mittagstisch ist es hier schlecht bestellt: Die meisten Restaurants haben Mittagsruhe. Aber an diesem einen Nachmittag lässt es sich gut durch die weitläufige Ortschaft und ihre gewundenen, stark ansteigenden Straßen flanieren.

      Was gibt es zu sehen? Ein imposantes Rathaus, ein kleines Barockschlösschen nebst symmetrisch angelegtem Garten – und dann einen altersschwachen Kasten, der als größtes deutsches Welfenschloss firmiert. Der Aufstieg zu dieser ehemaligen Residenz führt an verfallenen Nebengebäuden vorbei. Oben kann man sich den Wanderpass abstempeln lassen – zur Selbstbestätigung einer sportlichen Leistung, die keine ist, denn das Schloss auf seinen gerade einmal 300 Höhenmetern ist sehr gemütlich zu erreichen.

      Oben dann ein Innenhof, davor ein Ausblick auf niedrigere und höhere Berge, darin ein Café, das zwei Stunden pro Woche (samstags) geöffnet hat. Ansonsten der Muff vergangener Epochen. Von den Welfen bleibt hier nur die Gewissheit, dass ihre Zeit schon lange her ist.

      Im Teehaus gibt es Kaffee, in der oberen Mühle Bier, aber sonst ist Blankenburg ziemlich sonntagsträge. Die leeren Geschäfte deuten an, dass es hier auch werktags nicht sonderlich belebter zugeht. Dass es mit Blankenburg eher ab- als aufwärts geht, verrät schon ein Schild am Bahnhof, das warnt: «Auf diesem Bahnhof ist jetzt kein Aufsichtsbeamter mehr. Sorge bitte selbst für Deine eigene Sicherheit!»

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