Ludwig Witzani

Transasia. Von Karachi nach Beijing


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für die Liege und zwei große Handtücher, die ich dankbar entgegennahm. Der Rest des Tages verging mit Duschen, Schlafen und Lesen auf eine überraschend komfortable Weise.

      Von heute aus betrachtet, schäme ich mich natürlich für dieses asoziale Verhalten, das ich dann und wann in asiatischen Städten an den Tag legte. Zu meiner Entlastung kann ich nur vorbringen, dass ich bei diesen Gelegenheiten stets versucht habe, mein ramponiertes Karma-Konto durch die Vergabe großzügiger Trinkgelder an die Poolkellner auszugleichen.

      Am nächsten Morgen rief ich das Lufthansa-Büro an und erfuhr, dass sich mein Gepäck bereits wieder auf dem Weg nach Karachi befand. Ich hatte sogar Mr. Sada Saaqui am Apparat, der mir eine Unkostenentschädigung in Aussicht stellte, die so lächerlich war, dass ich mir davon im Avari Tower Hotel keinen Drink hätte kaufen können. Ansonsten empfahl er mir die Sehenswürdigkeiten Karachis, die lohnender seien, als man glauben wolle.

      Diesem Rat bin ich nolens volens gefolgt. Langsam und bedächtig, mich von Schatten zu Schatten fortbewegend und unablässig trinkend erkundete ich die größte Stadt Pakistans, von der es hieß, dass sie von den „fürchterlichen Fünf” die fürchterlichste sei. Unter den „fürchterlichen Fünf” verstand man Kalkutta, Delhi, Bombay, Dhakka und Karachi, die fünf größten Städte des indischen Subkontinents, von denen keine unter 14 Millionen Einwohner hatte und in denen sich niemand länger als unbedingt nötig aufhielt. Wieder lief ich zum Avari Tower, diesmal aber nicht zum Pool, sondern zum Aufzug, mit dem ich zum Hotelrestaurant im obersten Stockwerk fuhr, um mir einen ersten Überblick über die Stadt per Augenschein zu verschaffen. Durch den Smog hindurch, der sich in diesen Morgenstunden noch nicht so stark entfaltet hatte, erblickte ich eine unendliche Betonwüste, durchsprenkelt mit winzigen Parks, Kanälen und Seen und begrenzt vom Horizont des Arabischen Meeres. Sah man genauer hin, erkannte man zwei Binnenseen, die zwischen Stadt und Meer lagen. Der kleinere, der sogenannte China Creek, war ein Mangrowensee, an dessen Ufern die oberen Zehntausend in ihren Clubs residierte. Bei dem größeren Gewässer handelte es sich um eine gewaltige Naturbucht, die vom Arabischen Meer nur durch eine langgezogene Halbinsel abgetrennt war. Man musste kein Städtebauer sein, um in dieser Naturbucht einen natürlichen Idealhafen zu erkennen, der die Engländer dazu veranlasst hatte, diesen ursprünglich vollkommen unbedeutenden Marktflecken zu besetzen und ihn zu einer britischen Niederlassung auszubauen. Von Karachi aus wurde dann ab 1840 innerhalb weniger Jahrzehnte der ganze Sindh und das Mündungsgebiet des Indus in den britischen Machtbereich integriert.

      Dann ging es Schlag auf Schlag. Schnell überflügelte Karachi die älteren Zentren Thatta und Hyderabad und stieg in die gleiche Liga wie Bombay oder Kalkutta auf. Karachi wurde ein Verwaltungszentrum mit Eisenbahnanschluss, viktorianischen Gebäuden, einem der größten Häfen Britisch-Indiens und einer Einwohnerschaft kurz vor der Millionengrenze.

      Aber dabei sollte es nicht bleiben. Im Zuge der indisch-pakistanischen Teilungstragödie flüchteten hunderttausende indische Mohammedaner, sogenannte Moharis, in die neue Hauptstadt Pakistans. Diesen Zustrom hatte die Stadt noch nicht verkraftet, da folgten ihnen Anfang der Siebziger Jahre die Biharis, die Urdu sprechenden bengalischen Moslems, die nach der Sezession Bangladeschs von Ostpakistan nach Westen flohen, Schließlich siedelten sich seit den frühen Achtziger Jahren Hunderttausende afghanischer Flüchtlinge in Karachi an.

      Nichts von dieser Vielfalt war von meinem erhöhten Aussichtspunkt im Avari Tower aus zu sehen. Nichts von dem, was ich sah, glich überhaupt einer normalen Stadt. Eine normale Stadt, die vielleicht bald nur noch als nostalgische Erinnerung gegenwärtig sein wird, besitzt ein gut erkennbares Zentrum und einen Landsaum, der die Stadt begrenzt. Bei Karachi gab es außer dem Meer keine Grenze, sondern nur eine Unendlichkeit von Stein, die stinkend und lärmend unter der südasiatischen Sonne briet. Karachi war eines der abschreckendsten Beispiele einer Urbanisierung neuen Typs, für eine ausufernde Menschenagglomeration, die sich von der Küste aus immer weiter ins Land hineinfraß, ohne auf das Fehlen von Verkehrsanbindungen, Infrastruktur oder Kanalisation Rücksicht zu nehmen.

      In einer solchen Stadt war man als Fußgänger verloren, als Rikschafahrer gefährdet, als Busfahrer eine Sardinenexistenz, und allenfalls im Taxi war es möglich, die wenigen Sehenswürdigkeiten mit einem vertretbaren Aufwand an Zeit zu erkunden – wenn man nervenstark genug war, die endlosen Staus zu ertragen.

      Meine erste Fahrt führte mich zum Containerhafen von Karachi. Südlich des Westwharf fuhr der Taxifahrer über die Küstenstraße direkt zum Keamari Boot-Basin, in dem Dutzende malerisch aufgemachter traditioneller Dhaus stundenweise Stippvisiten in die große Naturbucht vor Karachi anboten. Diese Stippvisiten galten als eine landesweit gerühmte Attraktion, nicht nur, weil die kleinen Boote die Inlandstouristen aus Lahore, Islamabad oder Peschawar in Tuchfühlung mit Containergebirgen und Riesentankern brachten, sondern auch, weil sie ihre Gäste mitten in der Bucht mit frischem Fisch verköstigten. Ich horchte in mich hinein und fragte mich, ob es mir wirklich Freude bereiten würde, umsorgt von den wilden Gesellen des Sindh zwischen den Riesentankern aus dem Iran und Japan Schalentiere zu essen. Als dann auch noch die Polizei erschien und von mir in gebieterischem Ton aus Gründen der Geheimhaltung meine Kamera beschlagnahmen wollten, verzichtete ich auf eine Hafentour und suchte das Weite.

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       Mitglieder des einheimischen Tourismusgewerbes warten auf Kundschaft

      Karachi hält sich viel darauf zugute, neben Rio de Janeiro die einzige Weltstadt zu sein, die über einen Strandbetrieb verfügt, und diesen Strand, den Clifton Beach, wollte ich mir ansehen. Allerdings führte der Weg zu dieser Enklave der Erholung durch niederschmetternde Bezirke von Schmutz und Verfall. Hunderte von Tankwagen warteten in kilometerlangen Autokolonnen an der Ghalib Road, um sich hier mit dem Öl und Benzin zu beladen, die die Riesentanker aus Arabien in den Hafen brachten, um sie anschließend im ganzen Land zu verteilen. Niemand wusste, wie viel hunderttausend Gallonen bereits in der Erde versickert waren, aber alle Straßen und Wege zum Clifton Beach waren schwarz und krustig von Öl.

      Nach dieser deprimierenden Anfahrt erschien mir der eigentliche Strandbezirk von Clifton nicht so übel wie erwartet. Er bestand aus einem grauen Sand- und Steinfeld, von Ginster durchwachsen, durch eingetretene Trampelpfade erschlossen und mit einfachen Schaubuden und Garküchen ausgestattet. Hinter einer baufälligen Moschee begann der eigentliche Strand, an dem ich ein merkwürdiges Schauspiel beobachtete. Tausende Pakistanis standen in voller Bekleidung, aber barfuß, wie ratlos im seichten Wasser, gingen einige Schritte, bückten sich, um sich dann ebenso unentschlossen wieder umzuschauen - geradeso, als hätte ein Großteil der Bevölkerung von Karachi hier am Strand ihre Geldbörsen verloren, die nun im Rahmen einer kollektiven Suchaktion wiedergefunden werden sollten.

      Ich notierte: Der gewöhnliche Pakistani ist ganz einfach keine Wasserratte.

      Unnötig zu erwähnen, dass ich weit und breit der einzige Tourist war. Als solcher setzte ich mich in den Schatten eines Baumes und döste bis zum späten Nachmittag in der Nähe einer Garküche. Schlierwolken hingen wie graue Fäden am Himmel, einsame Kamele liefen scheinbar ziellos über den Strand und koteten, wo immer es ihnen gefiel. Busse fuhren vor und entließen einheimische Touristen, die sofort durch Gebüsch und Geröll zum Meeresufer eilten, um sich dort eine Weile in die rätselhafte Gruppe der Fußbadenden einzureihen, ehe sie wieder zu den Bussen und dann in Richtung Innenstadt entschwanden.

      So ging auch dieser Tag zur Neige, und ich wollte ihn nicht beschließen, ohne das Wahrzeichen der Stadt, das Quaid-I-Azzam-Mausoleum, das „Grab des größten Führers” zu besuchen. In diesem einunddreißig Meter hohen weißen Marmorbau im Norden Karachis lag Muhammad Ali Jinnah, der Vater der pakistanischen Republik, begraben, eine geschichtliche Figur, die in der Geschichtsschreibung als moslemischer Widerpart Mahatma Gandhis von jeher eine schlechte Presse hatte.

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       happy hour am Clifton Beach

      Muhammad Ali Jinnah war allerdings als andere als ein überzeugter Moslem gewesen. Er liebte den Wein, verachtete die traditionellen Mullahbärte und wurde nur selten in der Moschee gesichtet. Aus rein taktischen Gründen