Katrin Ludwig

Süße Lust Tochter


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Hand, ruhig und vertraut im Licht der Flamme.

      Er sah sie aufmerksam und freundlich an. "Mein Kätzchen", sagte er zärtlich. "Was zwischen uns war, bleibt unter uns. Verstehst du!"

      Das war keine Bitte. Das Mädchen spürte es deutlich.

      "Wenn du irgendetwas zu irgend jemandem sagst, komm ich ins Gefängnis, du in ein Heim und Mama stirbt vor Schande und Angst. Außerdem", er taxierte sie kurz, wie sie da ängstlich und trocken aufschluchzend vor ihm saß, "außerdem würde es dir sowieso keiner glauben." Er stand auf und strich ihr beruhigend über die Schultern, obwohl ihr die Furcht vor seiner Berührung anzumerken war. "Du gehörst nun mal mir", sagte er leise und dicht über ihr. "Ich bin ein guter Vater, das wissen hier alle. Und du weißt es auch. Du musst mir dankbar sein. Dankbar für alles!"

      Er lachte kurz auf. "Wirst schon noch begreifen, wie gut dir das tut. Und außerdem ist es eine Schule für's Leben. Geh jetzt ins Bett und zu keinem ein Wort!" Er ließ sie übergangslos auf der nächtlichen Veranda allein.

      Fränzi blieb fühllos zurück, seine Worte zerdröhnten ihr den Kopf. Der Hals wollte keine Luft mehr in die Lungen lassen - schnürte sich zu. Sie richtete sich auf und versuchte tief durchzuatmen. Mama, dachte sie elend, Mama. Die Tränen kamen, die Angst würgte sie, aber sie fühlte sich stark genug, in ihr Zimmer zurückzukehren.

      2. KAPITEL

      Über dem See lag noch der Frühdunst, es würde ein schöner Tag werden. Das Mädchen wurde spät wach, fand sich wieder auf den Inletts der Kissen und einer nicht bezogenen Matratze, wusste im ersten Moment nicht, was das zu bedeuten hatte, dann kam die Erinnerung wieder, die Nacht - und die Angst.

      Sie lauschte ins Haus, aber da war nichts zu hören, stand auf und öffnete die Fenster, auch der Garten zeigte keine Anwesenheiten. Sie legte das Ohr an die Tür, durch den Spalt ließ sich nichts hören von einem Menschen im Haus. Vorsichtig öffnete Fränzi die Tür und fand einen Zettel auf dem Bettzeug. Sie ließ sich auf dem Boden nieder und starrte auf das Muster der Bettwäsche, die sie noch in der Nacht abgezogen hatte.

      Dörte fiel ihr ein, die Freundin, die immer sagte: Wir sind nicht dreizehn, wir sind mindestens sechzehn, und wenn du willst auch zwanzig. Fränzi wollte nie unbedingt älter sein als sie war, nur wenn Dörte die Klamotten ihrer Mutter heimlich anzog und tatsächlich viel toller aussah, als Fränzi, dann versuchte sie, mitzuhalten. Aber es gelang so richtig nicht. "Du hast eben eine Kinderschnute", sagte Dörte dann immer, "da gehören Lolliballs rein und keine heimlichen Küsse drauf." Fränzi bewunderte in solchen Augenblicken Dörte sehr und kontrollierte abends um so strenger die Entwicklung ihrer Formen. Jetzt hätte sie gern die Freundin da gehabt. Mit dem Bettzeug unterm Arm ging sie in die Küche. Schmiss es in die Waschtrommel, begann mit Sorgfalt ihr Frühstück zu bereiten. Die Gewissheit, allein im Haus zu sein, machte sie locker, fast wieder fröhlich. Ich werd's einfach vergessen, beschloss sie und leckte den Honig direkt vom Esslöffel ab. Es war diese feine, dünnflüssige Honigsorte, die auf keinem Brötchen hielt. Der Vater kannte ihre Vorliebe dafür und achtete sorgfältig darauf, immer genug davon im Haus zu haben.

      Ich werd's vergessen. Er wird wieder lieb zu mir sein und alles wird gut werden, sagte sie sich, wieder und wieder. Die Mutter kam ihr in den Sinn. Immer wenn es zwischen ihr und dem Vater Krach gegeben hatte, sagte die Mutter, es wird schon alles wieder gut werden. Und es war ja dann auch so.

      So schlimm war es noch nie gekommen, dass die Eltern sich nicht mehr vertragen hätten. Nur einmal hatte sie erlebt, wie die Mutter nachts in der Küche gesessen und geweint und gesagt hatte, dass sie das Haus verlassen wolle. Fränzi hatte nie herausbekommen, warum. Es hatte sie auch nicht sonderlich interessiert, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass man einen Mann, wie den Vater verlassen könnte. Selbst Dörte fand Fränzis Vater 'super', wie sie sagte. "Hast du wirklich Glück gehabt. Guck dir meinen an, da vergeht dir alles!"

      Nein, Fränzi konnte sich nicht beklagen über ihren Vater. Er sah gut aus und sportlich, hatte immer Zeit und kümmerte sich mehr um Fränzi als ihr zuweilen lieb war. Da war sie schon ein großes Mädchen und hatte doch noch immer gern auf seinem Schoß gesessen. Der Vater hatte den Arm um sie gelegt und die Spottreden der Mutter scharf unterbrochen. Fränzi hatte sich tüchtig erschrocken, denn danach war die Mutter schnell aus dem Zimmer gegangen und hatte den ganzen Abend keinen Ton mehr gesagt.

      Aber der Vater hatte Fränzi wieder auf den Schoß gezogen. "Wir lassen uns doch nicht von ihr und so einem Quatsch den Frieden nehmen. Wir beide doch nicht, was?"

      Es würde schon alles gut werden. Das Alleinsein tat ihr gut, machte sie friedlich. Mit dem neu zu beziehenden Bett wurden ihr mit einem Mal die Nöte des Haushalts bewusst. Morgen würde die Mutter kommen. Fränzi sah sich um. Staub und Spritzer überall. Mit den Augen der Mutter, Staubsauger und Wischtuch ausgerüstet, schritt sie das Haus ab, besonders das Bad und die Küche. Was die Mutter auf den Tod nicht ausstehen konnte, war ein vernachlässigter Haushalt. Fränzi wusste das und hatte die Mutter in dieser Hinsicht fürchten gelernt.

      Alles konnte sein, aber Ordnung hatte sie immer noch gemacht. Schließlich hatte Fränzi die Zimmer für ihre Begriffe tipptopp, sie holte Blumen und tröpfelte, was verboten war, wegen der Flecken, Parfüm von der Mutter auf den Teppich. Das Haus trug so schon die Gegenwart der Mutter und Fränzi war das recht.

      Dörte war es, die sie einmal, das war schon ein Weilchen her, gefragt hatte, wen sie lieber mochte, den Vater oder die Mutter. Und zu wem sie, falls eine Scheidung ins Haus stünde, gehen würde. Fränzi wollte das eigentlich gar nicht denken, aber Dörte bohrte so lange, bis Fränzi wenigstens theoretisch ihre Entscheidung vollzogen hatte. Da hatte sie sich für den Vater ausgesprochen und lief innerlich tagelang mit einem schlechten Gewissen der Mutter gegenüber herum. Sie hatte, wohl mehr zur eigenen Entlastung, die Mutter gefragt, ob sie auch schon einmal an eine Scheidung gedacht hätte.

      Die Mutter hatte sich ihr heftig zugewandt und grob zurückgefragt: "Kommt das von deinem Vater?"

      Fränzi hatte erschrocken und eilig erklärt: "Nein. Bloß mal so. Es lassen sich doch in meiner Klasse so viele Eltern scheiden. Mehr als die Hälfte hat keinen Vater mehr oder einen neuen."

      Die Mutter schwieg erst ein Weilchen, dann sagte sie: "Glaub mal, es gab schon solche Situationen, in denen ich dachte, dann geh ich eben. Du bist ja jetzt groß genug. Kannst es ruhig wissen."

      "Wieso würdest du gehen?" fragte Fränzi zurück. "Wieso geht nicht Papa?"

      "Der?" Die Mutter fragte es überraschend schrill, "der würde nie seine Wohnung verlassen. Ist doch alles seins, die Möbel, die Tochter, selbst ich. Das ist es ja gerade", sie lachte etwas hysterisch. "Er würde nicht mal mich gehen lassen. Er ist eine Art Sklavenhalter. Aber er liebt seine Sklaven, sorgt für sie, verdient gutes Geld, nimmt alle Sorgen auf seine Schultern. Er ist ein guter Vater geworden. Wer hätte das geglaubt!"

      "Wollte er keiner werden?"

      Die Mutter hatte sich damals mit ihrem Lieblingskaffeetopf neben Fränzi gesetzt. "Also Dinge bereden wir. Das sollten wir eigentlich nicht tun." Sie schwieg einen Moment, strich dann Fränzi sanft über die Wange. "Daran merkt man, dass die Kinder erwachsen werden. Man bespricht mit ihnen Sachen, die nicht in ein Kinderohr gehören."

      Fränzi feixte und griff zum Kaffeetopf. "Dann gib auch einen Schluck Kaffee rüber, der gehört auch nicht in einen Kindermund."

      Amüsiert sah ihr die Mutter zu, wie sie genießerisch den Kaffee in sich hineinschlürfte. "Wirst auch mal 'ne richtige Kaffeetante", sagte sie und fuhr fort. "Nein, dein Vater wollte überhaupt keine Kinder. Er wollte auch nicht heiraten. Er wollte ein Junggeselle bleiben. Mal 'ne Freundschaft, mal 'ne Liebe. Alles okay. Aber dann wurde ich schwanger und hab es zu spät gemerkt. Ich war schon im vierten Monat. Dein Vater hat später mal behauptet, ich hätte es mit Absicht verpasst. Aber es war wirklich so. Ich hatte die Menstruation immer sehr unregelmäßig und mich daran gewöhnt, mal kam sie und mal nicht. War eben so. Insofern ist mir erst sehr spät aufgefallen, dass nun schon monatelang keine Regel war. Ich ging zum Arzt und der sagte es mir."

      Fränzi sah die Mutter aufmerksam