was ist mit dem Foto?”, stieß ich hervor.
“Kannst du mir das Foto mal schicken?”
“Ähm… ich hab mein Handy draußen in den Busch geschmissen.” Mir war klar, das hörte sich wie eine lahme Ausrede an.
Ihre Augenbrauen hoben sich leicht, aber ansonsten sagte sie nichts dazu. “Ich glaube, du solltest dich einfach mal ausruhen”, sagte sie dann.
“Das heißt, du glaubst mir nicht?” Plötzlich fühlte ich mich seltsam müde. Und leicht wütend. Wenn sie mir nicht glauben wollte, schön.
Ich war mir ja nicht einmal mehr sicher, ob ich mir selbst glauben konnte.
“Nun ja”, sie wählte ihre Worte sorgfältig, “du musst zugeben, dass es schon ein wenig… gaga klingt.”
“Du meinst, ein wenig zu sehr nach Melody”, spann ich ihren Gedankengang weiter. “Du glaubst, ich habe irgendwas genommen, nicht wahr?” Sie sprach es zwar nicht aus, aber es zeichnete sich so deutlich in ihren Augen ab, dass sie es mir ebenso gut hätte ins Gesicht schreien können.
“Ich will nicht sagen, du hast absichtlich etwas genommen”, wieder klang es, als würde sie ein hysterisches Kind beruhigen wollen. Ich fragte mich, ob sie nicht ein wenig zu viel Zeit im Altersheim verbracht hatte. “Aber vielleicht ist es der ganze Stress und...”
“Was ist mit den Anrufen von Melody?”, wollte ich wissen.
“Geburtstags-Glückwünsche.”
Ich biss mir auf die Lippe. Warum klang bei ihr immer alles so logisch? Langsam glaubte ich selbst, dass ich alles nur geträumt hatte. Ich wusste nicht mehr, was ich auf ihre Kommentare erwidern sollte.
Dann wurde mir auf einmal bewusst, wie schwer mein Atem schon wieder geworden war. Ich war so auf mein Gespräch mit Caro fixiert gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie es sich schon wieder anschlich.
“Oh, nein!”, stieß ich aus, wobei ich ganz vergaß, dass Caro mich noch immer sehen und hören konnte.
“Was ist?” Sie klang halb alarmiert, halb genervt.
“Ich weiß, du glaubst mir nicht, aber ich glaube, es passiert wieder!”, sprudelte ich heraus. Es fühlte sich so an, als würde jemand meinen Kopf in eine Presse zwängen. Ich stöhnte auf.
“Rose?” Noch immer klang das Misstrauen durch. Dachte sie etwa, ich spielte all das nur, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und sie zu überzeugen? Ich presste die Zähne zusammen, um nicht auf meinen Computer einzuschlagen.
“Ich -”, fing ich an. Mir wurde ein wenig schwindelig.
“Rose!”
Ich atmete tief durch und der Schleier verzog sich etwas. Dann bemerkte ich, dass mein Akku fast leer war. “Ich… ich muss meinen Laptop einstecken”, sagte ich und kämpfte mich hoch.
Ich sah ihrem Blick an, dass sie glaubte, ich hätte alles gerade eben nur gespielt.
Während ich nach meinem Ladekabel suchte, konnte ich aus dem Augenwinkel beobachten, wie sie mich scharf fixiert hatte. Vermutlich überlegte sie, ob sie lieber eine Therapeutin oder meine Eltern anrufen sollte.
Verdammt.
“Hör mal ”, fing ich an, dann verstummte ich abrupt, als das Schwindelgefühl wieder einsetzte. Allerdings biss ich mir auf die Lippe, um kein Geräusch von mir zu geben. Ich wollte sie nicht wieder alarmieren, falls doch nichts passierte – dann würde sie nur in ihrer Vermutung bestätigt werden, dass ich log und ihr alles nur vorspielte.
Caro seufzte. “Rose, wirklich, langsam glaube ich -”
Weiter hörte ich nichts. Ich war damit beschäftigt, hilflos zu versuchen, mein Ladekabel in die Steckdose zu bringen. Aus irgendeinem Grund zitterten meine Hände plötzlich so stark, dass ich es nicht hinbekam.
Caro redete im Hintergrund weiter, irgendein moralisches Geschwätz, von wegen Melody und meinen Eltern. Dann verstummte sie plötzlich – anscheinend hatte sie bemerkt, dass ich gerade daran scheiterte, meinen Laptop aufzuladen.
“Rose?” Wieder diese Mischung, schwankend zwischen Ungeduld und Vorsicht.
“Ich...” Der Schwindel war wieder zurückgekehrt. Doch wo war die Kälte?
Ich drehte mich zu meinem Laptop um. Ich sah direkt in Caros Augen. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann wurde mir plötzlich ein schwarzer Schatten vor die Augen gelegt.
Keine Kälte. Vielleicht lande ich dieses Mal doch am Strand, war mein letzter Gedanke, bevor ich wieder fiel.
Kapitel 3
Das Erste, was ich bemerkte, war der Temperaturunterschied. Es war angenehm kühl, doch ich spürte weder die klirrende Kälte noch die Nässe des Schnees.
Das zweite war der Geruch, der in meine Nase drang. Ich schmeckte kein Blut, sondern… Harz.
Das dritte, was ich realisierte, war, dass ich keine Angst mehr hatte. Die letzten Male war ich aufgewacht mit rasendem Herzen, zitternd. Nun war ich seltsam ruhig.
Vielleicht lag es auch daran, dass es hier so still war. Kein Knurren, kein Jaulen. Stattdessen hörte ich ein paar Grillen zirpen, Vögel zwitschern.
Kein Meeresrauschen. Also kein Strand.
Langsam öffnete ich die Augen.
Erneut war ich in einem Wald. Doch dieses Mal sah er nicht aus wie der Verbotene Wald in Harry Potter. Es war ein ganz normaler Wald – dachte ich zuerst.
Dann fiel mir auf, dass die Bäume ungewöhlich groß und dick waren. Okay, vielleicht war ich ja dieses Mal in einem Disney-Märchen gelandet?
Das Gras unter meinen Füßen bot eine angenehme Abwechslung zu dem eiskalten Schnee, an den ich mich nun schon beinahe gewöhnt hatte.
Ich machte ein paar Schritte, um sicherzugehen, dass ich auch in meinem Körper war. Halb erwartete ich, gleich Caro oder meine Mum zu hören, die mich wieder zurückholten.
Als ich an Caro dachte, merkte ich, wie eine leichte Enttäuschung in mir aufkam. Ich hatte wirklich gehofft, sie würde mir glauben. So verrückt meine Geschichte auch klang, wir waren schon seit fünfzehn Jahren beste Freunde.
Ich versuchte, meine Gedanken nicht bei ihr verweilen zu lassen, da ich keine Ahnung hatte, ob nicht doch gleich wieder ein Wolf – oder eine Hexe – aus den Bäumen hervorbrechen würde.
Was machte ich hier?
Noch immer brannten mir all diese Fragen auf der Seele, aber für den Moment war ich einfach erleichtert, dass ich nicht von einem massiven Wolf verfolgt wurde. Und dass nirgends Blut zu sehen war.
Tief atmete ich die frische Luft des Waldes ein. Es schien Herbst zu sein hier; die Blätter waren leicht rötlich gefärbt. Seltsam, dabei war es doch eigentlich erst August.
Auf einmal hörte ich ein Knacken hinter mir. Ich zuckte zusammen, aber es war nur ein Eichhörnchen. Neugierig sah es mich an, dann rannte es weiter, tiefer in den Wald hinein.
Auch wenn es wahrscheinlich eine bescheuerte Idee war, folgte ich ihm. Wieso fühlte ich mich hier so sicher? Vermutlich würde ich gleich dafür bezahlen müssen.
Ich konnte nicht anders, als einen der riesigen Bäume anzufassen. Er schien echt zu sein. Wow. Da hatte aber jemand fleißig Gärtner gespielt.
Dieses Mal fühlte sich alles so viel realer an. Ich war so in meinem Körper verankert wie noch nie. Es fühlte sich… anders an, so anders von allem, was ich je erlebt und durchlebt hatte.
Plötzlich hörte ich Wasser rauschen. War hier ein Wasserfall in der Nähe? Neugierig machte ich noch einen Schritt nach vorne – und dann zischte plötzlich