Karsten Hennig

Die Insel der Urmenschen


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      Luftbild von Nord Sentinel. (Foto: Google Earth)

      Während die Welt eine unglaubliche Entwicklung von der Steinzeit zur Bronzezeit, Eisenzeit, der Antike, dem Mittelalter, bis hin zur Neuzeit einschließlich dem Industrie- Atom- und Informationszeitalter vollführte, blieb auf Nord Sentinel die Zeit stehen. Über all die Jahrtausende schien sich niemand für die kleine Insel und ihre Bewohner besonders zu interessieren, und bis heute ist unser Wissen über diese aus der Zeit gefallene unerforschte Welt sehr gering. Erklären lässt sich das damit, dass die Sentinelesen ihre Insel nie verließen, um sich mit anderen Völkern auszutauschen und auch keine Fremden auf ihrer Insel duldeten. Ungebetene Gäste mussten bei einem Besuch bei den Sentinelesen mit der Todesstrafe rechnen, wenn sie es wagten sich der Insel zu nähern.

      Eine erste Beschreibung der Insel erhalten wir von Maurice Vidal Portman, dem damaligen kommandierenden Britischen Offizier der Andamanen, der 1879 und 1880 als erster Europäer einen Erkundungsbesuch nach Nord Sentinel unternimmt. Er schreibt, die Insel bestehe hauptsächlich aus Kalkstein und Korallen, die mit ihren scharfen Kanten das Laufen erschweren: „Die Erde aber ist leicht und hervorragend zum Anbau von Kokospalmen geeignet, da sie sehr viel Regenwasser aufnimmt.“ (Kokospalmen sind auf Nord Sentinel unbekannt). „Der Dschungel ist an vielen Stellen offen und parkähnlich. Und es gibt wunderschöne Gehölzgruppen mit Bullet-Wood Bäumen.“ (lat. Mimusops elengi; Indischer Fruchtbaum). Seine Gruppe kam auch zu einem prächtigen Exemplar des Roten Seidenwollbaums (lat. Bombax malabaricum) mit über 8 Meter langen Brettwurzeln.

      Beispiel eines Wollbaums mit Brettwurzeln von den Bahamas. (Foto:Public Domain)

      Man vermutet, dass die Sentinelesen bereits vor 60.000 Jahren aus Afrika auf die Andamanen und somit nach Nord Sentinel gelangten, als die Inselgruppe noch über eine Landzunge mit dem burmesischen Festland verbunden war. Seitdem leben sie dort in völliger Isolation und auf dem technischen Stand der Jungsteinzeit als Jäger und Sammler. Zu ihrer Nahrung zählen neben Früchten und Wurzeln vor allem Wildschweine, Fische und Insekten, sowie wilder Honig. Als Jagdwaffen verwenden sie lange Holzspeere, sowie Pfeil und Bogen. Die Pfeilspitzen sind meist im Feuer gehärtet. Die Methode Federn ans Schaftende zu stecken, um die Reichweite und Treffsicherheit der Pfeile zu erhöhen, haben die Sentinelesen noch nicht erfunden. Es gibt aber auch keine Hinweise, dass die Sentinelesen Vögel jagen und somit die Federn nutzen könnten. Vermutlich sind Vögel für die Sentinelesen heilige Tiere, so wie es bei den benachbarten Onge, einem weiteren Urvolk der Andamanen, für einige Vogelarten auch der Fall ist. Oft werden die Pfeilspitzen auch mit scharfen Muscheln bestückt, oder mit Metall, das sie z.B. als Treibgut an Holzplanken finden. Die Bögen haben etwa eine Größe von 1,80 Meter, und sind somit so groß, wie die männlichen Sentinelesen selbst. Auch haben die Sentinelesen die Kunst des Feuermachens noch nicht entdeckt. Sie hüten das Feuer, das durch Blitzschlag verursacht wurde.

      Obwohl die Sentinelesen in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen Stämmen auf den Andamanen leben, gibt es seit jeher keinen oder kaum Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen. So hat sich die Sprache der verschiedenen Stämme auch unterschiedlich entwickelt, so dass keine Verständigung mehr möglich ist. Wir unterteilen die Ureinwohner der Andamanen in verschiedene Gruppen: Die Jangil, die Groß-Andamanesen, die Jarawa, die Onge und die Sentinelesen. All diese Völker haben ihre Wurzeln nach heutiger Erkenntnis direkt in Afrika. Südlich der Andamanen gibt es die Inselgruppe der Nikobaren, deren Einwohner jedoch von den Burmesischen Ureinwohnern abstammen. Aus diesem Grund beschränken wir unsere Beobachtungen auf die Völker der Andamanen.

      Bis heute sind die Sentinelesen die einzige Gruppe der Andamanen, die noch nicht so viel Kontakt mit unserer Zivilisation hatte, dass es ihre natürliche Lebensweise nachhaltig verändert hat. Das heißt auch, dass wir kaum etwas über die Sentinelesen wissen. Wollen wir also ihre Lebensweise verstehen, so lohnt es sich einen Blick auf die anderen Urvölker der Andamanen und ihre Geschichte zu werfen. Diese lebten bis zum Eintreffen der britischen und indischen Siedler im 19. Jahrhundert noch ebenso naturverbunden wie die Sentinelesen.

      Auch kann uns die umfassende Degeneration dieser Völker nach dem Kontakt mit unserer technisch höher entwickelten Zivilisation eine Warnung sein. Denn wie die Geschichte zeigt, bedeutet der Kontakt mit unserer zivilisierten Welt häufig den Untergang des Naturvolkes.

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      Sentinelesen am Strand von Nord Sentinel

      Um ein besseres Verständnis über den Lebensraum der Urvölker auf den Andamanen zu erhalten, möchte ich diesen kurz beschreiben: Die Inselgruppe der Andamanen liegt im Golf von Bengalen, 285 km südlich von Myanmar. Sie besteht aus 325 einzelnen Inseln mit einer Fläche von 6.408 km². Das ist die 2,5-fache Fläche des Saarlandes. Die Hauptinsel der Andamanen setzt sich aus den drei Teilen Nord-, Mittel- und Süd-Andaman zusammen. Der höchste Berg ist der Saddle Peak mit 732 Metern auf Nord-Andaman. Südlich der Hauptinsel liegt Klein-Andaman mit 734 km². Bis zur Besiedlung durch Europäer und Inder war die Insel fast vollständig mit dichtem Tropenwald bedeckt. Es gibt etwa 200 verschiedene Baumarten auf den Andamanen. Die Ostküste besteht meist aus Klippen und Felsen, auf der Westseite liegt ein Sandstrand zwischen Meer und Waldgrenze. Die Inseln sind von einem schwer umschiffbaren Korallenriff umgeben. Unter den heimischen Säugetieren gibt es drei endemische Spitzmausarten, eine Rattenart und eine Fledermausart, die nur auf den Andamanen vorkommen. Durch eingeführte Hunde, Katzen und Ratten sind sie heute gefährdet. Außerdem gibt es etwa zwei Dutzend endemische Vogelarten und einige endemische Reptilien, Kröten und Frösche.

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      Nord Sentinel liegt 35 km westlich von Süd-Andaman. (Quelle: Wikipedia.org)

      Obwohl die Ureinwohner der Andamanen nicht selbst zur See fuhren und keinen Kontakt zu anderen Völkern betrieben, kam es immer wieder zu Begegnungen mit Seefahrern anderer Nationen. Erste Hinweise finden wir in der hinduistischen Mythologie. Der Sage nach wurde Laksmana, der Bruder von Lord Rama, während einer Reise durch das Ravana Königreich, durch die Anstrengung der langen Wanderung plötzlich bewusstlos. Der Affengott Hanuman brachte daraufhin eine Pflanze namens „Sanjeveni“ von einer Insel der Affenmenschen aus dem östlichen Meer als Medizin. Durch inhalieren der Pflanzendämpfe erwachte Laksmana wieder und war geheilt. Die Insel, von der die Heilpflanze kam, erhielt daraufhin ihren Namen Andaman, nach dem Affengott Hanuman, damals auch Handuman genannt. Nachzulesen ist diese Geschichte in dem indischen Nationalepos Ramayana, das zwischen dem 4. Jh.v.Chr. und dem 2.Jh.n.Chr. entstand.

      Im Abendland finden wir einen ersten Hinweis auf die Inselgruppe im Indischen Ozean durch den griechischen Geographen und Astronomen Claudius Ptolemeaus, bekannter als Ptolemy, der sie als „Inseln des Glücks“ beschreibt. Wie er auf diesen Ausdruck kommt bleibt sein Geheimnis. Es ist wahrscheinlich, dass er durch Erzählungen, die schließlich auch Europa erreichten, von der Inselgruppe Kenntnis erlangte. Die Ureinwohner der Andamanen sind allerdings schon immer für ihre kriegerische Haltung gegenüber Eindringlingen gefürchtet worden und hatten wohl schon damals eine entsprechende Reputation unter den Seefahrern.

      Es ist weiterhin überliefert, dass zwei Reisende aus Arabien im Jahr 871 AD die Inseln besuchten. Auch die Chinesen und Japaner beschreiben die Andamanen seit dem 1. Jahrtausend AD schon unter dem Namen Andaban.

      Der venezianische Sohn eines Kaufmanns, Marco Polo, liefert eine weitere Beschreibung von den Andamanen. Nachdem er 1271 mit nur 17 Jahren über den Landweg zu seiner legendären Reise nach China aufbrach, trat er im Jahre 1291 die Rückreise auf dem Seeweg an. Mit 14 chinesischen Dschunken, beladen mit 500 Tonnen Waren, hauptsächlich Textilien, und 600 Passagieren verließ er China. Erst nach vier Jahren auf See erreichte er seine Heimatstadt