So erschien sie mir einfach immer. So zart und unschuldig erschien sie mir. Nie hätte ich gedacht sie anzufassen, so zerbrechlich sah sie aus.
Bärbel
Kalle litt später sehr, als es kriselte und die Beziehung zerbrach. Er wollte sich sogar umbringen. Sein Cousin rief dann in der Nervenklinik Landeck an und Kalle wurde abgeholt. Bei der erstbesten Gelegenheit flüchtete er zurück nach KL. Wir gingen oft auf viele Punk-Konzerte wie z.B. die UK-Subs aus England, die in Heidelberg spielten. Aber wir gaben selbst auch einige Konzerte wie z.B. im „Flash“, oder im „Kuckuksnest“. Unsere Gruppe hieß Z CAR M. Mein Bruder Felix spielte Schlagzeug, Kalle sang und ich spielte die 3-stufigen Keyboards.
Einmal ging ich alleine auf ein Punk-Konzert in Kaiserlautern. Gerade hatte ich mir nagelneue Turnschuhe gekauft. Alle tanzten den Pogo vor der Bühne und ich mittendrin. Es kam zu Raufereien und Anrempelungen, so dass plötzlich ein unbeholfener Tänzer zu Boden kam. Danach stürzten viele direkt auf den am Boden liegenden. Der, der am Boden lag, war ich und als sich der Tumult auflöste, musste ich ärgerlich feststellen, dass die Farbe meine neuen Turnschuhe nicht mehr weiß, sonder schwarz waren. Total verärgert verließ ich die Halle und ging seitdem nur ungern zu Konzerten zum mittanzen. Wir fanden später noch ein anderes besetztes Haus in der Nähe der Rumpelkammer. Da war es super. Kalle und ich waren fast jeden Tag auf Hustensaft, der wahnsinnig ins Blut ging. Oft träumte Kalle von einer eigenen Gesangsanlage, denn die fehlte uns. Als wir wieder einmal bedröhnt waren, kam ich auf die total blödsinnige Idee, dass ja im Bösken, dem Proberaum, wo Markus noch mit Bourbon spielte, eine Gesangsanlage stehen würde und vermittelte so den Eindruck, diese einfach heraus zu holen. In wirklich jugendlichem Leichtsinn und Dummheit begaben wir uns dann irgendwie in den abgeschlossenen Raum und holten einfach die Gesangsanlage, die uns ja nicht gehörte, in einer Nacht und Nebelaktion heraus. Am nächsten Tag, mit klarem Kopf war es mir dann so dermaßen peinlich, so dass ich Markus unseren Diebstahl beichtete und ihm sofort die Anlage wieder zurück gab. Was konnte man nur mit diesem Saft anrichten, wurde mir damit bewußt.
Wir gingen eines abends von der Rumpelkammer hinüber in das besetzte Haus, wo wir viele Leute antrafen. Kalle, der wirklich Stadtbekannt war, kannte einige unter ihnen. An Kalle war ein echtes Schauspielertalent verloren gegangen, so gut konnte er Geschichten erzählen und Menschen auf seine eigene komische Weise unterhalten. Es war schade, dass er nie in dieser Richtung etwas unternahm. Er präsentierte sich vor der Menge und spielte ihnen regelrecht sein eigenes Theater vor. Alle genossen dieses Schauspiel und bogen sich nur so vor lachen. Leider kamen ab und zu auch richtig asoziale Leute in die Rumpelkammer, was uns gar nicht gefiel und es herrschte eine spürbar gedrückte Stimmung. Die Junkies spritzten sich ihre Drogen unten in den Toiletten. Eines Tages, urplötzlich, ohne Gründe, verweigerte der Besitzer der Rumpelkammer ausgerechnet mir den Eintritt. Warum weiß ich bis heute nicht. Als ich Kalle davon unterrichtete, ging er zielstrebig zum Besitzer und beschwerte sich, legte ein gutes Wort für mich ein, obwohl ich ja nie etwas verbrochen hatte. Dann war die Sache geklärt und die Party ging weiter. An einem Abend waren wir wieder einmal auf dem Weg in die Rumpelkammer, den Kopf bereits mit Substanzen gefüllt, unterwegs mit meinem alten R 4. Kurz vor der Rumpelkammer befand sich eine Polizei-Station und direkt vor dieser wurden wir überraschend und grundlos von der Polizei angehalten und an die Wand gestellt. Mit gezogenen Waffen verlangte überraschend und grundlos von der Polizei angehalten und an die Wand gestellt. Mit gezogenen Waffen verlangte die Polizei, die in Zivil war unsere Personalien, die wir bereitwillig übergaben. Kalle regte sich wahnsinnig auf, dass ohne ersichtlichen Grund scharfe Waffen auf uns gerichtet wurden. Ich selbst war mir keiner Schuld bewußt, die diese Situation hätte zustande bringen können. Nachdem die Personalien überprüft wurden, entschuldigten sich die Polizisten und wünschten uns noch einen schönen Abend. Sie hatten uns aus irgend einem Grund mit einem Bankraub in Verbindung gebracht und es wäre ein Versehen gewesen, hieß es. Unbeeindruckt, aber doch ärgerlich überden Zeitverlust, fuhren wir zum Tanzen in die Rumpelkammer.
8. Der Absturz
Nissutibor, der Hustensaft war unser aller, täglicher Gedanke, zumindest für die paar Leute, die von der eigentlichen Wirkung wußten. Sehr oft fuhr ich mit bedröhntem Kopf alleine, aber auch mit unseren Leuten durch die Gegend, ohne dass jemals irgend ein Unfall zustande kam, worüber ich mich heute noch wirklich sehr wundere. Wir wußten nicht was wir taten. Einmal fuhren wir, JJ, Kalle und ich zur amerikanischen Siedlung, wo sich deren Supermarkt nähe der Kasernen befand. Es war Sonntags und uns war ziemlich langweilig. Kein einziges Auto parkte auf diesem riesigen Parkplatz. Den alten R4 testete ich mal so richtig vom Fahrverhalten aus. Wir quatschten und stiegen dann aus. Als Jürgen etwas weiter von Kalle und mir entfernt war, stiegen wir einfach ins Auto ein, fuhren weg und ließen Jürgen einfach da stehen. Warum wir das machten, frage ich mich bis heute noch. Jürgen zog 1981 nach Berlin, wo er noch heute lebt. Später traf ich ihn durch Zufall noch einmal und musste leider feststellen, dass er noch genauso Drogenorientiert lebte wie damals in Kaiserslautern und sozugsagen auf diesem Niveau Stehen geblieben ist. Ich entschuldigte mich nachträglich für unser unsoziales Verhalten damals, woran er sich jedoch nicht mehr erinnern konnte.
Unser Drogenkonsum auf jeden Fall steigerte sich enorm, von Tag zu Tag. Immer öfter tranken wir diesen ekligen, dickflüssigen Hustensaft. Als zu der Zeit, als die „Alternativen“, oder auch die Freaks, oder Atomkraftgegner eben nach Frankfurt zur Demo gingen, kam Tine, eine Bekannte von uns eines Tages zurück und meinte, sie hätte uns etwas mitgebracht. Von dem selbsteingerichteten Dorf im Wald bei Frankfurt, welchesspäter von der Polizei geräumt wurde, brachte sie eine seltsame Wurzel mit. Sie übergab sie uns und fügte hinzu, dass dies die Wurzel eines Tollkirsch-Baumes wäre. Wir sollten aus einem daumengroßen Stück der Wurzel einen Tee zubereiten. So interessiert an allem Neuen wie wir zu der Zeit waren, freuten wir uns natürlich und probierten es aus. Das Ergebnis der Aktion, im Nachhinein überlegt, war mehr als Lebensmüde zu sein. Denn wir bekamen ordentliche Lähmungserscheinungen, die sich ab dem Halsbereich bis hinab zu den Beinen unangenehm bemerkbar machten. Wir waren froh, nachdem die Wirkung der Vergiftung, nach zum Glück nicht allzu langer Zeit von uns abließ. Doch das war zumindest für mich erst der Einstieg.
In dieser Zeit, 1980 filmte ich sehr viel mit meiner Super 8 Kamera. Mein Traum war es, eine Art Video-Clip zu erstellen. Dazu fuhren Kalle und ich in den Wald auf einen Hügel. Ausgerüstet mit Ghetto-Blaster, Super 8 Kamera und Stativ. Mit toller Sicht auf ganz Kaiserslautern von den höher gelegenen Bergwäldern, produzierte ich zusammen mit Kalle unseren ersten laienhaften Video-Clip. Diese Filme wurden kürzlich neu überarbeitet und digitalisiert.
Der eigentliche Absturz, über den ich wirklich nie wieder gerne nachdachte oder redete, fällt mir auch jetzt schwer darüber zu berichten. Keinem Feind würde ich diese Erlebnisse wünschen. Der eigentliche Absturz war unabsehbar und spielte sich folgendermaßen ab. Bei Bernd., einem unserer Bekannten wollten wir unsere Filme vorführen. Mit dabei war also Kalle, Rick, ein Cousin von Kalle, Bernd B. und ich. Zuhause packten wir alles zusammen und Kalle half mir dabei. Nebenbei tranken wir unseren Hustensaft, um dann später „gut drauf“ zu sein. Angekommen in der Wohnung von Bernd B., stellte ich die Leinwand auf und positionierte den Film-Projektor. Nebenbei nahmen wir noch zusätzlich neben Alkoholkonsum, den „berühmt berüchtigten“ Philocybin Pilz ein, der Halluzinationen hervorbringen konnte. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Ungefähr zu Mitte des Films wurde es plötzlich duster. Kein Licht. Die Hand war nicht vor dem Gesicht zu sehen. Bis heute weiß ich nicht genau, ob evtl. der Film gerissen war, oder ob ich Bewusstlos wurde. Das Letztere nehme ich aus folgendem Grund an. In der Dunkelheit hatte ich plötzlich das Gefühl, mit dem Bauch auf dem Teppichboden zu liegen. Ich meinte wir, Kalle, Rick, Ben B. und ich würden Seite an Seite , jeder in einem separaten Sarg liegen. Schon alleine