Elke Schwab

Mord ohne Grenzen - Elsass-Krimi


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Mühsam gelang es ihm, den schweren Deckel anzuheben.

      Unter lautem Knarren fuhr die schwere Klappe Millimeter für Millimeter nach oben. Vor ihnen offenbarten sich Kleidungstücke in allen Farben.

      „Was soll das?“, fragte Lucien.

      „Wir suchen ein vierjähriges Mädchen, das vermisst wird“, erklärte Jean-Yves.

      „Und das suchst du in meinem Kofferraum – zwischen meinen Klamotten?“

      „Tut mir leid, aber dein Auftauchen mit einem fremden Wagen an einer Stelle, wo das Kind zuletzt gesehen wurde, hat dich verdächtig gemacht.“ Jean-Yves zuckte mit den Schultern. „Und dazu noch deine Begleitung…“ Alle Blicke fielen auf Constance Pinolaire, die sich in den Wagen zurückgezogen und die Beifahrertür geschlossen hatte. „Wo hast du die wieder aufgetrieben, Lucien? Kannst du nicht einmal deinen Lümmel in der Hose behalten?“, fügte er flüsternd an.

      Tanja wunderte sich darüber, wie Jean-Yves mit diesem Mann sprach. Es fiel ihr nicht zum ersten Mal auf, dass der Umgangston der Polizei in Frankreich rauer ausfiel als in Deutschland. Aber jetzt wollte sie ihn nicht darauf ansprechen. Denn trotz allem war das Gespräch hochinteressant.

      Lucien ordnete seine langen Haare, band sie zu einem Zopf. „Ein vierjähriges Mädchen – du lieber Himmel. Ich komme gerade aus Paris. Also kannst du mich nicht für etwas verantwortlich machen, was in dieser Zeit in Potterchen passiert ist.“

      „Hoffentlich hast du an Kondome gedacht“, wandte Jean-Yves sauertöpfisch ein.

      „Nur nicht neidisch werden. Irgendwann kommst du auch noch auf deine Kosten.“

      „Danke für deine Fürsorge. Ich will einfach nur verhindern, dass einer wie du sich vermehrt“, konterte Jean-Yves. „Und was ist das überhaupt für ein Wagen?“

      „Funkelnagelneu.“ Stolz brüstete sich Lucien Laval. „Hat mir meine Firma als Dienstwagen zur Verfügung gestellt. Cool, oder?“

      „Wissen die auch, was du in dem Dienstwagen so treibst?“

      Lucien stieg in den Geländewagen ein, ließ die Scheibe herunterfahren und rief, während er Gas gab: „Mach eine Meldung. Spätestens dann wissen sie’s.“

      15

      „Ich biete Ihnen etwas ganz Besonderes für Ihr Grundstück an den Gleisen.“ Der Bürgermeister grinste, während er sein Amuse Gueule bestehend aus Baguette mit scharfen Peperoni in den Mund schob. „Sie besitzen einen alten Friedhof. Was können Sie schon damit machen? Nichts.“

      Christian Schweitzer kaute nachdenklich auf seinem Tatar aus Räucherlachs, bevor er auf das Angebot reagierte: „Sie brauchen den Friedhof, um dort den geeigneten Reitpark für Ihr Ponyhotel zu errichten. Sehe ich das richtig?“

      „Ganz richtig“, bestätigte der Bürgermeister. „Und Sie können nichts damit anfangen, weil Sie keine Genehmigung bekommen, die alten Grabsteine zu entfernen.“

      „D’accord.“

      „Dann nehmen Sie mein Angebot an?“

      Mit Ziegenkäse gratinierte Lammkoteletts mit Tagliatelle auf einem Gemüsebett wurden serviert.

      „Ein Ponyhotel klingt für mich, als erwarteten Sie Kinder als Gäste.“ Monsieur Schweitzer probierte von seinem Lamm.

      „Familien mit Kindern. C’est vrais.“

      „Ist das nicht gewagt, jetzt, nachdem schon das zweite Kind verschwunden ist?“

      „Das Kind ist nicht verschwunden, es ist vom Pferd gefallen“, korrigierte der Bürgermeister.

      „Und warum hat die Gendarmerie Verstärkung aus Strasbourg angefordert? Bestimmt nicht, weil ein Kind vom Pferd gefallen ist.“ Monsieur Schweitzer kaute nachdenklich und fügte an: „Schmeckt vorzüglich.“

      „Danke. Ich werde das Kompliment an meinen Koch weitergeben.“

      „Ist das Mädchen von zellemols – Daniela hieß sie, glaub ich – nicht ebenfalls das letzte Mal in Ihrem Stall gesehen worden?“

      „Wir wollen doch nicht vom Thema abkommen“, murmelte der Bürgermeister. „Wollen Sie nicht wissen, was ich Ihnen für den alten Friedhof biete?“

      Monsieur Schweitzer schaute interessiert auf.

      „Ich biete Ihnen ein Haus im Lotissement, das nächstes Jahr auf der anderen Seite der Schienen gebaut wird ...“

      „Das Lotissement“, fiel Monsieur Schweitzer dem Bürgermeister ins Wort. „Wen haben Sie dafür bestechen müssen, um auf den Grundmauern eines ehemaligen Jesuitenklosters ein Neubaugebiet errichten zu dürfen? Die Sous-Préfecture in Saverne oder sogar die Préfecture aus Strasbourg? Von dem Ponyhotel will ich gar nicht reden.“

      „Lassen Sie diese Anspielungen! Hören Sie sich mein Angebot an. Sie bekommen alles auf dem neuesten Stand, das Grundstück, worauf es gebaut werden soll, können Sie sich selbst auswählen. Das ist doch ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können.“

      „Ich werde doch nicht mein Heim aufgeben, das ich mit Mühe und Schweiß selbst aufgebaut habe, um in ein altes Kloster zu ziehen.“

      „Was reden Sie für einen Unsinn? Das Kloster steht schon seit sechzig Jahren nicht mehr. Sie werden keine Arbeit mit Ihrem neuen Haus haben. Ihnen wird der Schlüssel für ein bezugsfertiges Haus überreicht.“

      „Kommt nicht in Frage“, brummte Monsieur Schweitzer stur.

      „Ich glaube, ich sollte mal mit Ihrer schönen Frau darüber sprechen“, konterte der Bürgermeister. Dabei dachte er an die rothaarige Frau mit ihren üppigen Rundungen an genau den richtigen Stellen. Nur mit Mühe gelang es ihm, ein Grinsen zu unterdrücken. „Wie heißt sie noch? Valerie?“

      „Meine Frau steht voll und ganz hinter mir.“

      „Ach wirklich? Glauben Sie nicht, dass sie meinem Angebot zustimmen würde?“

      „Vergessen Sie es. Den Friedhof verkaufe ich Ihnen nur unter einer Bedingung.“

      „Die da wäre?“ Der Bürgermeister schnitt ein Stück vom zarten Fleisch ab.

      „Ich will, dass Sie den Kindergarten schließen oder verlegen. Dann verkaufe ich – für bares Geld. Ich tausche nicht.“

      Der Bürgermeister lachte humorlos. „C’est impossible. Und das wissen Sie.“

      „Meine Frau und ich ertragen den Lärm nicht, den die Kinder veranstalten.“

      „Ein Grund mehr, das Haus im Lotissement zu nehmen.“ Der Bürgermeister strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

      „Mein Haus hat einen Wert, den ein neues Gebäude nicht ersetzen kann. Sie bekommen den Friedhof nur, wenn der Kindergarten verschwindet.“

      „Das Gebäude wurde für die École Maternelle und die École Élémentaire errichtet. Das können wir nicht an einen anderen Ort versetzen.“ Der Bürgermeister ahnte, dass die Verhandlungen schwieriger würden, als er angenommen hatte. Er sah sich gezwungen, seine Taktik zu ändern. „Wäre Ihnen gebratener Seeteufel auf iberischem Schinken lieber gewesen? Ich werde den Chefkoch sofort veranlassen, uns ein anderes Essen zuzubereiten.“

      „Nein danke. Das Essen ist vorzüglich. Trotzdem bleibe ich bei meinem Entschluss. Ich verkaufe Ihnen den alten Friedhof nur, wenn der Kindergarten geschlossen wird.“

      „Was war zuerst da?“, fragte der Bürgermeister, dessen Tonfall inzwischen schärfer wurde. „Ihr Haus oder der Kindergarten?“

      Die Nachspeise wurde serviert. Monsieur Schweitzer schob sich einen gehäuften Löffel Mousse au Chocolat in seinen Mund. Eine Antwort blieb er schuldig.

      „Da haben wir es ja. Sie können nicht verlangen, dass wir den Kindergarten schließen. Irgendwo müssen die Kinder