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KIGALI


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Ruanda gibt es zwei große Stämmen, die seit je immer Probleme miteinander hatten, aber irgendwie auch miteinander leben konnten: Es handelt sich um die Hutu, sie sind die Mehrheit, und die Tutsi.

      Kigalis Mama war eine Tutsi und ihr Vater ein Hutu.

      Seit einigen Monaten propagierten manche Extremisten die Idee einer ethnischen Säuberung und deswegen sollten alle Hutu sich von Tutsi-Partnern trennen, sonst würden sie als Verräter gelten. Diese Leute wollten auch, dass Baba, wie man ihn nannte, sich von Reh trennte. Was er selbstverständlich ablehnte.

      Reh versuchte, schnell wieder eine entspannte Ausstrahlung zu haben, und lächelnd sagte sie zu ihrer Tochter: „Ach, meine Tochter, wo hast du den Blödsinn her? Nichts wird passieren in einem Land, wo es Blauhelme gibt. Da wo die UNO ist, ist die Welt vor Ort. Die Welt wird nicht zulassen, dass so etwas passiert. Steh auf. Wir müssen zu Farima fahren. Hast du das vergessen?“

      Kigali war trotzdem nicht beruhigt, stellte aber keine weiteren Fragen mehr. Sie hatte keine Lust, irgendwo ohne ihre Familie zu sein, aber gestern hatte sie sich mit Farima, der Tochter einer befreundeten Familie, verabredet. Sie wollten den ganzen Vormittag zusammen verbringen.

      „Mama, ruf sie bitte an und sag, dass ich krank bin. Ich will zu Hause bleiben. Bitte Mama“, bat sie.

      „Okay, das tue ich, mein Schatz“, antwortete Mama und ging hinaus.

      Den ganzen Tag beruhigte sie sich mit der Anwesenheit der Blauhelme vor Ort, aber die Nachrichten, die sei mitbekam waren sehr beunruhigend. Berichte von Menschenrechtsorganisationen, wie Human Rights Watch, legte schon Anfang 1994 offen, dass neben Macheten, die an die Bevölkerung verteilt worden waren, Kriegswaffenlieferungen in erheblichem Umfang nach Ruanda gingen. Die Geheimdienste der Weltmächten müssen doch informiert sein und ganz sicher tun sie etwas dagegen, überzeugte sie sich selbst.

      Dieser Tag, Mittwoch der 6 April 1994, verlief ansonsten ruhig. Im Rundfunk war zu hören, dass der Präsident des Landes in Daressalam war und am Abend zurück nach Kigali flog. Deswegen warteten sie mit dem Abendessen nicht auf Baba, der ein Offizier der Armee war. Er musste bei solchen Gelegenheiten, wenn der Präsident nach Hause zurück kam oder ins Ausland flog, immer in Bereitschaft sein.

      Sie waren fertig mit dem Essen und schauten ein Video von Rambo, als Baba vollgeschwitzt und außer Atem ins Wohnzimmer platzte.

      „Schnell, schnell, packt eure Sache, sofort!“, schrie er sehr aufgeregt.

      „Was ist los Baba?“, fragte Reh.

      „Ich sage es dir unterwegs. Macht schnell. Wir haben keine Zeit. Nur paar Kleidungsstücke und wichtige Sachen. Ich muss euch sofort in Sicherheit bringen.“

      „Was ist los Papa?“, fragte der älteste Sohn Paul, der 18 war.

      „Frag nicht so blöd. Mach, was ich dir sage. Wir müssen sofort weg hier. Habt ihr keine Nachrichten gehört?“

      Der Sohn machte das Radio an und suchte den Sender RFI, einen französischen Sender für Afrika. Er hörte kurz zu und schrie laut auf.

      „Schnell, weg hier. Ein Attentat auf den Präsidenten. Präsident Habyarimana ist tot. Sein Flugzeug wurde bei der Landung abgeschossen und die Hutu machen die Tutsi dafür verantwortlich“, sagte der Vater.

      Nach 15 Minuten waren alle Kinder – Kigali (11), Bernard (13), Mireille (15) und Paul im Auto und warteten auf ihre Eltern.

      Die Eltern blieben noch 15 Minuten im Haus. Als die Kinder draußen waren, hatten sie sich in die Augen geschaut und Lust bekommen, noch einmal miteinander zu schlafen, als ob sie etwas Schreckliches ahnten. Als ob sie wussten, dass sie so etwas Schönes und Inniges nicht mehr haben würden. Es war wie ein unbewusster Liebesabschied. Dieses Mal war der Sex anders. Er war sehr schön und schmerzhaft. Zum ersten Mal, seitdem sie zusammen waren, erreichten sie gleichzeitig den Höhenpunkt. Dabei weinten sie, wie kleine Kinder. Sie standen beide auf und nahmen sich nackt in die Arme und drückten sich so fest, dass, sie kaum noch atmen konnten.

      „Ich liebe dich, Baba, und werde dich immer lieben, verstehst du?“, sagte Reh.

      Baba hielt sie weiter fest und sagte nichts dazu.

      „Warum sagst du nichts, Baba, warum sagst du nicht, Reh, habe keine Angst, alles wird gut? Warum versuchst du nicht, mich zu beruhigen?“

      „Ich liebe dich über alles, Reh“, sagte Baba. „Alles wird gut, mein Schatz. Bleib ruhig“, hörte er sich ohne Überzeugung sagen.

      „Ist das wahr, Baba? Ich kann wirklich ruhig bleiben? Kommen wir jemals zurück in dieses Haus, mein Tarzan? Kannst du es mir versprechen?“

      5 Minuten später waren sie auch im Auto und fuhren los. Reh drehte sich um, sah das schöne Haus und sagte entschieden und laut, dass es alle hören konnten: „Haus ich wünsche mir, dass wir wieder zurückkommen. Du bist unser Zuhause und nirgendwo anders.“

      Vielleicht hätte sie niemals diesen Wunsch äußern sollen?

      „Passt auf, was du dir wünschst, Reh. Es könnte wahr werden und in unserer Situation wäre es kein gutes Zeichen“, sagte Baba.

      „Werden wir gezielt gesucht?“, fragte Bernard.

      „Sie haben eine Liste. Ja, sie haben eine Liste und sind dabei, von Haus zu Haus zu gehen und Menschen wie mich, die abgelehnt haben sich von ihren Tutsi-Ehefrauen zu trennen, umzubringen“, antwortete Baba.

      „Und die UNO, die UNO, was macht sie denn? Warum lässt sie morden? Warum lässt Amerika es zu? Warum lässt Frankreich es zu? Warum?“, fragte Reh weinend, als sie nun langsam wie ihr Mann erkannte, dass die UNO doch keinen Schutz bot und vielleicht sogar Teil des Problem war.

      „Mama, ich habe dir schon immer gesagt, auf Frankreich können wir Afrikaner nicht zählen. So schlimm ist es auch noch nicht, Mama. Schau mal, die Straßen sind noch ganz ruhig. Man hört nichts. Vielleicht ist es morgen schon wieder vorbei“, versuchte der älteste Sohn seine Mama zu beruhigen.

      Nach 20 Minuten Fahrt erreichten sie einen Treffpunkt, an dem jemand mit einem anderen Auto auf sie wartete. Sie wechselten das Auto und stiegen in das Taxi, das sie in ein Geheimversteck außerhalb der Hauptstadt Kigali führen sollte. Der Fahrer war ein vertrauter Babas: Er war sein Dienstfahrer André.

      „Ici la centrale, l´opération Nettoyage est en cour. Ou êtes-vous?“ (Hier die Einsatzzentrale. Die Operation „Säuberung“ ist im Gang. Wo sind Sie?“) rauschte es aus seinem Walkie-Talkie.

      Baba hatte keine Zeit mehr. Er musste nun sehr schnell wieder weg.

      „Ihr werdet heute Nacht in diesem Versteck schlafen. Morgen, sobald sich die Gelegenheit ergibt, wird André euch zu der Grenzstadt fahren. Ich komme nach.“

      Baba wusste nicht, dass er sich gerade für immer von seiner Familie verabschiedet hatte und sie das letzte Mal lebendig gesehen hatte. Er konnte nicht ahnen, was am nächsten Tag in seinem Haus passiert würde. Er konnte sich ganz sicher zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, mit welcher unvorstellbaren Grausamkeit seine Familie umgebracht würde. Er konnte nicht ahnen, dass ausgerechnet ein Vertrauter, einer der jeden Tag mit der Familie zusammen war, viel mit ihr gemacht hatte, der wie ein Sohn der Familie war, die Kinder miterzogen hatte, der Anführer der Menschen war, die dieses Verbrechen begehen würden. Er wusste auch nicht, dass er selbst nur noch weniger als 48 Stunden zu leben hatte.

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