es war die einzige Alternative.
Von ihrem Vater hatte Jane eher das britische Temperament geerbt. Ihre Gesten waren manchmal so steif, dass man sie auf den ersten Blick für arrogant hielt. Gleichzeitig wirkte sie aber auch durchaus vornehm.
Jane benahm sich wie eine echte englische Lady. War immer höflich, aber kühl und beherrscht. Ohne die großen lebhaften Gebärden ihrer Mutter.
So war Jane also die exotische, kühle Schönheit mit multikulturellem Hintergrund, die in München lebte.
Jane atmete tief durch, als sie den Flughafen von Havanna hinter sich ließ. Sie hatte gerade elf Stunden Flug und sechs Stunden Zeitverschiebung hinter sich. Auf Kuba war es drückend heiß. An die Luftfeuchtigkeit musste sie sich erst mal gewöhnen. Deutschland war sehr kühl gewesen, hier herrschte karibisches Klima.
Das historische Taxi, das sie ins Hotel brachte, hatte natürlich keine Klimaanlage. Dafür hatte der dunkelhäutige Fahrer alle Fenster heruntergekurbelt und brachte so eine stürmische Brise in den Fahrgastraum. Der starke Wind ruinierte die Reste von Janes Frisur endgültig.
Der Fahrer plapperte munter vor sich hin. Er war wohl in der Annahme, dass Jane, wie die meisten Touristen, nur wenig bis gar kein Spanisch verstanden.
Als sie sich wortreich und in fließendem Spanisch am Hotel von ihm verabschiedete, blieb dem Mann vor Staunen der Mund offen.
Der Taxifahrer starrte ihr immer noch fassungslos hinterher, als sie bereits zielstrebig auf die Rezeption des Hotels „Velasco“ zusteuerte.
Das Hotel war sicher nicht das komfortabelste. Aber es lag mitten im alten Stadtkern von Havanna und war mit nur siebzehn Zimmern überschaubarer und gemütlicher, als die modernen Hotelanlagen am Stadtrand. Jane konnte die alte Festung sehen, die über der Altstadt thronte. Irgendwann, in den nächsten Tagen, würde sie die Burg sicher besuchen.
Das Hotel war über hundert Jahre alt und, wie sie nachlesen konnte, im neoklassizistischen Stil errichtet. Jane fand es vom ersten Augenblick an einfach großartig. Sie fühlte sich, als würde sie nach Hause kommen.
Die freundliche Dame an der Rezeption war begeistert, mit Jane problemlos spanisch sprechen zu können. Zwar sprach sie, nach den vielen Jahren als Rezeptionistin und Hausdame, auch recht gut Englisch und sogar etwas deutsch, doch natürlich drückte sie sich in ihrer Muttersprache sehr viel lieber aus.
Señora Serena führte sie gleich selbst in Zimmer Nummer 10, dem Eckzimmer im 2. Stock. Von hier aus, konnte Jane direkt auf den Freiheitspark sehen.
Jane fühlte sich sofort wohl. Es war eine angenehme Atmosphäre. Sie konnte sich durchaus vorstellen, hier auch längere Zeit zu wohnen.
Durch die massiven Holzläden drang die Sonne nur diffus herein. Obwohl es keine Klimaanlage gab, hielten die dicken Mauern die Hitze draußen.
Die Einrichtung war spartanisch. Ein breites Bett, ein Nachtschränkchen. Ein kleiner Tisch mit einem Stuhl davor. Der schmale Kleiderschrank vervollständigte die Einrichtung. Trotzdem wirkte das Zimmer sehr gemütlich. Es strahlte etwas Vertrautes aus, wie ihr altes Kinderzimmer.
Das Bad sah frisch renoviert aus. Es war sauber und modern. Alles Nötige vorhanden. Jane war zufrieden. Die dralle Hausdame überreichte ihr den Zimmerschlüssel und wünschte ihr einen angenehmen Aufenthalt. Señora Serena zog die Zimmertür hinter sich zu. „Eine nette, junge Frau“, dachte sie bei sich. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, was Jane in Havanna würde durchleiden müssen.
Erschöpft ließ Jane sich aufs Bett sinken. Der lange Flug in der Holzklasse forderte seinen Tribut. Havanna würde sie ab morgen noch genug erleben. Jetzt wollte sie nur noch schlafen.
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Jane war begeistert und beschloss sofort, mindestens vier Wochen auf Kuba zu bleiben. Hier, in diesem wundervollen, alten Hotel.
Sie war in der glücklichen Lage von ihrer Schreiberei leben zu können. Zu Hause, in Ihrem kleinen Appartement, wartete niemand auf sie. Also würde Havanna die nächste Zeit zu ihrer neuen Heimat werden.
Jane hatte bereits herausgefunden, dass die meisten Gäste im „Velasco“ Stammgäste waren. Die Besucher kamen immer wieder hierher zurück oder wohnten sogar dauerhaft in dem Hotel. Sie konnte das voll und ganz verstehen. Das Gebäude selbst und auch die Angestellten waren einfach ein Traum. Die Atmosphäre war einfach nur anheimelnd. Sie fühlte sich hier so wohl, wie noch nie im Urlaub.
Dauergäste waren auch die beiden weißhaarigen Schwestern, jenseits der Siebzig. Die munteren Engländerinnen waren beide mehrmals verwitwet und verbrachten ihren Lebensabend nun gemeinsam in diesem schönen alten Haus, unter der Sonne Kubas.
Diese herrlich schrägen, manchmal sogar sarkastischen, alten Ladys, waren Janes ganze Freude.
Sie konnte immer mit den Damen plaudern und lachen. Sich alles über alle Gäste erzählen lassen. Eine wunderbare neue Quelle der Inspiration für Janes künftige Romane. Die alten Engländerinnen selbst, waren eine Fundgrube für einige schrullige Charaktere. Es war großartig! Jane würde hier so viel Material sammeln können, das neue Buch würde sich quasi von selbst schreiben!
Greta und ihre jüngere Schwester Ella kannten Havanna bestens. Sie waren aber beide inzwischen so eingeschränkt in ihrer Beweglichkeit, dass sie meist den ganzen Tag im Hotel verbrachten und es sich gut gehen ließen. Ihre Augen jedoch waren überall. Beobachteten jedermann argwöhnisch. Jede Bewegung der Angestellten und Gäste wurde stets von zwei aufmerksamen braunen Augenpaaren verfolgt und mit den scharfen Mundwerken kommentiert. Jane traf sich eigentlich immer mit den Damen, wenn sie im Haus war.
Sie durchstreifte aber ebenso gerne die Stadt. Sah sich die alten Gebäude und Sehenswürdigkeiten an.
Den Namen „Indiana Jane“ hatten ihr die Hotelgäste verpasst. Der Grund war, dass sie, sobald sie ins Freie ging, immer einen großen Hut, ähnlich dem, den Harrison Ford in den Indiana-Jones-Filmen getragen hatte, auf ihren Kopf setzte. Sie leistete sich diese kleine Marotte, trotz ihrer noch jugendlichen vierunddreißig Lebensjahre.
Jane hatte keinen Zweifel, dass Greta sich diesen Spitznamen für sie ausgedacht hatte. Das alte Mädchen sprühte geradezu vor schwarzem Humor und komischen Einfällen.
Janes großes Vorbild war der Schriftsteller Ernest Miller Hemingway. Der hatte sein Leben auch in vollen Zügen genossen und manche Marotte gepflegt. Er war genial und verrückt zugleich gewesen.
Freilich war ihre Schreiberei nicht mit den dramatischen und künstlerischen Werken Hemingways zu vergleichen. Jane war eine recht erfolgreiche Krimiautorin für einen großen Taschenbuchverlag. Ihre letzten Krimis „Kalter Mord“ und „Schatten in der Dunkelheit“ waren sogar in den USA und in England erschienen. Außerdem kauften verschiedene Magazine gerne ihre Reiseberichte.
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