Carl Wilckens

Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1


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miteinander, während sie durch die geschlossene Tür entschwebten, als wären sie nichts weiter als Trugbilder. Dabei verursachten sie bis auf ein leises Seufzen wie von einem Luftzug, der sich unter einem Türspalt hindurchzwängt, keinen Laut. Mit angehaltenem Atem lauschte der Marionettenmann. Mehrere zähe Sekunden verstrichen, während derer nur das Rauschen des Regens zu hören war. Hatten die Nebelgeister den Wurmgott bezwungen? Diese Wesen waren normalerweise friedlich. Doch wenn man sie dazu bringen konnte, zu kämpfen, machten sie blutigen Ernst. Der Marionettenmann wagte es nicht, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Er hatte kaum die Gelegenheit, Mut zu sammeln, da schwang die Tür auf, und der Wurmgott und sein Begleiter traten ein. Sie schüttelten das Wasser von ihren Schirmen und klappten sie zusammen, als wäre ihnen draußen nichts Schlimmeres begegnet als strömender Regen.

      »Marionettenmann.« Die Stimme des Wurmgottes war ruhig, aber deshalb nicht weniger einschüchternd, als wenn die Erde davon erbebt wäre. Seine Augen – dunkel, kalt – hielten den Marionettenmann so wirksam in Schach, wie es für gewöhnlich nur eine Pistole gekonnt hätte. Er stellte den Regenschirm neben der Eingangstür ab und griff abermals in sein Sakko. Dieses Mal holte er eine Taschenuhr daraus hervor und klappte sie auf. Statt eines Ziffernblatts kam das Uhrwerk zum Vorschein bestehend aus rotierendem Räderwerk und pendelnder Unruh. Während es den Blick des Marionettenmannes gefangen nahm, entkoppelte es sein Hirn von jedem Muskel in seinem Leib.

      »Es war schwer, Emily zu töten«, sagte der Wurmgott im Plauderton, während er die Taschenuhr wieder wegsteckte und an dem Marionettenmann vorbei zum Kamin ging. »Die kleine Füchsin wusste doch tatsächlich, wie man ein Mojo herstellt.« Ein Anflug von Stolz belebte die Züge des Wurmgottes. Er nahm einen Teekessel vom Kaminsims und hing ihn über das Feuer, nicht ohne sich davon zu überzeugen, dass noch Wasser darin war. »Sie hatte wohl beabsichtigt, sich vor deinem Spiegel zu verbergen – erfolglos, wie wir beide wissen. Dafür machte sie es mir fast unmöglich, ihre Zukunft zu beeinflussen.« Der Wurmgott sah zu seinem Begleiter, der noch immer im Türrahmen stand. »Rein oder raus, Walter«, sagte er trocken, »aber mach die Tür zu.« Walter trat ins Kerzenlicht und erst jetzt sah der Marionettenmann, dass er zwei längliche Objekte auf den Armen trug, die an riesige Spritzen erinnerten. Er lächelte auf eine Weise, die Schlimmes ahnen ließ.

      »Ich habe versucht, so subtil wie möglich vorzugehen«, setzte der Wurmgott seinen Monolog fort, während er vorm Feuer auf und abging. »Ich wollte nicht, dass sie herausfindet, dass jemand viel Bedeutenderes hinter ihr her war, als sie ahnte. Aber hast du eine Idee, wie schwer es ist, den Lauf der Dinge zu lenken, wenn man ständig auf dieser verdammten Straße gehen muss, über der keine Sterne scheinen?« Wut begleitete die letzten Worte des Wurmgottes – nur ein Anflug, doch ließ sie sämtliche Schrumpfköpfe ängstlich die schrumpeligen Lippen aufeinanderpressen, den Marionettenmann den Atem anhalten und das Lächeln des Mannes namens Walter verfliegen. Der Wurmgott schloss kurz die umschatteten Augen und holte einmal tief Luft, ehe er fortfuhr: »Alle Versuche, diese Diane dazu zu bringen, sie zu erledigen, scheiterten. Ich schlage schließlich alle Vorsicht in den Wind und schicke einen meiner Diener los, damit er ihr die Pulsadern aufschneidet. Und was passiert? Es gelingt ihr tatsächlich, ihn zu vertreiben, und dieser William – ebenfalls unsichtbar für meine inneren Augen – platzt rein und rettet ihr das Leben. Ich muss mich also persönlich um Emily kümmern, woraufhin du, Marionettenmann, offenbar nichts Besseres im Sinn hast, als sie zurückzuholen. Du – hast – eine –Aufgabe!« Die Lippen des Marionettenmannes hätten wohl gezittert, unterläge er nicht noch immer der hypnotischen Wirkung der Taschenuhr. So waren nur die Tränen, die ihm über die Wangen liefen, Ausdruck seiner Angst. »Du enttäuschst mich. Allein deinen Fähigkeiten verdankst du, dass ich dir nicht den Kopf abschneide und ihn zu deinen Trophäen ins Regal stelle. Glücklicherweise hat mein treuer Gehilfe Walter Schwarzberg hier eine Möglichkeit gefunden, uns zu helfen.« Mit einer knappen Geste gab er das Wort an seinen Begleiter weiter, der prompt sein bescheidenes Lächeln wieder aufnahm.

      »Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen«, sagte er mit ernster Miene. Er legte die Spritzen auf den Tisch und fuhr in sachlichem Tonfall fort: »Der Grund für die Differenzen zwischen dir und dem Wurmgott sind zum einen dein Ungehorsam und zugleich deine Emotionen. Es wäre möglich, dass durch Entfernen von Letzterem auch ersteres Problem behoben würde. Ich möchte aber ganz sichergehen.« Er nahm eine der Spritzen auf und trat vor die hochgewachsene und immer noch reglose Gestalt des Marionettenmannes. Zögerlich sah er zum Wurmgott. »Ich zurre meine Patienten für gewöhnlich fest, um sie zu behandeln.«

      »Er wird sich nicht rühren«, gab der Wurmgott zurück, während er den Teekessel vom Feuer nahm und sich heißes Wasser in eine Tasse goss. Schwarzberg hob die Spritze und setzte sie mit den Worten »Das wird jetzt ein wenig stechen« auf der hageren Brust des Marionettenmannes an. Er hoffte, zu stürzen. Vielleicht würde der Aufprall ihn aus der Starre befreien. Doch die Hypnose ließ ihn das Gleichgewicht verlagern, sodass er dem Druck der Nadel standhielt. Schwarzberg bohrte sie einige Zentimeter tief in seine Brust, dann zog er den Kolben zurück. Das Grauen war größer als der Schmerz, und wurde nur von der Qual übertroffen, ihn nicht hinausschreien zu können. Der Zylinder füllte sich mit flüssigem Licht, wie es schien, das in allen Farben des Regenbogens leuchtete. Schwarzberg zog die Nadel erst aus der Brust des Marionettenmannes, als er sie bis zum Anschlag zurückgezogen hatte. Mit interessierter Miene betrachtete er den Inhalt des Kolbens.

      »Du hast viel Bitterkeit mit dir herumgetragen«, kommentierte er. »Zudem Wut, Angst, Liebe, Hass, Leidenschaft … bei Zuris, mein Innenleben dürfte im Vergleich dazu farblos wirken.«

      »Halte dich nicht mit Belanglosigkeiten auf, Walter«, wies der Wurmgott ihn zurecht und nippte an seinem Tee. »Wir haben nicht viel Zeit.«

      Schwarzberg legte die Spritze weg und nahm die zweite auf. Als er die Nadel nun in einen Augenwinkel des Marionettenmannes bohrte und einen roten Nebel scheinbar direkt aus seinem Hirn zog, fühlte der Marionettenmann lediglich Schmerz – kein Grauen, keine Angst, keine Wut … nichts.

      Der Wurmgott trank einen letzten Schluck Tee und stellte die halbleere Tasse auf den Tisch neben die Spritzen. Erneut zeigte er dem Marionettenmann das Uhrwerk, woraufhin die Hypnose von ihm abfiel.

      »Warum …?«, hauchte der Marionettenmann – ein Wort, das von Gefühlen in Bewegung gesetzt worden war, die nicht mehr in ihm existierten.

      »Weil sie sterben musste«, sagte der Wurmgott mit beinahe bedauernder Miene. Er ging zum Regal, wo das Fläschchen mit der Detomagnesiumlösung stand, befeuchtete Daumen und Zeigefinger mit der Zunge und löschte die Kerze. »Gehen wir, Walter«, sagte er und wandte sich zur Tür.

      »Wie Ihr wünscht, mein Herr.«

      »Genug der Formalität«, meinte der Wurmgott im Hinausgehen. »Nenn mich Lotin.«

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