dem Londoner Staatsgefängnis, vor den Richter geschleppt wurden, mussten zuvor mit Essigwasser abgewaschen werden, weil ihre Ausdünstung nicht zu ertragen gewesen wäre, wie im Falle des Piraten der Krone, William Kidd, bezeugt wird, Kidd hatte sich auf Anstiftung höchster Würdenträger, einiger Pairs, als Pirat betätigt, aber nicht korrekt abgerechnet. Er wurde durch etliche Gefängnisse geschleppt, und wäre ohne Zweifel in seinem eigenen Dreck umgekommen, hätte ihn das Gericht nicht zum Tode durch den Strang verurteilt. Sein Leichnam wurde in einen eisernen Käfig gezwängt und an der Themse hoch aufgehängt, zur Abschreckung. Körperstrafen zeichneten die Monarchie aus, als dergleichen auf dem Festland längst verworfen wurde.
Ausreichend Gelegenheit zur Betätigung im Strafvollzug hatte der Herzog von Kent in der kanadischen Provinz Quebec gehabt, wo er eine Zeitlang als hoher Regierungsbeamter und Militär stand. In der dortigen Adelsgesellschaft fungierte er als vollendeter Kavalier mit den besten Manieren, und lebte solcherart 7 Jahre lang innig und unbeschwert mit Madame de Laurent, einer katholischen oder vielleicht hugenottischen Französin in eheähnlicher Gemeinschaft. Nach seiner Abreise, vielmehr Abberufung aus Kanada, holte er sich eine weitere Mätresse in den neuen Wohnsitz, der ihm von seinem Bruder, dem König, mitsamt dem Titel eines Marschalls zugeteilt worden war: Kensington.
Nun waren die Ehen seiner Brüder nicht eben sehr erfolgreich gewesen, es entstand unversehens ein fühlbarer Mangel an monarchistischem Nachwuchs, zumal alle Herren schon im vorgeschrittenen Alter standen, so dass neuerliche Bemühungen zu nichts geführt hätten. Darauf ging der Herzog von Kent, den wir eben in Calais verlassen haben, eine Standesehe ein, wenn die Verbindung mit einer deutschen Prinzessin denn eine war. Überblickt man die Lage, so handelt es sich sozusagen um eine Vorratswirtschaft, denn an älteren und ältesten Anwärtern auf den Thron war eigentlich kein Mangel. Im bürgerlichen Dasein hatte sich der Prinz Edward, dieser Titel stand ihm auch noch zu, nur schwer zu behaupten verstanden und riesige Schulden gemacht. Ehe wir endgültig mit ihm nach England übersetzen, werfen wir noch einen Blick auf die nächste Verwandtschaft. Bruder Frederic, von Victoria später Onkel Friedrich genannt, der zweitälteste Sohn des Königs und Oberbefehlshaber der Streitkräfte, hatte den Herzog wegen seiner Unberechenbarkeit und allgemeinen völligen Unfähigkeit vom Dienst suspendieren müssen, mit dem genannten Charaktertitel eines Feldmarschalls. In Kensington hauste er mit einer Frau Knightsbridge kurzzeitig und kurzweilig zusammen, ehe er sich zur Eheschließung bereitfand. Der Kensington Palast war eine zugige und verfallene Kate im Großformat; kurz, der Herzog musste sich irgendwie aus der Klemme helfen. Er wurde auf jene deutsche Witfrau verwiesen: Marie Louise Victoria von Sachsen-Coburg-Gotha, eine Dame, die bereits eine früchtetragende Ehe hinter sich hatte. Es handelte sich um ein Mädchen, das später unserer Royal Princess Victoria als Spielkameradin diente und so glücklich gewesen ist, nicht in diesem Kerker Kensington stecken zu bleiben. Am 26. April 1819 kam das Paar glücklich im Kensington Palast an. Albert, den wir schon als Gemahl der Queen kennengelernt und gewürdigt haben, ist übrigens ein Neffe der Marie Louise, womit sich die Zukunft der Kinder anzudeuten begann. Die zeitgenössischen Quellen schildern Kensington wie gesagt als völlig unzulänglich. Vergebens hatte der Herzog die Erhöhung seiner Apanage vom Parlament erbeten. In Geldsachen, zumal in Fragen der Apanage war das Haus regelmäßig störrisch; es blieb bei Fenstern, die nicht schlossen, Mobiliar, in welchem der Holzwurm tickte. Ob der Herzog Geld ins Haus gesteckt hätte, würde man es ihm gegeben haben, mag vom Parlament auch bezweifelt worden sein, denn die Höhe seiner Schulden überstieg mittlerweile seine Fähigkeiten, die Gläubiger zu befriedigen, gemessen an seiner Lebenserwartung.
Die Herzogin, die Deutsche, war des Englischen nicht mächtig, sie saß in einer Bruchbude, die sich Palast nannte, das Paar hatte Verpflichtungen in schwindelnder Höhe; kurz, das Kind dieser beiden Prachtexemplare musste unter jämmerlichen Umständen zur Welt kommen. Was war zu tun? Nichts. Der werdende Vater unternahm indessen vielerlei. So fungierte er als Präsident einer Gesellschaft, die sich das Ziel gestellt, dem fröhlichen Gebären armer Ehefrauen im eigenen Hause die Mittel zu verschaffen, die zur Niederkunft nötig waren. Seine eigene Frau ließ der Herzog dann aber doch lieber unter fachgerechter Aufsicht entbinden, und zwar mit Hilfe einer Ärztin, was merkwürdig genug ist. Sie hieß Fräulein Dr. Siebold, und sie kam aus Deutschland, und ist bisher offenbar weder von der Regenbogenpresse, noch von einem Feministenverein entdeckt worden. Allerdings war dem Fräulein Dr. Siebold die Leitung der herzoglichen Niederkunft nicht allein überlassen worden. Einige männliche Ärzte gingen ihr, oder sie ging ihnen zur Hand. So kam denn die kleine Victoria unter Turbulenzen zur Welt, als Nichte des König Georg III., des Georg IV., und last but not least als Nichte des Onkel William IV. Danach, als alles an dem Säugling für korrekt befunden wurde, reiste Fräulein Dr. Siebold ab, und eilte sogleich zur nächsten Entbindung, nämlich nach Deutschland, um den späteren Gatten der kleinen Royal Princess Victoria, Albert von Sachsen-Coburg-Gotha in die Welt zu holen. Und wer in all diesen geheimnisvollen Vorgängen nicht die Hand einer überirdischen Macht ordnend eingreifen sieht, der ist es nicht wert, vor einem königlichen Standbild zu erschauern. Die Queen teilte mit der Mehrzahl ihrer Standesgenossen jedenfalls die Vorstellung, dass nichts zufällig geschehe, schon gar nicht das, was ihr widerfahre, sondern von einer besonderen Vorsehung eingeleitet und begleitet werde. Allein es war alles schierer Zufall, wie wir Nachgeborenen gern bezeugen. Trotz ihrer geburtshelferisch glücklichen Hand sagten die brotneidischen englischen Kollegen dem Fräulein Siebold später Versagen in der Geburtshilfe nach, was es nicht sein konnte, angesichts dieses schönen Resultates. Zur Stunde der Geburt unserer Victoria befand sich das Inselreich in keiner günstigen Lage. Die Staatsverschuldung betrug nach Englands Beteiligung an den Kriegen auf kontinentalem Boden schwergewichtige 900 Mio. Pfund. Die Inflationsrate war schwindelhaft hoch, und die Zahl der Insolvenzen enorm. Die kritischen Staatsfinanzen mögen übrigens das Parlament bewogen haben, dem Herzog die Mittel zu verweigern, die er gefordert hatte; es müssten schon genug andere hochadlige Herrschaften versorgt werden. Wie stand es um die Familie? Noch schlechter. Der Herzog von Kent starb, er hielt seine Tätigkeit für die Sicherung der Dynastie, dem Königtum Englands, für beendet. Sein Töchterchen zählte erst 9 Monate, als ihr Vater als erster Bewerber auf den Thron aus dem Rennen schied. Georg III., der Regent, galt als oder er war ein wirklicher Idiot, als der Herzog starb; geistesgestört, so sagten die Zeitgenossen von diesem ihrem King. Allerdings zählte er schon 81 Jahre, Altersblödsinn ist also nicht auszuschließen. Es geschahen geheimnisvolle Dinge ringsum die Wiege der kleinen Alexandrina Victoria; Alexandrina? Gewiss, doch. Noch stand Europa ganz im Banne dieses Zaren, dem strahlenden Befreier vom napoleonischen Joch, ungeachtet das dieses Joch die Engländer gar nicht getragen hatten. Von wirtschaftlichen Sanktionen abgesehen, also der Kontinentalsperre, so wirkungslos wie alle Sanktionen, aber doch hinderlich. Seit den Tagen des William, the Conqueror hat keine fremde Armee englischen Boden betreten.
Ein solch verworrenes Ding war beispielsweise das Auftauchen eines Hauptmanns John Conroy, einer niederträchtigen Figur, irischer Abstammung. Dieser Conroy, das Haupt der Kensington-Bande, lastete lange auf Victoria, sie konnte ihn nur mit mächtiger fremder Hilfe endlich ganz loswerden, und aus ihrer Nähe verbannen. Aber zurück zum überraschenden Ende des Vaters; die Familie hielt sich zur Erholung in Devon auf, als der Herzog mit Lungenentzündung, hohem Fieber und Auswurf im Alter von 52 Jahren mit Tod abging. Das Wetter, heißt es, sei kalt und nass gewesen, und der noch gar nicht so alte Herr habe sich geweigert, die beginnende Erkrankung, eine Erkältung, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, wollte sich nicht legen, den Erholungsaufenthalt nicht abbrechen, und so nahm das Fieber und das Schicksal seinen Lauf. Das war schlimm für die Hinterbliebenen, denn mehr als seine riesigen Schulden hatte der Tote nicht zu vererben. Die das zweite Mal verwitwete Dame zog in den Kensington Palast, mit seinen kalten und feuchten Verliesen, und wartete ab, was das Parlament über sie beschließen würde. Man wies ihr schließlich einige Räume als Dauerquartier zu, mit kleiner oder kleinlicher Apanage für ihren Haushalt. Obschon König Onkel Georg III. dem Herzog von Kent alsbald ins Jenseits gefolgt war, besserte sich für die Familie wenig. Dem Schwachsinnigen folgte ein König nach, den die Zeitgenossen für einen Wüstling hielten.
Die Herzogin von Kent verfügte neben einem eigenen Einkommen über etwa 6 Tsd. Pfund Sterling im Jahr, um die sie ständig bangte, weil die Bewilligung dieser Summe ganz vom guten Willen des Parlamentes, also vom politischen Wind abhing. Listig hatte es ihr Bruder Leopold durch eine verwickelte Heirats- und Sterbegeschichte, auf die einzugehen sich hier verbietet,