Amina Stern

Und Alles macht Nichts, wenn wir tanzen


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dem festen Freund meiner Mutter, auf meinem Handy auf.

      Alex ist mittlerweile einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Meine Mutter hat ihn nach der Scheidung meiner Eltern kennengelernt. Damals hab ich ihn aus Prinzip nicht leiden können. Ein mir komplett fremder Mensch kommt plötzlich jedes Wochenende zu Besuch, um meine Mutter zu treffen? Damals ist es für mich unvorstellbar gewesen, dass er für mich jemals mehr sein würde als irgendein Fremder. Heute sieht das zum Glück anders aus.

      „Klar!“, schreibe ich zurück. „16 Uhr?“

      Kurze Zeit später sitzen wir zusammen vor dem Café in der warmen Frühlingssonne dieses Tages. Ich nippe unsicher an meiner Limo. Alex konfrontiert mich währenddessen mit Fragen über meine Zukunft, denen ich bisher gekonnt aus dem Weg gegangen bin. Doch heute gibt es kein Entkommen.

      „Na, wie sieht es denn ausbildungstechnisch so aus, Amina? Dein Freiwilliges Soziales Jahr ist in ein paar Monaten vorbei, das weißt du aber genauso gut wie ich.“ Mein Plan ist es, mich in Mannheim an der Universität für den Bachelor of Arts in Soziologie zu bewerben. Genau das schildere ich auch Alex. „Mmh, das hört sich ja wirklich nach einem Plan an“, antwortet er nachdenklich. „Und wie läuft die Arbeit?“, will er nun wissen.

      Die Arbeit. Damit spricht er ein sensibles Thema an, denn mir fällt es schwer, von ihr und den Menschen dort Abschied zu nehmen. Sobald ich mit dem Studium anfange, werde ich sie viel seltener als jetzt sehen. Ich werde an einem neuen Ort neue Leute und ein neues Umfeld kennenlernen. Darauf habe ich zum aktuellen Zeitpunkt nicht wirklich Lust. Studieren. Kann ich das überhaupt?

      Unser Gespräch wird unterbrochen. Leon, einer meiner Arbeitskollegen und ein guter Freund von Alex, gesellt sich zu uns an den Tisch. Trotz ihres großen Altersunterschieds verstehen sie sich einfach gut und gehen ab und an mal ein Bier zusammen trinken, um sich über ihre Projekte auszutauschen. Sie haben sich in Saarbrücken in einer Kneipe während meiner Zeit des Freiwilligen Sozialen Jahres zufällig kennengelernt.

      „Hey, wusste gar nicht, dass du auch noch vorbeischaust!“, freue ich mich und schenke ihm meine komplette Aufmerksamkeit. „Mit Leon wollte ich auch noch quatschen!“, äußert Alex und bestellt daraufhin bei der Kellnerin ein zweites Bier. „Wir haben da dieses Mal nämlich was echt Großes vor“, erklärt er geheimnisvoll, mit hochgezogenen Augenbrauen und muss dabei schmunzeln.

      Alex und Leon sind mir immer schon als kreative Köpfe bekannt gewesen, die oft in utopischen Projektideen schwelgen. Sie haben sich dieses Mal wohl für ein Projekt zusammengetan, so vermute ich. „Um was geht es denn dabei?“, löchere ich die beiden mit Fragen.

      „Wird noch nicht verraten. Es geht aber um ein Forschungsprojekt mit dem Titel ‚Die Andersmacher‘, so viel kann schon gesagt werden“, antwortet Alex, nun grinsend.

      Wir sitzen noch eine Weile zusammen vor dem Café und quatschen. Dann verabschiede ich mich und mache mich nichts ahnend wieder zurück an die Arbeit – ohne zu wissen, was das Gespräch in der Zukunft noch für Auswirkungen auf mich haben wird.

      „Mist!“, rufe ich und muss lachen. „Ich bekomme es wirklich nicht hin, Lasse!“

      Nach der Arbeit sitze ich mit ihm für den wöchentlichen Musikunterricht im Proberaum – ich vor dem Schlagzeug und er neben mir. Er ist ein guter Bekannter und Arbeitskollege von mir.

      „Warte kurz!“, ruft er mir grinsend über die Schulter zu, stellt sich hinter mich und umfasst meine Handgelenke. So versucht er, mir den Takt beizubringen.

      Die Schlagzeugstunde dauert, wie gewohnt, länger, als gedacht. Aus 45 Minuten werden Stunden. Abends verlassen wir gemeinsam den Proberaum. Es ist schon spät. Lasse begleitet mich noch ein Stück. Ich werfe beiläufig einen Blick auf mein Handy. „Wo bleibst du?!“, lacht mir die wutentbrannte Nachricht entgegen.

      Scheiße. Jetzt vergesse ich auch noch den Geburtstag meines besten Freundes! Quentin hat am vereinbarten Treffpunkt wohl schon ewig auf mich gewartet und muss bereits enttäuscht nach Hause gegangen sein. Wie soll ich das wieder gerade biegen?

      Ich versuche ihn zu erreichen, aber niemand nimmt den Hörer ab. Tausend Mal würde ich mich bei ihm entschuldigen müssen, bis das Thema vom Tisch war. Ich spüre mal wieder Schuldgefühle gegenüber Quentin in mir aufsteigen. Wenn heute ein Preis für die mieseste Freundin vergeben werden würde, dann würde er sofort an mich gehen. Dabei will ich die Zeit die mir in Saarbrücken noch bleibt, eigentlich nutzen, denn schon bald wird in Mannheim mein Studium beginnen. Vielleicht ist das meine Art, von Saarbrücken und den Menschen dort Abschied zu nehmen: Ihre Geburtstage zu vergessen und mich lieber von Lasse ablenken zu lassen.

      Ich versuche, Quentin noch tausend Mal über das Handy zu erreichen, doch niemand geht ran. Lasse will wissen, ob ich Lust habe, mit auf seinen Gig zu gehen, denn er spielt heute Abend nach unserem Schlagzeugunterricht in einer Bar in Saarbrücken, gemeinsam mit meiner Stiefschwester Elena. Um mich weiter von Quentin abzulenken, sage ich zu.

      In die Bar strömen immer mehr Menschen. Gleich ist es so weit. Lasse und Elena bauen das Equipment auf.

      „Danke, dass ihr heute Abend alle da seid. Meinen ersten Song, den ich jetzt spielen werde, habe ich mit 16 Jahren geschrieben. Viel Spaß euch allen beim Zuhören!“, sagt Lasse ins Mikrophon. Es wird still um uns herum. Die Leute hören auf zu quasseln, um der Musik zu lauschen.

      Er schlägt die erste Saite seiner Akustik-Gitarre an. Elena singt gefühlvoll dazu ins Mikrophon. Ich bekomme Gänsehaut am ganzen Körper. Meine Gedanken über Quentin sind für eine Sekunde wie weggeblasen. Ich höre nur noch Elenas natürliche Stimme und Lasses Gitarrenklänge, die melancholisch durch den Raum schweben und dort ihre ganze Wirkung entfalten.

      Der erste Song ist gespielt. Die Leute klatschen und rasten aus vor Begeisterung. Ich sitze da und starre fasziniert zu Elena. Ich wäre auch gerne so musikalisch begabt, denke ich vor Bewunderung. Ich werde niemals so gut sein wie sie, egal wie lange ich übe.

      Kapitel 2: Alles neu

      Mannheim, Oktober 2016

      Es brummt. Nervös greife ich nach meinem Handy, das sich in meiner Hosentasche befindet. Als ob ich nicht schon genug im Stress bin, kommen wie gerufen die beiden Nachrichten.

      Die erste ist von meiner Mutter: „Amina, meld‘ dich mal! Von dir hört man ja gar nichts mehr!“ und dahinter eins von diesen blöden Herz-Emojis, die sie immer zu ans Ende jeder Nachricht klatscht. Ich hasse sie – diese Herz-Emojis. Es ist nicht so, dass ich prinzipiell was gegen sie habe. Aber wenn meine Mutter sie mir schickt, mag ich sie nicht. Wir streiten uns ständig. Keiner versteht den anderen.

      Ich bin wütend auf meine Mutter und will auf keinen Fall so werden wie sie. Warum genau? Nun ja: das weiß ich selbst nicht so recht.

      Schon seit ich 14 Jahre alt bin, zanken wir uns regelmäßig. Damals ist sie völlig überfordert mit unserer Situation gewesen. Mein leiblicher Vater fuhr früher jeden Abend betrunken von der Arbeit zurück nach Hause. Dadurch kam es ständig zu heftigen Konflikten zwischen den beiden. Nachdem sie sich dann endlich von ihm hat scheiden lassen, stand sie als alleinerziehende Mutter von jetzt auf gleich allein mit allem da. Überfordert mit meiner jüngeren Schwester Bella und mir, verkroch sie sich jeden Tag in ihr Arbeitszimmer und verbrachte dort stundenlang vor ihrem Laptop. Kochen, aufräumen, ein gewöhnlicher Alltag, waren einfach nicht mehr drin, denn dafür fehlte ihr jegliche Energie. Ständig gab es damals Streit wegen Haushalt und Unordnung. Meine Mutter, meine Schwester und ich – wir glichen zu diesem Zeitpunkt einem einzigen Haufen an Chaos. Konflikte standen an der Tagesordnung. Wir warfen uns gegenseitig die gröbsten Beleidigungen an den Kopf. „Ich hasse dich!“ ist das Schlimmste, was ich je zu ihr gesagt habe.

      Ich antworte also nicht auf ihre Nachricht. Weder schriftlich noch telefonisch.

      Die zweite Nachricht setzt noch eins obendrauf. Ein einfaches „Hey“ von Quentin. Einfach nur ein „Hey“.

      Es ist nicht