Roman Fessler

Denk an mich


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waren die Kämpfer diejenigen, die ihr Leben riskieren mussten, wenn es zu Auseinandersetzungen kam. Sie waren die einzigen, die in direkten Kontakt mit den feindlich gesinnten Aliens kamen. Immer wieder gab es schreckliche Verluste, weil sich ein Außerirdischer der Verhaftung in letzter Sekunde doch noch entziehen wollte. Deswegen waren die Polizisten auch bei der Suche nach den Entführern der kleinen Anne äußerst wachsam und konzentriert gewesen.

      Aber es waren eben keine Kämpfer, sondern nur einfache Beamte des örtlichen Polizei-Reviers. Als die den Kreaturen gegenüberstanden, gefror ihnen das Blut in den Adern. Ein Kämpfer hätte die Monster vielleicht töten können. Diese hartgesottenen Männer brachte so leicht nichts aus der Fassung. Sie hatten schon gegen die furchterregendsten Geschöpfe aus den finstersten Winkeln des Universums gekämpft. Doch diesmal half auch ihr Mut und ihre Entschlossenheit nichts. Die Zahl der Gegner war einfach viel zu groß.

      Als die Raumschiffe in die Atmosphäre eintraten, verdunkelte sich der Himmel. Die Angreifer hatten es irgendwie geschafft, das Wetter zu beeinflussen. Was sich da zusammenbraute, war der gewaltigste Sturm, den die Welt je gesehen hatte. Die Messinstrumente der meteorologischen Stationen spielten vollkommen verrückt und zeigten Werte jenseits der Skalen an. Eine Schreckensmeldung jagte die andere.

      Noch ehe der erste Schuss gefallen war, gab es bereits etliche Tote zu beklagen. Die Stürme entwurzelten Bäume und schleuderten sie wie Streichhölzer durch die Luft. Wo immer sie niederstürzten, gab es Tote und Verletzte. Häuser wurden zermalmt und Fahrzeuge wie Plastikdosen zerquetscht. Flutwellen überspülten die Küsten und ergossen sich weit bis ins Landesinnere. Zahlreiche Menschen ertranken in ihren Kellern, weil sie dachten, sie seien in den unterirdischen Schutzräumen sicher.

      Aber vor dem, was nun kommen sollte, war niemand mehr sicher. Es war das Ende der Welt, wie die Menschen sie bisher gekannt hatten. Natürlich wusste das zu diesem Zeitpunkt noch niemand, auch wenn schon nach wenigen Stunden jedem klar geworden war, dass die Fremden gefährlicher waren, als alles, was je diesen Planeten heimgesucht hatte. Überall flohen die Menschen aus den Städten und Dörfern und versuchten, die höher gelegenen, baumlosen Graslandschaften zu erreichen.

      Auch Lisa und ihre Familie wurden von den entfesselten Naturgewalten aus ihrem Haus vertrieben. Zum trauern blieb weder ihren Eltern noch ihr oder ihrem kleinen Bruder Martin Zeit. Alles ging so schnell, dass sie kaum Gelegenheit hatten, das Nötigste zusammenzupacken. Der fünfjährige Martin klammerte sich nur an seinen Stoffhasen und saß zitternd und mit geschlossenen Augen auf dem Rücksitz des Familien-Gleiters, während die Eltern in aller Eile Kleidung und Lebensmittel im Gepäckraum verstauten.

      Die Mutter machte sich große Sorgen um Lisa. Als der Sturm sich erhob, wollte sie gerade zusammen mit ihrer Freundin Katharina die Schule verlassen. Sie waren auf dem Weg nach unten zu ihren Fly-Boards, als die Rektorin die Durchsage machte. Frau Michaelsen forderte alle Kinder auf, so schnell wie möglich nach Hause zu fliegen. Sie wusste zwar noch nichts von den Aliens und den Raumschiffen, aber die Meldungen, die sie über das heraufziehende Unwetter erhalten hatte, waren auch so besorgniserregend genug.

      In der Halle drängten sich bereits Dutzende von Schülern um ihre Schränke mit den Fly-Boards. Es herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Lisa und Katharina brauchten eine ganze Weile, bis sie endlich ihre Boards holen konnten. Katharinas Board war schon etwas älter. Es hatte früher ihrem großen Bruder gehört, funktionierte aber noch immer ganz gut. Lisas Board dagegen war nagelneu. Es war gerade eben erst in die Läden gekommen.

      Lang, breit, stabil und unglaublich schnell. Bis zu 80 km/h erreichte das Board. Absoluter Rekord! Lisas Eltern hatten lange gezögert, ehe sie sich dazu hatten durchringen können, ihr dieses Traum-Board zu kaufen. Sie hatten sich für die Luxus-Variante mit Vollausstattung entschieden. Alles andere war ihnen nicht sicher genug gewesen. Jetzt war Lisa die einzige in der ganzen Schule, die ein "Hurricane 3000 XL" hatte.

      Mit diesem Wunderwerk der Technik konnte ihr nichts mehr passieren. Umgeben von einem Kraftfeld der Stärke 3, konnte sie mit Höchstgeschwindigkeit gegen eine Hausmauer fliegen, ohne dabei auch nur einen kleinen Kratzer abzubekommen. Aber das Beste war die Steuereinheit. Sie bestand nicht mehr nur aus einem denkenden und lernfähigen Elektronen-Gehirn wie bei den älteren Boards. Diese neue Steuereinheit funktionierte wie ein richtiger Androide!

      Das Dumme war nur, dass Lisas Eltern den Androiden beim Kauf des Boards programmiert hatten und sich nun weigerten, ihr den Zugangscode zu verraten. Sie konnte zwar immer noch fliegen wie und wohin sie wollte, aber sie musste sich ständig diese nervtötenden Kommentare anhören. Sei vorsichtig! Pass auf! Das wird deinen Eltern aber gar nicht gefallen! Der reinste Alptraum. Dafür war dieser Androide aber auch an den Hauptcomputer angeschlossen wie jeder andere seiner Art. Und er war darauf programmiert, Lisas Anweisungen zu folgen.

      Natürlich nur solchen, die nicht gegen die Befehle der Eltern verstießen. Das verursachte zu Beginn einige Probleme. Aber Lisa hatte schnell gelernt, ihre Wünsche so zu formulieren, dass der Androide sie erfüllen konnte. Er erwies sich als äußerst nützlich, wenn sie wieder einmal die Hausaufgaben vergessen oder keine Lust hatte, sich auf ein Referat vorzubereiten. Sie schloss ihr Lern-Tablet an das Board an und ließ den Androiden die Arbeit machen. Er sagte ihr auch, wo sich ihre Eltern befanden und was sie gerade taten. Wollte sie ungestört sein, brauchte sie nur noch "Harry" zu fragen und schon wusste sie, ob sie ihre Ruhe haben würde oder nicht.

      Board-Android "Harry" war es auch, der ihr erklärte, was vor sich ging, als in der Schule das Chaos ausbrach. Er informierte Lisa darüber, wie kritisch und gefährlich die Situation war und was bei ihr zu Hause gerade geschah. Lisas Eltern hatten schon mehrfach versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Doch während der Unterrichtszeiten mussten die Kommunikatoren leise gestellt werden. Die Eltern konnten so zwar auf ihren Geräten erkennen, wo sich Lisa befand und was sie tat, aber sie konnten nicht mit ihr sprechen. Deswegen hatten sie Harry instruiert, Lisa zu sagen, sie solle auf der Stelle nach Hause kommen.

      Lisa stieg auf ihr Board, aktivierte den Schwebemechanismus und das Kraftfeld und glitt langsam in Richtung Ausgang. Die großen Glastüren waren noch immer geschlossen. Das war nicht üblich. So wenig wie die Anweisungen der drei Lehrer, die dort standen und die Kinder streng ermahnten, sich nicht länger als nötig im Freien aufzuhalten. Es ziehe ein Sturm bislang unbekannter Stärke auf und ein jeder solle deshalb besonders wachsam sein. Keine Wettflüge, keine Loopings und keine Sprünge! Man solle sich dicht über dem Boden halten und in der Nähe der Generatoren besonders vorsichtig sein. Dann öffneten die Hausmeister die Türen.

      Kapitel 2

      Einige Kinder stürzten. Der Wind war bereits so stark, dass er die überall herumliegenden Äste und zu Boden gefallenen Früchte in Geschosse verwandelte, die wie Laserschüsse auf die Kraftfelder trafen und diese zum Teil bis an den Rand ihrer Belastbarkeit strapazierten. Das galt natürlich nicht für Lisas Board. Aber sie machte sich Sorgen um Katharina.

      In der Woche zuvor war an Katharinas Board zwei Mal das Kraftfeld komplett ausgefallen. Sollte das nun wieder geschehen, konnte weiß Gott was passieren. Womöglich wurde sie ernsthaft verletzt. "Willst du mit mir fliegen?", fragte Lisa. Katharina schüttelte den Kopf. "Geht schon", antwortete sie. "Komm, lass' uns abhauen!"

      Lisa sah sich um. Die Sonne war hinter dunklen Wolken verschwunden. Ein eigenartiges schmutzig-graues Licht umgab sie. Alles wirkte irgendwie fremd und unwirklich. Das kleine tropische Dorf verwandelte sich immer mehr in etwas, das sie nicht beschreiben konnte.

      Gewiss, die niedrigen Häuser mit den weißen Wänden und den rotbraunen Dächern standen da wie eh und je und auch die üppige Vegetation an den Berghängen in der Ferne sah so aus wie immer, aber irgendetwas war plötzlich anders geworden. Alles wirkte mit einem mal so bedrohlich und beängstigend lebendig.

      Die Bäume am Straßenrand, an denen sie seit Jahren jeden Tag vorbeigeflogen war, kamen ihr vor wie bösartige Riesen, die wütend ihre Fäuste schüttelten und sich brüllend von ihren Wurzeln zu befreien versuchten, welche sie am Boden festhielten. Lisa war beileibe kein abergläubisches Mädchen und auch nicht besonders