Daniela Baumann

Elfenkind


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einer riesigen Spinne, die eines der Rinder weggeschleppt hat. Egal ob es stimmt oder nicht, sei einfach vorsichtig, okay?“

      „Werde ich, Charlie.“, versprach Steven, gerührt von der Sorge, die aus Charlies Worten sprach. Das zeigte ihm, dass auch Charlie ihn mochte. Normalerweise war der Ältere immer zurückhaltend, nicht besonders gefühlsbetont. „Bis bald!“

      Sanft drückte er die Schenkel in die Seiten seiner Stute – er weigerte sich beharrlich, Sporen zu verwenden, wissend, was Kristina mit ihm machen würde, wenn er Tiere quälte – und Silva galoppierte in Richtung Norden. Sie folgte seinen Kommandos, auch wenn sie sehr sanft gegeben wurden. Es schien fast, als könne sie seine Gedanken lesen, seine Absichten erkennen.

      Er blieb wachsam und hielt seinen Bogen griffbereit, die Worte Charlies machten ihn unruhig. Das Messer steckte in der Scheide an seinem Gürtel. Außerdem erinnerte er sich an den Puma, der ihn damals überrascht hatte, als er vor drei Jahren in die andere Richtung unterwegs gewesen war. Seinen Hut hatte er tief in die Stirn gezogen, auch wenn die Sonne ihm nicht ins Gesicht schien, da er nach Norden ritt.

      Gegen Abend hatte er bereits ein gutes Stück Weg zurückgelegt und suchte sich einen Platz, an dem er rasten konnte. Silva brauchte Wasser und Gras, er selbst eine geschützte Stelle, an der er schlafen konnte. Er war in der Gegend, wo Cromwell ihn damals aufgelesen hatte. Die Erinnerung ließ ihn lächeln. Der Mann war inzwischen fast wie ein Vater für ihn, er hatte Steven nicht nur eine Arbeit gegeben, sondern etwas viel Wertvolleres: Hoffnung und Zukunft. Ruhig schlief er ein, wissend, dass Silva ihn wecken würde, sollte etwas sein, und wachte auf, als die Sonne ihn an der Nase kitzelte.

      Nach einem kurzen Frühstück, bestehend aus Trockenfleisch – er hatte einen kleinen Vorrat von Mrs. Cromwell bekommen – und Wasser aus einer kleinen Quelle, brach Steven auf. Silva wieherte übermütig, sie liebte lange, ruhige Ritte durch die Steppe. Und da es nun beinahe Winter war, konnte er sie ausgreifen lassen, denn es war nicht mehr heiß. Gestern war er keinem Lebewesen außer einigen Vögeln und Schlangen begegnet, aber heute hatte er ein komisches Gefühl. Als würde er beobachtet. Doch obwohl er sich ständig aufmerksam umsah, konnte er niemanden entdecken. Trotzdem vertraute er seinen Instinkten, er war sicher, dass Augen auf ihm ruhten.

      Das Leben auf der Ranch, vor allem draußen auf den Weiden, hatte seine Instinkte geschärft. Zwar wurde aus ihm sicher kein Indianer, aber seine Instinkte waren zuverlässig. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung links von sich wahr, und drehte rasch den Kopf. Etwas Dunkles lauerte dort hinter einem Felsvorsprung. Groß und dunkel, mehr konnte Steven nicht erkennen. Silva allerdings spürte es offensichtlich auch, sie erhöhte ohne sein Zutun ihr Tempo.

      Steven dachte mit Schaudern an die Geschichten über die riesigen Spinnen, die in den letzten Wochen immer mal wieder an den Feuern erzählt worden waren. Bisher hatte er sie für Erfindung gehalten, aber nach Charlies Warnung war er nicht mehr so sicher. Einer Spinne, die ein Rind verschleppen konnte, wollte er sicher nicht begegnen. Niemals. Also ließ er seine Stute ausgreifen, bremste sie aber nach einiger Zeit etwas, damit sie nicht zusammenbrach. Die Strecke, die er damals in etwa zwei Wochen geschafft hatte, war nun beinahe zur Hälfte zurückgelegt, und es schien, als bräuchte er für den Weg bis Supai nur vier Tage.

      Tatsächlich war er am Ende des vierten Tages im Canyon, in dem Supai lag, angekommen. Er hatte nichts mehr von diesen Spinnen gesehen oder gespürt, und sich etwas entspannt. Nun hoffte er, jemanden in Supai zu finden, der ihm Auskunft geben konnte. Daher klopfte er an die Tür des Mayors. Den Mann, der ihm öffnete, kannte er. „Mayor Cole!“, grüßte er höflich und nahm seinen Hut ab.

      „Kennen wir uns, junger Mann?“, fragte sich der Mayor. „Ich bin mir fast sicher, sie noch nie hier gesehen zu haben.“

      „Steven Sexton, Sir. Ich habe sie vor gut drei Jahren alarmiert, als das Waisenhaus brannte.“, informierte der Jugendliche und strich über seine wirren braunen Haare. Nach den vier Tagen in der Wildnis waren sie noch störrischer als sonst, obwohl er sie inzwischen schulterlang trug. Ihm war bewusst, dass er sich rein äußerlich deutlich verändert hatte. Er war noch ein ganzes Stück gewachsen, obwohl er früher schon groß gewesen war, dazu kamen eine Menge Muskeln, breite Schultern, längere Haare, braungebrannte Haut.

      „Ah, ich erinnere mich.“, lächelte der Mayor, der damals gerade erst gewählt worden war. Erkannt hätte er ihn wohl nicht, aber die Erinnerung an damals war offenbar noch deutlich. „Kommen sie herein, junger Mann, sie haben sicher Hunger.“

      „Danke Sir. Könnte ich mich vorher vielleicht ein wenig waschen, ich bin seit vier Tagen unterwegs?“, nahm Steven die Einladung an.

      Eine Stunde später leistete er dem Mayor und seiner Familie beim Abendessen Gesellschaft. Kurz erzählte er, wohin es ihn nun verschlagen hatte und wie er lebte, dann wollte er wissen, wie es mit Mrs. Duncan und den Kindern weitergegangen war.

      „Mrs. Duncan musste mit den Kindern gehen, da wir einfach nicht in der Lage waren, das Waisenhaus wieder aufzubauen. Jedenfalls nicht in der Zeit, die es hätte sein müssen. Sie sind im Gemeindehaus untergekommen, zumindest in den ersten Wochen.“, wusste Mayor Cole. „Später sind sie dann noch ein Stück nach Osten gegangen, und von dort aus mit dem Zug gefahren, bis sie letztlich in Flagstaff landeten. Dort sind sie meines Wissens nach noch immer.“

      „Wurden in den Überresten des Hauses noch Hinweise gefunden, was mit Kristina passiert ist?“, wagte Steven schließlich zu fragen.

      „Kristina?“ Einen Moment sah der Mayor ihn verständnislos an, dann erhellte sich seine Miene. „Das Mädchen, das fehlte, nicht wahr?“ Steven nickte atemlos. „Es wurden nie Spuren gefunden. Wir konnten nachvollziehen, dass das Feuer in der Küche ausbrach, es ging wohl vom Ofen aus. Vermutlich war das Feuer darin nicht vollkommen gelöscht worden, ein wenig Glut reicht, um ein Feuer auszulösen. Aber Spuren eines Menschen konnten wir nicht finden. “, schüttelte Cole den Kopf. „Entweder war sie in dieser Nacht nicht im Haus, oder aber sie ist vollständig verbrannt. Es tut mir leid, junger Mann.“

      Steven schüttelte traurig den Kopf. „Ich hatte es befürchtet, aber ich musste einfach fragen.“, gab er zu. Er atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. „Ich werde nicht lange bleiben, aber ich will noch zu den Mooney Falls hinaus, bevor ich wieder zurück nach Hause gehe.“ Er würde über Flagstaff reisen, entschied er für sich. Er musste einfach nach Mrs. Duncan sehen, wie es ihr und den Kindern ging. Sicher wollte sie auch wissen, dass es ihm gut ging. Mehr als gut sogar, wenn er nicht gerade an Kristina denken musste. Dann war er traurig.

      „Schlafen sie heute Nacht hier bei uns.“, bot die Frau des Mayors an. „Morgen können sie den Weg wenigstens erkennen. Ihr Pferd kann in den Stall.“

      „Silva wird nicht in den Stall gehen, sie ist eine Mustangstute, liebt es, draußen zu sein. Sie bleibt im Corrall.“, winkte Steven ab. Weglaufen würde sie nicht, auch wenn sie es könnte. Silva und er vertrauten einander.

      „Gut, dann bleibt sie dort. Aber sie schlafen hier.“, bestimmte Mrs. Cole.

      Steven gab nach und ließ sich ins schlicht und praktisch eingerichtete Gästezimmer bringen, wo er sich nur kurz auszog und schließlich ins Bett sank. Die Nacht wurde unruhig, er träumte so intensiv von Kristina wie seit drei Jahren nicht mehr. Gerädert stand er im Morgengrauen auf und verabschiedete sich von seinen Gastgebern, wollte zum Wasserfall. Nicht einmal zum Frühstück wollte er bleiben, er wollte einfach nur zum Wasserfall.

      Es war, als würde der Wasserfall nach ihm rufen. Fast konnte er das Rauschen in seinem Kopf hören, obwohl es unmöglich sein sollte. Allerdings rechnete er nicht mit der Hartnäckigkeit der Frau des Mayors, die nicht zuließ, dass er ohne etwas zu Essen aus dem Haus ging. Also sattelte er nach einem kurzen Frühstück Silva und trabte den altbekannten Pfad mit ihr hinab in Richtung der Mooney Falls. Bilder blitzten in seinem Kopf auf, was er hier bereits alles erlebt hatte. Silva brauchte keine Führung von ihm, der Pfad war alles, was sie hatte, und sie trabte ruhig vor sich hin.

      Die Sonne schaffte es ab und zu, ihre Strahlen in den ansonsten ziemlich düsteren Canyon zu lenken. Steven hing seinen Gedanken nach, die ihm immer mehr Erlebnisse mit Kristina vor Augen führten. Die Hingebung, mit der sie sich