Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Hel


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      Wohlwollend wandte sich Wal-Freya zu Thea um. „Was soll dabei schief gehen? Das funktioniert nicht anders als bei euren Pferden in Midgard, nur dass diese durch die Luft reiten. Das Einzige, was du falsch machen kannst, ist, es in die falsche Richtung zu führen. Du reitest ein lebendes Wesen, das genauso wenig abstürzen will wie du. Davon abgesehen wirst du es viel leichter haben als deine beiden Freunde und die wissen diese Ehre anscheinend sehr zu schätzen.“

      Thea verzog gequält das Gesicht. „Die haben ja auch keine Höhenangst. Wir beide können doch deinen Wagen nehmen!“

      Abermals lachte Wal-Freya. „Und was meinst du, meine liebe Thea, ist schneller? Zwei Katzen, die einen Wagen mit zwei Personen ziehen, oder ein Pferd?“ Sie legte einen Arm um Thea und drückte sie fest an sich. „Du reitest ein Walkürenpferd! Ich bin schon ganz wild darauf, dich damit zu sehen. Sicher steht es dir großartig!“

      „Ja sicher. Ganz großartig“, ächzte Thea und abermals entlockte sie Wal-Freya mit ihrer Reaktion ein Lachen.

      Als Thea, Tom und Wal-Freya auf die große Terrasse Sessrumnirs traten, stand Thrud in Begleitung einiger Walküren und Pferde in deren Mitte. Thea erkannte Brunhild unter ihnen und winkte ihr freudig zu. Die Walküre erwiderte den Gruß. Dann hieß Thrud die Freunde mit einem Lächeln willkommen. Wal-Freya erwiderte die Geste, deutete aber sogleich auf eines der Tiere und zog verdutzt die Brauen zusammen. Es war ein Rappe, nicht besonders groß, aber mit einer faszinierenden Farbe gezeichnet. Sein Fell schimmerte mit jeder Bewegung blau, gerade so, als habe er den anbrechenden Nachthimmel darin eingefangen.

      „Was macht Djarfur hier?“, fragte Wal-Freya.

      „Er ließ sich nicht davon abbringen, mitzukommen“, erklärte Thrud und als hätte Djarfur die Walküre verstanden, nickte er mehrmals und wieherte bestätigend. Fast glaubte Thea, darin ein amüsiertes Kichern zu vernehmen.

      „Ich werde sehr gespannt verfolgen, wohin das führt“, erwiderte Wal-Freya und richtete ihre Worte scheinbar an den Rappen selbst, der wiehernd zu Thea schritt und sie sanft mit dem Maul anschubste.

      Thea war von der offenen Zuneigung, die ihr das Pferd entgegenbrachte, geehrt und streichelte ihm mit einem sanft gehauchten ‚Hallo’ über die Nüstern.

      „Wie es scheint, hat Djarfur seine Reiterin gewählt“, staunte Thrud.

      „So scheint es“, raunte Wal-Freya mit einem Seitenblick auf Thea und das Tier. „Von mir lässt du dich nicht reiten, aber von Thea?“

      Wieder nickte Djarfur, wieherte und hatte dabei sichtlich Freude. Er stieß Thea an und schnaubte wohlig.

      „Teufelsvieh“, grunzte Wal-Freya, lächelte aber immer noch.

      „Du musst wissen, dass Djarfur das Fohlen von Wal-Freyas Pferd ist“, flüsterte ihr Brunhild zu.

      „Wirklich?“, erwiderte Thea verblüfft und erntete staunende Blicke ihrer Freunde. Erst jetzt begriff sie, dass Brunhild ihr in der Gedankensprache zugeflüstert hatte.

      „Verzeih, Wal-Freya. Wenn das dein Pferd ist, dann werde ich natürlich ein anderes wählen“, erwiderte Thea. Nun gab Djarfur ein erstauntes Wiehern von sich.

      Wal-Freya winkte ab. „Walkürenpferde sind keine gewöhnlichen Tiere, Thea. Sie wählen sich ihre Reiter selbst. Djarfur war kaum auf der Welt, da hatte er schon einen Dickschädel.“ Der Blick des Rappen verschmolz einen Augenblick lang mit dem der Wanin. Dann wieherte Djarfur abermals.

      „Können Pferde lachen?“, wisperte Juli Thea zu. Thea bildete sich also nicht als Einzige ein, dass das Tier kicherte.

      „Der wohl schon“, erwiderte Thea. „Ich weiß nur nicht, ob das zu meiner Beruhigung beiträgt.“

      Wieder wieherte Djarfur und schubste Thea mit dem Maul.

      Wal-Freyas Blick ruhte lange auf dem Rappen. „Ehrlich gesagt bin ich froh, dass er endlich eine Reiterin gewählt hat. Ich denke, du kannst dich glücklich schätzen, Thea.“ Sie winkte Juli zu sich, die sich von Tom löste und erwartungsvoll neben der Wanin Aufstellung nahm. „Jetzt wollen wir mal sehen, wer auf dich zukommt.“

      Juli knetete ihre schweißnassen Hände und musterte die Pferde, die nun ebenso glotzten wie sie. Schließlich trat der Fuchs aus der Reihe, senkte den Kopf und schubste Juli spielerisch an. Juli beugte sich unter das Tier. „Junge oder Mädchen?“, fragte sie.

      „Das ist Fifill, eine Stute“, erklärte Thrud. „Ich hatte fest damit gerechnet, dass sie sich Thea aussucht, aber Djarfur ist ihr wohl zuvorgekommen.“

      „Farblich hätte das sicher harmoniert“, stimmte Juli zu und strich dem Pferd liebvoll über das rote Fell. „Ich kann es kaum erwarten. Am liebsten würde ich gleich aufbrechen.“

      Tom lachte. „Das soll was heißen, wenn du dir sogar ein Festmahl entgehen lassen willst.“

      „Allerdings“, nickte Wal-Freya und winkte nun Tom zu sich. Sie schob ihn vor sich und ließ ihre Hände auf seinen Schultern ruhen, während sie auf die beiden verbleibenden Tiere schaute.

      „Für ein Walkürenpferd ist es ungewöhnlich, einen Mann zu tragen“, erklärte sie mit gedämpfter Stimme. „Sei nicht traurig, wenn sie sich weigern. Heimdall sagte, er würde dir im Notfall Gulltopp borgen.“

      „Das ist lieb“, antwortete Tom, der nun wie Juli zuvor nervös seine Hände rieb. Die beiden Pferde, ein braunes mit einer ungewöhnlich weißen Mähne und ein graues, sahen sich an und schnaubten unschlüssig.

      „Man könnte meinen, sie kommunizieren miteinander“, kommentierte Juli die Szene.

      „Das tun sie auch“, lächelte Brunhild.

      „Tatsächlich?“, staunte Juli.

      Wie von Wal-Freya vermutet, wollte sich keines der Pferde für Tom entscheiden. Als der Graue bereits einen Schritt zurücktrat, wieherte Djarfur. Der Braune hob den Blick in Richtung des Rappen und antwortete ihm scheinbar, denn er nickte schnaubend. Dann trat er auf Tom zu, der daraufhin strahlte, als wäre sein Geburtstag mit Weihnachten zusammengefallen. Zaghaft hob er die Hand und streichelte dem Pferd über die Nüstern.

      „Das ist Leiftri. Man könnte meinen, Djarfur habe ein gutes Wort für dich eingelegt“, raunte Thrud.

      Zum wiederholten Male wieherte Djarfur kichernd. Thea war sich ab diesem Moment sicher, dass sie keine gewöhnlichen Tiere vor sich hatten.

      „Verwöhnt die Guten heute Abend“, gab Wal-Freya letzte Anweisungen. „Morgen früh bringt sie gesattelt und gezäumt zurück.“

      „Nach dem Morgengrauen“, bestätigte Thrud. Sie nickte bestätigend und lief über die Terrasse, ohne ein Wort zu sagen, dennoch schlossen sich ihr alle Pferde an, auch Djarfur, der es sich nicht nehmen ließ, Thea ein letztes Mal anzustoßen und sich noch einmal nach ihr umzusehen, ehe er aus ihrem Blick verschwand.

      2. Kapitel

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      Nach dem Aufstehen verbrachte Wal-Freya viel Zeit damit, in einem Nebenraum der Halle ihre Sachen zusammenzupacken. Akribisch kontrollierte sie das auf einem stummen Diener hängende Kleid und füllte diverse Taschen mit Pulvern und Beutelchen. Tom und Juli waren von ihr in Begleitung von Brunhild nach Sessrumnir geschickt worden, wo sie neue Kleider bekommen sollten. Juli hatte nach der langen Abschiedsnacht in Gladsheim lauthals gegen das frühe Aufstehen protestiert, aber Wal-Freya war unerbittlich geblieben. So saß auch Thea völlig übermüdet im Sessel und beobachtete das Tun der Wanengöttin. Ebenso wie Juli, war Thea überrascht und verdutzt zugleich gewesen, als Wal-Freya sie zum Bleiben aufgefordert hatte. Sicher wollte die Wanin, dass Thea beim Ausrüsten der Kleider mit den Zaubermitteln zusah und lernte. Staunend stellte Thea fest, wie viele Taschen sich in dem Kleid der Göttin versteckten. Selbst in den oberen Teil eines Ärmels füllte Wal-Freya ein Täschchen mit Pulver. Als sie