Jan van Ruysbroeck

Das Buch von der höchsten Wahrheit


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der göttlichen Gnade und ihres heiligen Lebens. Und weil sie sich an Gott hingegeben haben im Tuen, im Lassen und im Erleiden, so haben sie steten Frieden und innere Freude, Trost und Sättigung, die der Welt nicht zu teil werden können, noch einer heuchelnden Kreatur, noch auch einem Menschen, der sich selbst mehr sucht und meint als die Ehre Gottes. Denselben innerlichen, erleuchteten Men¬schen schwebt außerdem in ihrem inneren Sehen, sobald sie wollen, die Gottesminne vor, als hineinziehend oder einladend in die Einheit, denn sie sehen und fühlen, dass der Vater mit dem Sohne und allen Auserwählten sich durch den Heiligen Geist umarmt halten, und mit ewiger Minne in die Einheit ihrer Natur zurückgewendet sind. Alles was aus ihr natürlicherweise oder durch die Gnade geboren ist, das zieht diese Einheit an sich und lädt es zu sich ein. Deshalb sind auch die erleuchteten Menschen mit freiem Gemüt über die Vernunft erhoben in ein nacktes, bildloses Sehen, woselbst das ewige Einladen der Einheit Gottes lebt, und mit bildlosem, nackten Verstehen gehen sie durch alle Werke lind Übungen und alle Dinge, bis in das oberste ihres Geistes.

      Dort wird ihr nackter Verstand durchdrungen von ewiger Klarheit, ähnlich wie die Luft vom Sonnenlichte durchdrungen wird. Und der nackte, erhobene Wille wird übergestaltet und durchdrungen von unergründlicher Minne, ähnlich wie das Eisen vom Feuer durchdrungen wird. Und das nackte, erhobene Gedächtnis fühlt sich umgeben und gefestigt von einer unergründlichen Bildlosigkeit. Somit ist das geschaffene Bild über der Vernunft auf dreifache Weise mit seinem ewigen Urbilde geeint, welches der Ursprung seines Lebens und Wesens ist.

      Und der Ursprung wird erhalten und besessen, wesentlich und ewig, durch ein einfaches Schauen in bildloser Freiheit; und so ist man über der Vernunft dreifältig in die Einheit und einfältig in die Dreiheit erhoben.

      Trotzdem wird aber die Kreatur nicht Gott, denn die Einigung ist in Gott durch die Gnade und unsere hingewendete Minne. Deshalb fühlt die Kreatur Unterschied und Andersheit zwischen sich und Gott in ihrem innerlichen Hinsehen; und wenn auch die Einigung eine unmittelbare ist, so bleibt doch das mannigfache Wirken Gottes im Himmel und auf Erden dem Geiste verborgen.

      Wenngleich sich Gott gibt wie er ist, klar und unterscheidbar, so gibt er sich doch in dem Wesen der Seele, wo die Kräfte der Seele über der Vernunft vereinheitlicht sind, und wo die Seelenkräfte die Überformung durch Gott einfach erleiden.

      Dort ist alles Fülle und überfließend, denn der Geist fühlt sich als eine Wahrheit, ein Reichtum und eine Einheit mit Gott. Aber noch ist da ein wesentliches Vorwärtsneigen, und dieses ist ein wesentlicher Unterschied zwi¬schen dem Wesen der Seele und dem Wesen Gottes. Das aber ist der höchste und feinste Unterschied, den man zu fühlen vermag.

      Von der höchsten Einigung ohne Differenz oder Unterscheidung.

      Hiernach folgt die Einigung ohne Unterscheidung. Die Minne Gottes ist nämlich nicht nur als ausströmend mit allem Guten anzusehen und als hinein-ziehend in die Einheit, sondern sie ist auch über allem Unterschied ein wesentliches Genießen oder Nutznießen,. bezüglich des nackten Wesens der Gottheit. Infolgedessen haben erleuchtete Menschen ein wesentliches Hinstarren gefunden, das über der Vernunft und ohne Vernunft ist, ein genießendes Hinneigen, das durch jegliche Weise und die ganze Wesenheit strömt, indem jene Erleuchteten sich selber entsinken in einen weiselosen Abgrund grundloser Seligkeit, wo die Dreiheit der Personen ihre Natur in der wesentlichen Einheit inne hat. Seht, dort ist die Seligkeit so einfach und so weiselos, dass alles wesentliche Starren, Hinneigen und kreatürliche Unterscheiden darin aufhört und vergeht.

      Alle erhobenen Geister nämlich verschmelzen und vernichten durch das Genießen in Gottes Wesen, das aller Wesenheiten Überwesenheit ist. Sie entfallen sich selber in eine Verlorenheit und ein Unwissen ohne Grund, wo alle Klarheit umgewandt ist in Finsternis, wo die drei Personen der wesentlichen Einheit weichen und unun-terschieden im Genusse der wesentlichen Seligkeit weilen. Diese Seligkeit ist Gott wesentlich und allen Geistern überwesentlich, denn kein geschaffenes Wesen kann mit Gottes Wesen Eins werden und an sich vergehen.

      Denn so würde die Kreatur Gott, was unmöglich ist, weil Gottes Wesenheit sich nicht mindert noch mehrt, weder zunimmt noch abnimmt. Jedoch sind alle minnenden Geister ein Genießen und eine Seligkeit mit Gott ohne einen Unterschied; denn der selige Zustand, dessen Gott und alle seine Lieben genießen, ist so einfach ein¬heitlich, dass das weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist ist nach persönlichem Unterschied, noch auch irgend eine Kreatur. Vielmehr sind alle erleuchteten Geister über sich erhoben in ein weiseloses Genießen, welches ein Überfluss ist, über alle Fülle hinaus, die irgendeine Kreatur je empfing noch jemals empfangen kann. Denn alle erhobenen Geister sind da in ihrer Überwesenheit ein Genießen und eine Seligkeit mit Gott, ohne Unterschei¬dung; und die Seligkeit ist da so einheitlich, daß sie von keinem Unterschied berührt wird.

      Und darum bat Christus, als er zu seinem himmlischen Vater betete, dass alle seine Geliebten eins würden, so wie er eins ist mit seinem Vater im Genießen durch den Heiligen Geist. Ebenso möge (darum bat und betete er) er in uns und wir in ihm und seinem himmlischen Vater eins werden im Genießen durch den Heiligen Geist.

      Und das erscheint mir das minnlichste Gebet, das Christus für unsere Seligkeit gesprochen hat.

      Von Christi dreifachem Gebet, dass wir eins mit Gott werden möchten.

      Ihr sollt aber auch beachten, dass sein Gebet (wie es Sankt Johannes in demselben Evangelium beschreibt) ein Dreifaches war. Denn er bat, dass wir bei ihm sollten sein, damit wir die Klarheit schauen möchten, die ihm sein himmlischer Vater gegeben. Und darum sagte ich schon anfangs, dass alle guten Menschen mit Gott geeint seien durch die Vermittlung der Gnade und ihr tugendhaftes Leben. Die Minne Gottes fließt nämlich immerwährend in uns ein mit neuen Gaben, und wer dessen gewahr wird, der wird erfüllt mit neuen Tugenden, heiligen Übungen, und mit allen Gütern, wie ich schon sagte.

      Diese Einigung durch die Fülle der Gnade und Glorie, mit Leib und Seele, die beginnt hienieden und dauert fort ewiglich. Des Weiteren bat Christus, dass er in uns sein möge und wir in ihm. Das finden wir in den Evangelien an vielen Stellen. Und das ist die Einigung ohne Mittel. Die Minne Gottes ist nämlich nicht nur ausströmend, sondern sie zieht uns auch nach innen in die Einheit.

      Die dieses. Fühlen und wahrnehmen, werden innerliche, erleuchtete Menschen, und ihre obersten Kräfte werden, über all ihren Übungen, in die Nacktheit ihres Wesens erhoben: und da werden die Kräfte über der Vernunft in ihr Wesen vereinfacht, und darum sind sie voll und überfließend.

      Denn in der Einfachheit findet sich der Geist mit Gott unmittelbar geeinigt; und diese Einigung, mit der dazu gehörigen Übung, wird ewiglich dauern, so wie ich vorhin gesagt habe. Ferner sprach Christus die höchste Bitte aus, nämlich, dass alle seine Geminnten vollkommen eins wurden, wie er eins ist mit dem Vater: nicht so eins, wie er mit dem Vater eine einzige göttliche Substanz ist, denn das ist unmöglich, - aber eins und in gleicher Einheit so, wie er mit dem Vater in wesentlicher Minne ein Genießen und eine Seligkeit ist. - Die so mit Gott dreifacherweise vereinigt sind, in denen ist Christi Bitte erfüllt.

      Sie werden mit Gott ebben und fluten und allzeit im Besitzen und Genießen müßig stehen. Sie werden wirken und ertragen, und in der Überwesenheit ruhen, ohne Furcht. Sie werden ausgehen und eingehen, und Speise fin¬den hier und dort. Sie sind von Minne trunken und in einer dunklen Klarheit in Gott entschlafen. Noch vieles möchte ich hier sagen, aber die bis hierher gelangt sind bedürfen dessen nicht, und denen es gezeigt wird und die mit Minne an der Minne hangen, denen wird die Minne die volle Wahrheit wohl lehren.

      Die aber nach außen gehen und von äußeren Dingen getröstet werden können, die fühlen‘s doch nicht, weil sie es nicht erfahren, und wenn ich auch viel davon sagte,. sie würden‘s doch nicht verstehen. Denn die sich vollständig in das äußere Wirken begeben, oder die werklos sind in innerer Untätigkeit, die können es nicht verstehen.

      Obgleich nun die Vernunft und alles materielle Fühlen unterbleiben und dem Glauben und Hinstarren des Geistes weichen muss, wie auch den Dingen die über Vernunft sind: so bleibt dennoch die Vernunft, untätig, in der Beanlagung bestehen, und auch das sinnliche Leben; und sie können nicht vergehen, so wenig wie die Natur des Menschen vergehen kann. Und obschon ferner das Hinstarren und Hinneigen des Geistes zu Gott dem Genießen der Einheit weichen muss, so bleibt dennoch das Starren