Jürgen Ruszkowski

Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie


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alten Pastor Wehrmann, der natürlich an der Spitze SA-Mann sein musste.

      Wir von der Pfadfinderschaft hatten alle Hände voll zu tun, denn zu uns kamen viele Jungen und wollten bei uns mitmachen, nur nicht in der Hitlerjugend. In den Schulen wurde unsere Pfadfinderflagge gehisst, von der HJ wollte man nichts wissen. Dies alles wurde später natürlich anders. Mit Druck und Rausschmiss wurde viel erreicht.

      Dann kam von oben die Anordnung, wer in staatlichem Dienst stehe, dürfe seine Kinder nicht in kirchliche Verbände schicken. Noch aber hatten wir freie Hand und nutzten unsere Freiheit für viele Fahrten.

      Die Concordia hatte bei Langenhorn ein Freizeitgelände, wo wir uns oft aufhielten. Eines Tages waren wir wieder draußen und suchten uns Holz für unsere Feuerstelle auf einer nahegelegenen Wiese. Plötzlich tauchte der Bauer auf und pöbelte sehr laut herum. Ich höre noch, wie er der Stadt, Feuer und Schwefel wünschte zu ihrer Vernichtung. Keine 10 Jahre später traf dieser Fluch ein und über 40.000 Menschen mussten ihr Leben lassen. Natürlich haben wir dem Bauern das Holz wieder hingetragen, uns aber war für alle Zeit der Platz, den die Jungen Bundesfarm nannten, vergällt.

      Die nächste Pfingstfahrt ging dann an den Schaalsee nach Zarrentin, wo wir wunderschöne Stunden am See erlebten. Auch hier ahnten wir nicht, dass wir hierher erst wieder nach über 55 Jahren fahren durften. Eine andere Fahrt ging nach Bliesdorf an die Ostsee, in der Nähe von Grömitz. Hier war die Concordia schon früher gewesen. Es war eine tolle Stelle am Steilufer. Auf dem Bauernhof in der Nähe, konnten wir unsere Milch kaufen. Bei einem Nachtspiel erlebten wir, wie uns wildgewordene Kühe über die Weide hetzten und wir uns dann auf einen Baum flüchteten. Als wir eine Mittagspause auf dem Bauernhof hielten, kamen einige Jungen auf die Idee, mit einem Futtertrog und einem Holzkübel auf dem Jaucheteich in der Mitte des Hofes zu schippern. Alle anderen der Gruppe sahen vom Ufer aus zu. Ich fürchtete, dass die Sache nicht gut gehen könnte und siehe da, die Dinger kippten um, und man lag in der Jauche. Wir mussten die Bengel erst mal abspritzen und die Klamotten wurden in der Ostsee gewaschen. Die Jungen stanken immer noch 10 Meilen gegen den Wind. Die Hin- und Rückfahrt wurde damals immer mit einem Lastwagen mit Anhänger gemacht. Auf der Ladefläche waren Bänke befestigt und die Seitenwände waren mit Brettern abgesichert. Nur noch kurze Zeit waren diese Fahrzeuge zur Personenbeförderung zugelassen.

      Im September bekamen wir eine Einladung vom Rauhen Haus. Dort wurde am 12. September 1933 das 100. Jubiläum gefeiert. Mit einer Hundertschaft nahmen wir mit einem Fackelzug daran teil.

      Wenn der Herbst nahte, gingen wir mit einer Meute auf Herbstfahrt. Natürlich wurde unterwegs abgekocht. Der Hordentopf war immer dabei. Eingekauft wurde vorher, meistens leichte Sachen: Reis, Rosinen, Linsen, Pflaumen, dazu eine Schweinebacke, die ein Jungscharler mit Namen Jocki tragen musste. Wir hatten ihm eingeschärft, bei jeder Rast zu melden, dass die Schweinebacke noch da sei. Mittags machten wir Rast auf einem Bauernhof und futterten unser Brot. Plötzlich schrieen die Jungen: „Der Hofhund, der Hund hat die Schweinebacke.“ Der Hund lief mit der Schweinebacke über den Hof. Nun gab es für die Jungen kein Halten. Mit Geschrei ging es hinter dem Hund her, und der ließ aus Angst die Schweinebacke fallen. Von da an hieß unsere Schweinebacke „die mit dem Hundebiss“. Diese Geschichte passierte bei Dersau. Abends landeten wir in der Plöner Gegend auf einem Bauernhof, dort konnten wir im Backhaus abkochen und später im Stroh schlafen. Hier konnten die Jungen auch sehen, wie eine geschlachtete Kuh zerteilt wurde. Das ist für Städter ja nicht gerade alltäglich. Hier hatten wir noch ein aufregendes Erlebnis. Das „Örtchen“ befand sich inmitten eines Jaucheteichs, über einen Steg zu erreichen. Wir waren im Backhaus, als ganz aufgeregt einige Jungen zu uns geeilt kamen. Sie erzählten, einer sei in der Dunkelheit von dem Steg abgerutscht, als er das Örtchen aufsuchen wollte. Wir eilten raus, um zu sehen, was der Unglücksrabe machte. Der war schon aus der Brühe raus, aber er stank fürchterlich. Die Bauersfrau besorgte warmes Wasser, und wir haben den Jaucheheini tüchtig abgespritzt. Sein Zeug wurde gewaschen, doch auch, als es trocken war, stank es immer noch. Dieser Geruch war nachhaltiger als 4711. Solche Abenteuer auf Fahrt sind doch unvergesslich geworden.

      Doch nun muss ich mal wieder von meiner Arbeit berichten. Eines hatte der politische Wandel mit sich gebracht, der Arbeitsmarkt wurde langsam lebendig. Es gab wieder mehr Material, manches konnte neu gefertigt werden. Mit der Arbeit ging es langsam aufwärts, die Wirtschaft erholte sich. Dem Hitler war es gelungen, die Großindustriellen auf seine Seite zu ziehen.

      In meinem Beruf machte die Arbeit wieder Spaß, denn die Hauswirte ließen mehr arbeiten. Es wurden Dächer neu eingedeckt. Bei so einer Arbeit wäre es durch meine Schuld beinahe zu einem Brand gekommen. Es war Im Gehölz, auf dem Dach kochte der Topf mit der Klebemasse, als der Feuertopf plötzlich umkippte und Klebemasse samt Kohlenglut auf dem Dach lag. Die flüssige Masse fing Feuer und lief die schräge Dachfläche herunter, wie ein glühender Lavastrom. Im Nu brannte die ganze Dachfläche und es gab eine große Rauchwolke, die weithin sichtbar war. Irgendjemand hatte die Feuerwehr alarmiert. Ich behielt die Ruhe und versuchte, mit dem Sand, der immer mit aufs Dach gebracht wurde, die Flammen zu ersticken. Als die Feuerwehrmänner zur Luke herausschauten, hatte ich den Brand gelöscht, und die Männer zogen wieder ab. Es gab noch ein paar Hinweise auf die Vorschriften, sonst nichts. Mein Meister war froh, dass alles noch so gut abgegangen war. Überhaupt muss ich eine gute Hand und Spürnase gehabt haben, denn bei Dachreparaturen hieß es meistens: „Schicken Sie den jungen Gesellen, der kann was.“

      Einmal mussten wir in einer Bäckerei die ganze Nacht arbeiten. Im Klo musste der Zementboden aufgeschlagen und die versackte Sielleitung ins rechte Lot gebracht werden. Das konnte nicht am Tag geschehen, weil der Betrieb nicht gestört werden sollte. Am anderen Tag war es mir doch komisch, so ohne Schlaf auskommen zu müssen.

      Im Sommer gab es einmal einen Auftrag in der Bornstraße. Dort in der Wohngegend der Juden, mussten wir die Dachrinnen erneuern. Die wurden zunächst in der Werkstatt zu 4-Meter-Stücken zusammen gelötet und dann an Ort und Stelle gebracht. Da es ein sehr heißer Sommer war und man es um 10 Uhr auf dem Schieferdach kaum noch aushalten konnte, verabredete ich mit dem Lehrling, dass wir schon morgens um 4 Uhr anfangen und dann unsere Arbeit vor der großen Hitze beendet haben wollten. So hatten wir ganz früh Feierabend. Der Meister war mit unserer Arbeitszeit einverstanden. Ich durfte mir meine Arbeit oft mit Erlaubnis der Firma so einteilen, wie ich die Zeit brauchte.

      Wegen der Jugendarbeit war es nötig geworden, am Donnerstag schon um 17 Uhr frei zu sein. So machte ich an dem Tag keine Mittagspause und konnte früher weggehen.

      Bei meiner Meisterin muss ich wohl einen Stein im Brett gehabt haben, sie hatte eine besondere Art, mit mir umzugehen. Einmal brachte sie mir einen Teller mit Roter Grütze in die Werkstatt. Diese Grütze mit Früchten aus ihrem Niendorfer Garten hat mir ganz besonders gut geschmeckt. Ein anderes Mal hatte sie eine Bitte, ich möchte für sie ein Huhn schlachten. Das hatte ich noch nie getan. So wurde mir dann gezeigt, dass ich das Huhn erst mal tüchtig durch die Luft schleudern sollte, damit es besinnungslos sei und dann sollte der Kopf mit dem Beil auf dem Hauklotz abgeschlagen werden. Diese Henkerarbeit musste ich noch mehrere Male tun, bis die Hühner alle in die Pfanne gewandert waren.

      Ein neuer Lehrling kam. Er war Jude. Als wir ihn fragten warum er gerade dies Handwerk lernen wollte, antwortete er, dass er später nach Israel auswandern wolle. Er verschwand später heimlich von der Bildfläche, hoffentlich hat er es geschafft, vor Hitlers Judenverfolgung rechtzeitig aus Deutschland herauszukommen.

      Man kümmerte sich um die ausländischen Mächte. Mit der neuen Wehrmacht marschierte man ins Ruhrgebiet und hat die Franzosen, die nicht weichen wollten, einfach verdrängt. Ja jetzt ging es also mit der Arbeit voran, Fleischfabriken stellten Konserven mit Fleisch im eigenen Saft her. Wir wurden hellhörig. Ob da nicht etwa Vorrat für einen kommenden Krieg gehortet wurde? Auch die Waffenherstellung begann, und die Autobahnen wurden weiter gebaut, sollten das strategische Mittel beim Vormarsch werden?

      Längst hatte Hitler die Hakenkreuzfahne zur nationalen Fahne erhoben und das Horst-Wessel-Lied als ergänzende nationale Hymne zum Deutschlandlied befohlen. Wo waren die nationalen Verbände und die Männer, die gegen Hitler waren? Wer den Mund aufmachte, wurde eingesperrt. Überall gab es 150%ige Nazis, die zu höheren Posten aufsteigen wollten und ihre