Knut Freiwald

Ein Seemann erzählt von seiner Seefahrt in zwei deutschen Staaten - Herausgeber: Jürgen Ruszkowski


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waren alle belegt mit für mich großen Frachtern. Mein Schiff die „THEODOR KÖRNER“ lag im A-Becken vertäut. Welch ein Anblick!

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      Die „THOEODOR KÖRNER“ war ein damals schon älteres Fracht- und Passagierschiff, welches unter anderem während des II. Weltkrieges als Truppentransporter im Einsatz war. Die Reederei hatte es angekauft und für den Zweck Ausbildungsschiff entsprechend umbauen lassen. Die Besatzung bestand aus der Stammbesatzung, zwei Brigaden Lehrlinge aus dem 2. Lehrjahr und aus den neuen Lehrlingen des nächsten Ausbildungsjahres. Das Schiff sollte nun für ein Jahr meine neue Heimat werden. Da an diesem Tage die neuen Lehrlinge anmusterten, war ein recht hektischer Betrieb.

      Meine Mutter und ich wurden an der Gangway in Empfang genommen. Nachdem geklärt war, welcher Brigade und welchem Lehrbootsmann ich zugeteilt war, wurden wir in meine zukünftige Kammer geführt. Meine Kammer war die Kammer 4 D-Deck Steuerbord-Seite. An jeder Kammer war ein Schild angebracht mit den Namen der Kammerinsassen. Welch eine Überraschung als ich auf der Liste auch den Namen meines Freundes Kanne aus Schlieben fand. Wir waren nicht nur derselben Kammer zugeteilt, sondern arbeiteten auch in der gleichen Brigade. Mit Kanne hatte ich in den letzten Jahren immer in Schlieben während der Ferien gearbeitet, um etwas Geld zu verdienen. Es war meist eine Truppe von zukünftigen Schulabgängern, welche im örtlichen Landbaukombinat halfen, Kabelschächte auszuheben oder andere einfache Arbeiten verrichteten. Dabei war auch Kanne. Er erzählte mir, dass er einen Lehrvertrag als Schlosserlehrling habe, während ich ihm stolz berichtete, dass ich einen Lehrvertrag als Matrosenlehrling bei der Deutschen Seerederei Rostock hätte. Er war damals sehr interessiert und sagte, er wollte eigentlich auch immer Matrose werden. Ich hatte ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und nun traf ich ihn erneut. Als Erstes berichtete er mir, dass er sich auch noch in Rostock bei der Reederei beworben hatte und angenommen worden war. Daraufhin hatte er seinen Lehrvertrag als Schlosserlehrling gekündigt und wartete nun ebenfalls auf seinen ersten Einsatz auf einem unserer damaligen Lehrschiffe „THEODOR KÖRNER“, „HEINRICH HEINE“ oder „J. G. FICHTE“.

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      „J. G. FICHTE“

      Es war schon ein großer Zufall oder die Vorsehung, dass wir beide uns hier auf der „THEODOR KÖRNER“ wieder trafen. So hatte ich gleich von Anfang an einen Bekannten und fühlte mich nicht so fremd. Daraus entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Ich hatte einen Kumpel gefunden, auf den stets Verlass war. Wir sollten fast 10 Jahre gemeinsam zur See fahren. Erst nach dem Studium, dann als 4. Nautischer Offizier, trennten sich unsere Wege. Noch heute halten wir Kontakt.

      Meine Mutter konnte einen Eindruck vom Schiff mit nach Hause nehmen, und es nahte der Augenblick des Abschieds. Ich werde nie ihre letzten Worte beim Abschied vergessen. „Junge“, sagte sie, „du rauchst nicht, du trinkst nicht und mit Mädchen hast du wahrscheinlich auch noch nichts gehabt, mal sehen wie du wieder kommst.“ Na, in diesen Dingen änderte sich schon etwas im Laufe der Zeit. Wir waren jung und voller Tatendrang und wollten etwas erleben. Letztendlich war ich froh, als meine Mutter sich auf den Nachhauseweg machte, da mein Interesse doch schon auf das Schiff gerichtet war.

      Da ich einer der Ersten war, der von den neuen Lehrlingen an Bord kam, wurde ich sofort zum Dienst eingeteilt. Die ersten 8 bis10 Lehrlinge wurden dazu verdonnert, erst einmal für die Mittagsmahlzeit des nächsten Tages Kartoffeln zu schälen. Wenn man bedenkt, die Besatzung bestand, wenn ich mich recht erinnere, wohl aus gut 160 Besatzungsmitgliedern, so kann sich jeder vorstellen, welche Arbeit uns bevorstand. Es waren 3 ½ riesige Töpfe mit geschälten Kartoffeln zu füllen. Unser Glück war es, dass die Kartoffellast gerade frisch aufgefüllt wurde, und wir begannen natürlich zuerst alle großen daraus auszuwählen, nicht ahnend, dass die Reise noch lange dauern würde und wir irgendwann an die kleinen Kartoffeln ran mussten. Kartoffelschälen war eine beliebte Strafabkommandierung unserer Lehrbootsleute für Vergehen jeglicher Art. Nachdem alle neuen Lehrlinge angereist waren, erfolgte die erste generelle Einweisung, danach das Fassen der Dienstkleidung. Dazu ging es in geschlossenen Gruppen zum VEB Schiffsversorgung, Abteilung Kleiderkammer.

      Uniform tragen war Pflicht während der Ausbildung.

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       Der Autor Knut Freiwald 1966

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       Ein anderer Lehrling in Uniform

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      Das Ausbildungsteam bestand aus dem leitenden Ausbildungsoffizier und seinen Ausbildungsoffizieren, welchen der theoretische Unterricht in den allgemeinbildenden Fächern oblag. Dazu kamen ein Lehroberbootsmann und seine Lehrbootsleute, welche die praktische seemännische Ausbildung verantworteten. Für die theoretische Ausbildung hatten wir unter Deck unsere Klassenräume. Die praktische Ausbildung erfolgte unter Aufsicht der Lehrbootsleute an Deck, eingebunden in den normalen Arbeitsdienstplan des 1. Offiziers (auch Chief Mate genannt). Die „THEODOR KÖRNER“ war zu diesem Zweck mit verschiedenartigen Ladesystemen, Luken-Abdeckungen, Rettungsbooten etc. ausgerüstet, so dass eine gute praktische Ausbildung gewährleistet war. Die Brigaden erhielten im Wechsel eine Woche Theorie- und dann eine Woche Praxisunterricht. Der Praxisunterricht enthielt auch den Dienst auf der Brücke.

      Eingesetzt war die „THEODOR KÖRNER“ im Liniendienst Europa – Cuba – Mexiko ­– Europa.

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      „THEODOR KÖRNER“

      Als Häfen wurden angelaufen von Rostock ausgehend Antwerpen – London – Vera Cruz – Tampico – Havanna und diverse kleine Häfen auf Kuba, um jeweils Zucker in Säcken, Rum in Fässern oder anderes Stückgut zu laden. Danach ging es meistens direkt zurück nach Rostock. Für uns Neulinge eine Traumreise.

      Nachdem die Lade- und Löscharbeiten abgeschlossen waren, wurde das Schiff zum Auslaufen klar gemacht.

      Es war eine spezielle Ehrung und Gruß der „THEODOR KÖRNER“ an den jeweiligen Hafen, dass zum An- und Ablegen Breitseite gepfiffen wurde. Dazu trat die Lehrlingsbesatzung inklusive Lehrkörper in Uniform an der jeweiligen Landseite an, und es spielte der bordeigene Spielmannzug.

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       Der bordeigene Spielmannszug

      Es war schon ein feierlicher und erhebender Augenblick, wie das Schiff unter Trommel- und Fanfarenklängen in den Hafen einlief verließ oder ihn wieder verließ. Auch ein erhebender Anblick in diesem Fall für die Urlauber, die das Auslaufen immer von der Mole Warnemünde verfolgten.

      Es sollten drei Monate vergehen, ehe wir wieder im Heimathafen ankamen. Das Schiff wurde damals vom bekannten und verdienstvollen Kapitän Herbert Schickedanz geführt. Kapitän Schickedanz war schon über Sechzig und von altem Schrot und Korn. Bürstenhaarschnitt, straffes Auftreten, wie ein Abbild der Offiziere der ehemaligen kaiserlichen Marine. Immer wenn er eine Ansprache hielt, benutze er ein Monokel, so etwas habe ich im Nachhinein nie wieder gesehen. Wir hatten alle großen Respekt vor ihm und sein großer Kammerrundgang am Monatsende war stets gefürchtet. Das Schiff fuhr auslaufend Rostock durch das Kattegat und Skagerrak, denn der Nord-Ostsee- Kanal war für uns tabu. Es sollte jegliches Risiko einer möglichen Republikflucht von Besatzungsmitgliedern vermieden werden. Diese Angst vor möglichen Republikfluchten hatte über Jahrzehnte hinweg eine Flut von Maßnahmen und Vorschriften zur Folge, sowohl vonseiten der Reederei als auch von den entsprechenden verantwortlichen Sicherheitsorganen. Dies machte es im Nachhinein immer schwieriger, überhaupt noch in den Besitz eines Seefahrtsbuches zu kommen. Dies war Voraussetzung für