Gerstäcker Friedrich

Die Flusspiraten des Mississippi


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von New Orleans zurückkäme, sollte die Hochzeit sein; aber der Mensch denkt und das Schicksal lenkt. – Jetzt ist der Mississippi sein Hochzeitsbett und das eigene Flatboot sein Sarg. – Puh – es muß ein häßliches Gefühl sein, so tief unten auf dem Grunde des Flusses gegen die Planken eines solchen Kastens gedrückt zu liegen, und nun immer leichter und leichter zu werden und doch nicht wieder hinauf zu können an den lichten Tag.“

       „Es sind in letzter Zeit recht viele Flatboote verunglückt“, sagte der Farmer nachdenkend. – „Ich weiß, daß allein von Little Rock drei abgingen, die nie am Ort ihrer Bestimmung ankamen. Der Staat sollte mehr dafür tun, diese Unmassen von Baumstämmen wenigstens aus der eigentlichen Strömung zu entfernen. Guter Gott, was sind nicht schon für Menschen auf solche Art umgekommen und wie viele Waren hat der unersättliche Mississippi verschlungen!“

       „Ei, die Menschen sind aber auch großenteils selber daran schuld!“ rief der Blaue ärgerlich. „Wenn irgend ein Bursche, der im Leben den Stiefel nicht von Gottes festem Erdboden weggebracht hat, einmal Waren verschiffen will, so baut er ein neues Flatboot, oder kauft irgend ein altes, packt da seine Siebensachen hinein, stellt sich hinten ans Steuer und denkt, ‚der Strom wird mich schon dahin führen, wo ich hin will – wir schwimmen ja den Fluß hinunter.’ – Ja wohl – wir schwimmen hinunter, bis wir irgendwo hängen bleiben, und nachher ist’s zu spät. Der Mississippi läßt nicht mit sich spaßen, und um die erbärmlichen vierzig oder fünfzig Dollar für einen tüchtigen Lotsen oder Steuermann zu sparen, hat schon mancher Gut und Leben darüber eingebüßt.“

       „Bitt’ um Verzeihung“, sagte der Farmer. „Alle, die von Little Rock abgingen, hatten gerade Lotsen an Bord, Leute, die auf ihr Ehrenwort versicherten, den Fluß schon seit zehn und fünfzehn Jahren befahren zu haben, und sie sind dennoch zu Grunde gegangen. Solchen Menschen kann man aber auch nicht in’s Herz sehen. Es gibt sich mancher für einen Lotsen aus, und vertraut nachher seinem guten Glück, das ihn schon sicher stromab führen werde. Im günstigsten Falle lernt er so nach und nach die Strömung kennen, und hat dabei seinen guten Gehalt; im ungünstigsten aber kann er vielleicht schwimmen, und bringt seine werte Person doch noch sicher wieder ans Ufer.“

       „Sie sind auch vielleicht wirklich so lange gefahren“, lachte der Blaue, „aber auf Dampfbooten, als Feuerleute und Deckhands – nicht als Flatbootmänner. Auf Dampfbooten können sie denn auch verdammt wenig lernen, außer als Pilot, und ein Dampfboot-Pilot wird sich hüten, wieder ein Flatboot zu steuern, wo er nicht halb so gute Kost und weit geringeren Gehalt bekommt.“

       „Gentlemen reden von dem Piloten, der neulich hier ans Ufer geworfen wurde?“ frug ein kleines ausgetrocknetes Männchen mit schneeweißen Haaren, tief gefurchten Zügen und grauen blitzenden Augen, das sich jetzt von einer anderen Gruppe zu ihnen gesellte. „Ja, war ein kapitales Exemplar von Knochenbruch – der rechte Oberschenkel – der linke Unterschenkel – Wadenbein und Hauptröhre – vier Rippen auf der linken Seite, den rechten Arm förmlich zersplittert, daß die Knochenstücke durch den Rock drangen; den Hinterkopf stark verletzt und doch nicht tot. – Ich hatte es mir zur Ehrensache gemacht, ihn eine volle Stunde am Leben zu halten, es war aber nicht möglich. – Er schrie in einem fort.“

       „Großer Gott“, sagte der Farmer und schüttelte sich bei dem Gedanken. „Da wäre es ja ein Werk der Barmherzigkeit gewesen, dem armen Teufel eins auf den Kopf zu geben. – Was war denn mit ihm geschehen?“

       „Dem Dampfboot General Brown waren die Kessel geplatzt“, sagte der Advokat. „Es sind, glaub’ ich, fünfzehn Personen dabei ums Leben gekommen.“

       „Ja, aber nichts Erhebliches weiter von Verwundungen“, meinte der kleine Doktor. „Zwei Negern die Köpfe ab – der eine hing noch an ein paar Sehnen und einem Stück Haut – einer Frau die Brust zerquetscht –“

       „Weshalb müssen wir denn das aber eigentlich so genau wissen?“ rief der Farmer und wandte sich in Ekel und Unwillen von ihm ab. „Sie verderben einem ja bei Gott das Abendbrot, Doktor.“

       „Bitte um Verzeihung“, sagte der kleine Mann, „für die Wissenschaft sind solche Fälle ungemein wichtig, und mir wäre in der Hinsicht auch wirklich kein besserer Platz in der ganzen Welt bekannt, um Beobachtungen an Verwundeten und Leichen zu machen, als gerade das Ufer des Mississippi. Ehe jener interessante Fall am Fourche la fave vorfiel, wohnte ich etwa drei Wochen in Victoria, der Mündung des Whiteriver und Montgomerys Point gerade gegenüber, und alle Wochen, ja oft einen Tag um den andern, kamen Leichen dort angetrieben. Einmal war ein Leichnam mit dabei, dem hatten sie gerade über dem rechten Hüftknochen –“

       „Ei so hol’ Euch doch der Teufel!“ rief der Blaue ärgerlich dazwischen. „Harpunen und Seelöwen – ich kann auch einen Puff vertragen, und manchen Tropfen Blut hab’ ich mein Leben lang fließen sehen; wenn man aber das Leiden und Elend so haarklein beschreiben und immer und immer wiederkäuen hört, dann bekommt man’s am Ende doch auch satt, und ekelt und scheut sich davor.“

       „An Menschen, die keinen Sinn für die Wissenschaft haben“, rief der hierdurch erzürnte kleine Mann, indem er sich den grauen Seidenhut noch fester in die Stirn hineintrieb, „Menschen, die von ihren Mitmenschen bloß die Haut kennen, und sich weiter nicht darum bekümmern, ob sie mit Knochen oder Baumwolle ausgestopft sind – an solchen Menschen ist auch jedes wissenschaftliche Wort, das irgend ein vernünftiger Mann so töricht ist, ihnen zu bieten, verloren, und ich sehe nicht ein, weshalb ich meine schöne Zeit hier vergeuden soll, solchen Menschen einen Gefallen zu tun.“

       Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, oder die Übrigen noch eines Blickes zu würdigen, ergriff er einen alten, am nächsten Stuhl lehnenden roten baumwollenen Regenschirm, drückte ihn sich unter den Arm und schritt rasch und dabei immer noch vor sich hin gestikulierend zur Tür hinaus.

       „Gott sei Dank, daß er fort ist. Mir graust’s immer in seiner Nähe, und – ich kann mir nun einmal nicht helfen, aber ich möchte stets darauf schwören, es röche nach Leichen, sobald er in’s Zimmer tritt“, sagte der Advokat.

       „Ist denn der hier praktizierender Arzt?“ frug der Farmer, der ihm erstaunt eine Weile nachgesehen hatte.

       „Arzt? Gott bewahre“, lachte der Blaue, „die Leute nennen ihn hier nur so, weil er von weiter nichts als Verwundungen, Leichen und chirurgischen Operationen spricht. – Dadurch haben sich aber schon ein paar Mal Fremde verleiten lassen, ihn bei wichtigen Krankheitsfällen zu Rate zu ziehen, und das ist ihnen denn auch verdammt schlecht bekommen.“

       „Es wird keiner zum zweiten Mal zu ihm gegangen sein“, meinte der Farmer.

       „Nein, wahrhaftig nicht – kein Lebender kann sich rühmen, von Doktor Monrove behandelt zu sein. Die Fünf, die er hier in der Kur gehabt – natürlich lauter Fremde, eben Eingewanderte – sind schleunig gestorben, und stehen jetzt in Spiritus und Gott weiß was alles aufbewahrt, teils ganz, teils stückweis in seinem Studierzimmer wie er’s nennt, herum. Keine Haushälterin hat deshalb auch bei ihm aushalten wollen.33 Selbst die letzte verließ voller Verzweiflung das Haus, als er ihr einmal mitten in der Nacht einen menschlichen und frisch abgeschnittenen Kopf in’s Zimmer brachte, den er, wie er später gestand, aus dem Grabe eines Reisenden gestohlen hatte. Eine Karawane von Auswanderern war nämlich hier durchgekommen und einer davon am Fieber gestorben, wonach sie ihn gleich an Ort und Stelle begruben und am nächsten Morgen weiter zogen.“

       „Das muß ein entsetzliches Vergnügen sein, sich so an lauter Greuelszenen zu weiden“, sagte der Farmer schaudernd.

       „Ja, und es ist bei ihm wirklich zur Leidenschaft geworden“, nahm der Advokat das Wort. – „Als er vor kurzer Zeit von dem am Fourche la fave gehaltenen Lynchgesetz und dem verbrannten Methodistenprediger34 hörte, hat er fast ein Pferd totgeritten, um noch zur rechten Zeit dort einzutreffen und die verkohlten Überreste des Mörders an sich zu bringen – was ihm auch wirklich gelungen sein soll. Seiner Wohnung, die eine kurze Strecke von Helena entfernt im Walde liegt, kommt denn auch niemand zu nahe als Wölfe und Aasgeier, und ich muß selbst gestehen, ich wüßte nicht, was mich bewegen könnte, eine so schauerliche Schwelle zu übertreten.“