Tilmann Haberer

Sex & Gott & Rock'n'Roll


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die inzwischen aufgehört hatte, ihn zu schlagen, und sich schluchzend auf die Seite rollte, weg von ihm. Vorsichtig strich Hannes über Gabis Schulter, sie zuckte, als wollte sie ihn abschütteln. Aber er ließ nicht locker. „Gabi“, sagte er ein ums andere Mal. „Du bist meine Frau. Dich liebe ich. Dich habe ich heute geheiratet. Mit dir will ich leben. Mit dir und mit niemand anderem.“

      Plötzlich drehte Gabi sich wieder zu ihm herum. Ihre Tränen waren versiegt, der aberwitzige Zorn anscheinend verflogen. „Ja, Hannes“, sagte sie mit matter Stimme, „mich hast du geheiratet. Deine Frau bin ich.“ Und ihm fiel nichts anderes ein als sie weiter zu streicheln, ihre Brüste, die Hüften, die Schenkel, und obwohl er todmüde war und gar nicht wusste, wie es noch gelingen konnte, schliefen sie noch einmal miteinander. Und wieder riss sie ihn in einen gewaltsamen Strudel, der ihn hinab zog auf den Grund, wo er völlig entleert und entkräftet einschlief, in ihren Armen, in ihrem Schoß.

      ***

      Er wachte auf und fühlte sich zerschlagen. Das Bett neben ihm war leer und für einen Moment sprang ihn der Schock an, den er vor sechs Wochen erlebt hatte. Als Jeannie weg war am frühen Morgen, weg nach dieser Liebesnacht, die er vergessen musste, für die er sich jetzt hätte ohrfeigen können. Dann hörte er die Klospülung rauschen und wusste: Sie ist nicht weg. In die Erleichterung mischte sich etwas wie eine kleine, dumme Enttäuschung. Natürlich haut sie nicht einfach ab. Sie ist meine Frau. Wir sind verheiratet.

      Gabi war wie verwandelt. Von ihrer rasenden Wut, der Verzweiflung war nichts mehr zu spüren. Sie beugte sich zu ihm herab, legte ihm die Hand auf die Wange und sah ihm in die Augen. „Guten Morgen, mein Mann.“ Dann kroch sie zu ihm ins Bett und kuschelte sich an ihn. Alles ist gut. Und einen Herzschlag später: Fast alles.

      Er fühlte sich wund und ausgepumpt, aber Gabi war unersättlich. Sie schien alles nachholen zu wollen, was sie sich bisher versagt hatten, und er gab ihr, was er zu geben hatte. Und er spürte, dass es ihn sogar ein bisschen stolz machte, von ihr so begehrt zu werden. Zwischendurch frühstückten sie im Bett, und als er mittags halb ohnmächtig wieder einschlief, hatte er Jeannie tatsächlich für den Moment vergessen.

      Gegen Abend standen sie auf und fuhren zum Bahnhof. Mit dem Schlafwagen nach Paris, das war Gabis Idee gewesen. Er fand es ein bisschen kitschig, zur Hochzeitsreise ausgerechnet nach Paris zu fahren, aber er hütete sich, etwas zu sagen. Und es wurde eine wunderbare Woche. Statt alle möglichen Sehenswürdigkeiten abzuklappern, flanierten sie einfach über die Boulevards, setzen sich ins nächste beste Straßencafé und sahen den Leuten zu. Gabi hatte ihre Fröhlichkeit wiedergefunden, nur manchmal legte sich ein leichter Schatten über ihre Augen, den sie aber tapfer wegwischte. Sie blieb so hungrig wie in ihrer ersten Nacht. Manchmal wurde es ihm fast zu viel, aber wieder hütete er sich, etwas davon zu zeigen. Er stand seinen Mann, so gut er konnte, und mit seinen sechsundzwanzig Jahren konnte er ziemlich gut. Und nur ganz gelegentlich, wenn Gabi mit einem unterdrückten Schrei kam, fiel ein Schatten der Erinnerung über ihr Liebesnest, ein fernes Echo eines Wimmerns, eines Schreis aus einer anderen Kehle, aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben.

      ***

      Die Woche in Paris war die schönste in ihrem ganzen gemeinsamen Leben. Wieder in München, war Gabis Hochstimmung verflogen. Immer wieder, aus heiterem Himmel, überkamen sie Anfälle von Eifersucht, und er konnte ihr nicht klar machen, dass sie es war, die die Erinnerung an Jeannie immer wach hielt. Sie hielt auch sein schlechtes Gewissen wach, aber mit der Zeit hatte er keine Lust mehr, sich immer wieder ein schlechtes Gewissen machen zu lassen. Einmal, ein einziges Mal sprach er sie darauf an. „Ich weiß“, begann er vorsichtig, „dass ich dich sehr verletzt habe. Und es tut mir wirklich wahnsinnig leid, ich hoffe, du weißt das, mein Schatz. Und ich frage mich, ob du mir verzeihen kannst. Wenn nicht, fürchte ich, werden wir diese dunkle Wolke über unserer Liebe nie loswerden…“ Weiter kam er nicht. Wie eine Furie ging sie auf ihn los. „Wer ist denn verantwortlich für diese dunkle Wolke? Wer ist denn das Schwein, das sechs Wochen vor der Hochzeit fremdgegangen ist? Wer, hm? Ich war das nicht, mein Lieber, ich nicht!“

      Hannes zog den Kopf ein, aber er wollte nicht gleich aufgeben. „Ich weiß, mein Schatz…“, da fuhr sie ihn an: „Sag nicht immer mein Schatz! Du brauchst nicht zu versuchen, mich zu beschwichtigen mit ein bisschen billigem Süßholzraspeln!“

      Er holte tief Luft, zählte innerlich bis sieben, dann unternahm er noch einen Versuch. „Ich weiß, ich habe es verbockt. Ich bin auch wirklich bereit, jede Buße anzunehmen, die du mir auflegst. Nur, bitte, kannst du mir vergeben? Kannst du die Geschichte begraben? Vielleicht nicht gleich, aber irgendwann?“

      Aus ihren Nüstern schienen Funken zu stieben. Trotzdem erinnerte sie ihn plötzlich eher an Nepomuk, den Halbdrachen aus Jim Knopf, als an einen schrecklichen Racheengel. Offenbar konnte sie ihm nicht vergeben. Oder sie wollte nicht. Aber das kam aufs Gleiche heraus.

      Nur im Bett war sie nicht zu bremsen. Und was ihm vor der Hochzeit wie ein erträumtes Paradies erschien, wurde bald zu Routine und Pflicht. Ja, manchmal sogar lästige Pflicht. Wieder und wieder ließ er sich nichts anmerken, aber manchmal seufzte er innerlich und dachte, was er sich kaum zu denken traute. Wenn sie mich doch einmal in Ruhe ließe.

      Nach zweieinhalb Monaten war sie schwanger. Doch auch während der Schwangerschaft ließ sie nicht locker. Sie verlangte nicht mehr jede Nacht nach ihm, aber selbst im neunten Monat wollte sie noch mit ihm schlafen. Er stellte sich vor, wie das Kind – der Frauenarzt hatte das Geschlecht des Embryos schon erkennen können, aber Gabi wollte es nicht wissen –, wie also das Kind es erleben mochte, wenn ständig von außen an seine Behausung gehämmert wurde. Aber auch diese absurde Fantasie behielt er für sich. Er wurde überhaupt ziemlich schweigsam seiner Frau gegenüber. Gabi schien das nicht zu merken, jedenfalls nahm sie keinen Anstoß. Vorbei die Abende auf dem Sofa, an denen sie über Gott und die Welt geredet hatten, stundenlang, manchmal bis zum Morgengrauen.

      Anfang Juni, zwei Wochen vor ihrem ersten Hochzeitstag, wurde Lukas geboren. Hannes war total verzaubert von dem zerbrechlichen Wesen, das ihn schon in den ersten Lebenstagen mit seinen großen Augen so weltweise anblickte, als hätte es noch Erinnerungen an das Licht, aus dem es gekommen war. Mit Hingabe wickelte Hannes seinen Sohn, gab ihm das Fläschchen, sang ihm Schlaflieder und trug das kleine Bündel im Tragetuch durch die Gegend, um ihm die Welt zu zeigen.

      Und nach kurzer Zeit hatte er das Gefühl, fast allein für den Jungen zuständig zu sein. Gabi stillte ihn ab, sobald es ging, und verließ sich darauf, dass Hannes sich kümmerte. Sie stand vor sechs Uhr auf und ging joggen. Wenn der Kleine sich dann meldete, war Hannes gefragt. Er fütterte und wickelte Lukas, setzte ihn in seine Wippe und las ihm aus der Zeitung vor. Wenn er ins Büro musste, übergab er ihn an Gabi, die dann oft schon am Schreibtisch saß und irgendwelche Listen aufstellte. Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, setzte er Lukas meist in den Buggy und fuhr eine Runde um den Block mit ihm. Er war sich nicht sicher, ob Gabi irgendwann am Tag mit dem Kind draußen gewesen war. Was sie überhaupt den ganzen Tag machte, war ihm ein Rätsel. Wenn er nach Hause kam, sah er Zeugnisse diverser Aktivitäten, aber er konnte keinen Zusammenhang und keinen Sinn erkennen. Alle paar Tage dekorierte sie die Wohnung um, einmal waren die Küchenstühle grün angestrichen, die am Morgen noch in Kiefer natur dagestanden hatten, einmal hatte sie ganz allein ihr gemeinsames Arbeitszimmer ausgeräumt, eine Wand ochsenblutrot gestrichen, die meisten seiner Bücher in Bananenkisten gepackt. „Die brauchst du doch sowieso nicht mehr, die können in den Keller“, beschied sie. Sie schien sich mit Freundinnen zu treffen, irgendwelchen Frauen aus ihrer Gemeinde, vielleicht auch mal mit Kolleginnen. Ansonsten hatte er den Eindruck, sie stehe ständig unter Strom. Ständig war sie beschäftigt, rastlos, doch oft ohne sichtbares Ergebnis.

      Auch nachts hielt ihre ruhelose Aktivität an. Sobald der Dammschnitt einigermaßen verheilt war, war sie wieder so unersättlich wie vor der Geburt. Hannes kam seiner ehelichen Pflicht nach, mit abnehmender Begeisterung. So sehr er sich bemühte, Gabi merkte es natürlich. Und verstärkte ihren Anspruch. Obwohl sie Jeannie nie wieder erwähnte, kam es Hannes vor, als würde sie ständig gegen das Phantom einer Nebenbuhlerin ankämpfen. Als hoffte sie, die Erinnerung aus ihrem Mann herauszuvögeln.

      Bis sie zum zweiten Mal schwanger