Jürgen Ruszkowski

Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60


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      Eines Tages erreichte uns ein Brief von dem uns bekannten Pastor Runge aus Schwerin. Er teilte uns mit, dass er in den Ruhestand gehen wolle und sich keinen anderen Nachfolger für die Paulskirche vorstellen könne, als PW. „Bitte, bitte, kommen Sie“, war der Schluss des Briefes. Wir haben lange überlegt und alles Für und Wider abgewogen, und wir kamen zu dem Schluss: Ja, wir machen es, wir sagen zu. Wir waren sehr gerne in Gnoien, aber es gab mehrere Gründe für einen Wechsel nach Schwerin. Ende Februar 1963 verließen wir Gnoien schweren Herzens. Unsere neue Heimat sollte jetzt der Packhof und die Paulsgemeinde in Schwerin werden.

      Anschließend war Friedrich Franz Wellingerhof 10 Jahre lang als Pastor an St. Paul in Schwerin, zuletzt 10 Jahre lang als Landessuperintendent des Kirchenkreises Schwerin (Nachfolger von Friedrich Wilhelm Gasse).

      Am 7.09.1985 verstarb er plötzlich und unerwartet im Alter von 68 Jahren an einem Herzinfarkt in Schwerin.

      Arvid Schnauer: Junge Gemeinde in Schwerin

      Zeitzeugenbericht von Arvid Schnauer (Jahrgang 1937)

      Ich gehörte schon eine Zeitlang zu einer Jungensgruppe, die sich im Kohlenkeller des Gemeindehauses in der Bäckerstraße wöchentlich traf. Dort wurde zur Gitarre gesungen und gespielt, sicher auch biblische Geschichten erzählt, aber neben anderen, sehr spannenden, die mir sehr eindrücklich waren – und auch die Leiter, zuerst wohl Herr Mayer, dann der Diakon Brösel, machten einen tiefen Eindruck auf mich.

      Eines Tages kam ein Pastor und wollte uns zu einer „Rüstzeit“ einladen. Ich wußte nicht, was das war, aber was dieser Pastor (eben Pastor Wellingerhof) erzählte, klang gut und begeisterte mich. In einer alten Jagdhütte auf Strohsäcken schlafen, in einem Bach sich waschen und Wasser aus dem Sumpf (manchmal auch aus dem Dorf) holen, statt eines Klos einen „Donnerbalken“ in der freien Natur nutzen und bei Geländespielen toben – das war doch etwas. Allerdings mussten wir ein Lied auswendig können, bevor wir mitfahren durften: „Heiß brennt die Äquatorsonne auf die öde Steppe nieder ...“ Und obwohl ich nicht gerade Spaß am Lernen hatte – den Text kenne ich bis heute, denn ich bin dann öfter in Zapel dabei gewesen.

      Aber zurück zu der Ankündigung: „Und bringt auch eine Luftpumpe mit!“ Wozu denn eine Luftpumpe? Der Pastor trocken: „Na, wenn wir überfallen werden, dann kann man die sehr gut zur Verteidigung gebrauchen.“ Ich zu Hause: „Mutti, ich will auf eine Rüstzeit – und da wird man überfallen und ich muss eine Luftpumpe mitbringen.“ Nun war die Zeit damals sicher nicht halb so gewalttätig wie heute, aber diese Ankündigung eines vielleicht 12–Jährigen (?) war meiner Mutter zuviel. „Da fährst du nicht mit!“ Und so kam es, dass plötzlich ein Pastor bei uns zu Hause aufkreuzte und meiner Mutter wohl erklärte, was es mit diesem Gag mit der Luftpumpe auf sich hatte.

      Jedenfalls fuhr ich mit nach Timbuktu (so hieß Zapel nach diesem Lied) in den Tanganjika–Sümpfen und habe dort mehrere eindrückliche Rüstzeiten erlebt. Sie haben mich sehr geprägt und gehören zu den wertvollen Erinnerungen aus meiner Jugendzeit.

      Besonders gern erinnere ich mich an Diakon Brösel, hat er mich doch in dieser Zeit stark beeindruckt und, wenn ich es von hinterher sehe, meinen Zugang zur Gemeinde Jesu und zur Kirche eröffnet.

      Wir kamen zurück von einer Freizeit aus Zapel (bei Schwerin), die er geleitet hatte, mehrere Jungen mit Fahrrädern. Es gab eine Karambolage, mein Knie war lädiert, und da wir kein Verbandszeug bei uns hatten und ich stark blutete, fuhren wir beide zu seiner Wohnung, wo er mich verbinden wollte. ( Schleifmühlenweg).

      Mit Staunen erlebte ich, dass er mit einem Schraubenzieher das Türschild um das Schloss seiner Wohnungstür versetzte, um überhaupt mit dem Schlüssel hineinzukommen und aufzuschließen. Ich fragte ihn, warum er das täte und erfuhr, dass das eine Vorsichtsmaßnahme sei, um zu verhindern, dass „irgendwelche Menschen“ in seine Wohnung eindrängen. Natürlich fragte ich als Jugendlicher neugierig weiter, weil mir das so unwahrscheinlich vorkam, und musste erlebten, wie dieser kräftige und sportliche Mann (er hatte vorher wohl bei einem Verein in Hamburg Handball gespielt !) anfing, zu weinen und mir erzählte, dass er seit Wochen nachts abgeholt würde (von der Polizei), und sie wollten, dass er Namen nennen solle von Jungen, die zur Jungen Gemeinde gehörten. Ich begriff – weil er nicht bereit war, unsere Namen, meinen Namen zu nennen, weiterzugeben ( damals liefen Informationen also noch so einfach und direkt !), wurde er systematisch am Schlafen gehindert und so einfach fertiggemacht.

      Wie tief mich die Gemeinheit dieses Vorgehens und die Haltung von Herrn Brösel beeindruckte, kann man sich vorstellen. So wurde dieser Mann für mich zu einem der Vorbilder, die ich in der Kirche kennengelernt habe.

      Diakon Brösel hat dann wohl noch versucht, durch einen Ortswechsel nach Rostock (Toitenwinkel?) den Nachstellungen zu entgehen und weiterzuarbeiten, und als er auch in Rostock sofort wieder nachts abgeholt wurde, ist er, wie ich dann hinterher erfuhr, in einer abenteuerlichen Autofahrt in den Westen gebracht worden.

      Es passt zu diesem Mann, dass er sich auch da wieder eine schwere Aufgabe ausgesucht hat, in einem Auffanglager für ehemalige Fremdenlegionäre war er tätig. Das Letzte, was ich über Diakon Brösel erfahren konnte, war, dass er dort schlimm zusammengeschlagen worden war, aber keine Anzeige gegen den ihm natürlich bekannten Täter erstatten wollte.

      Wie das in der von Pastor Wellingerhof organisierten Jugendarbeit üblich war, hatte ich ziemlich früh einen Jugendkreis von gerade zwei Jahren Jüngeren mit einem zweiten übernommen und mir war nach einem Jahr treuen Besuch der Jungen Gemeinde das Bekenntniszeichen (oft verkürzt als „Kugelkreuz“ bezeichnet) verliehen worden. Ich gehörte zum Spielkreis „Kreuzfahrer“ (wie stolz war man, wenn man dazu von PW persönlich eingeladen wurde) und durfte Verkündigungsspiele mit aufführen und Spielfahrten über Land mitmachen und war bei Monatsrüsten und Morgenandachten natürlich dabei.

      Ich war 1951, im Gegensatz zu manchen anderen, erst Mitglied der Jugendorganisation FDJ geworden, um doch noch auf die Oberschule aufgenommen zu werden. Davor war mein Antrag auf Aufnahme in die Oberschule abgelehnt worden. Als ich nach der Ablehnung meines Antrags mit meiner Patentante auf das Arbeitsamt zwecks Arbeitsstellensuche ging und wegen meiner damals noch schmächtigen Figur und kleinen Körpergröße für ungeeignet gehalten wurde, fragte der Mitarbeiter, ob es nicht günstiger wäre, wenn ich noch einige Zeit auf die Schule gehen würde. Ich sagte ihm darauf: ich hätte das schon gewollt, sei aber nicht angenommen worden. Als er auf Nachfrage erfuhr, dass als Grund meine Nichtzugehörigkeit zur FDJ genannt worden war, sagte er zu mir: Dann geh doch einfach rein!

      Und nach einigen Überlegungen zu Hause, das damalige erste Statut der FDJ, die ja auch von kirchlichen Vertretern mitgegründet worden war, enthielt noch keine Festlegung auf marxistische oder sozialistische Positionen, sondern betonte die Offenheit für alle ehrlichen Jugendlichen, die sich in der antifaschistischen Überzeugung einig sind – und mit meiner Patentante, war ich eingetreten.

      Nachfolgend schildere ich die Auseinandersetzungen um die Junge Gemeinde in der Goethe-Oberschule I Schwerin, die ich während meiner Schulzeit dort selbst erlebt habe und die im Jahr 1953 sehr zugespitzt geführt wurden. Fünf besonders krasse Beispiele sind mir deutlich in Erinnerung.

       1. Beispiel

      Demonstration auf dem Marktplatz anlässlich der Ermordung eines westdeutschen Antifaschisten (wie das damals so hieß) Philipp Müller. Wir Schüler mussten antreten. In einer vom Balkon des Residenzcafe verlesenen und anschließend abgestimmten Protestresolution hieß es sinngemäß: Die für diesen Mord zuständigen Kräfte sind dieselben wie die USA–hörige Junge Gemeinde. Wie üblich in diesen Zeiten, standen mehrere von uns Schülern aus der Jungen Gemeinde auch hier zusammen und hoben bei der dann folgenden „Abstimmung“ natürlich die Hände nicht.

      Als