Patricia Sveden

Ein Earl zu Weihnachten


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Aber davor sehr wohl. Zu gut konnte sich John noch an ihre heißen, begehrlichen Blicke erinnern, wenn sie ihn bedient hatte oder an ihm vorbeigegangen war. Zu gerne hätte er sie bereits damals in die nächste Nische gedrängt und vernascht. John war aber viel zu gut erzogen worden, um derartige Dinge zu tun. Noch dazu mit einer Bediensteten. Solche Dinge hatten stets nur in seiner Fantasie stattfinden können und wären niemals Realität geworden. Einen solchen Skandal würde er seiner Mutter nicht antun wollen. Undenkbar, was sie dann von ihm halten würde. Und erst Vater. Wobei seinem Vater ohnehin alles ziemlich gleichgültig sein dürfte, solange John nach seiner Pfeife tanzte - zumindest hatte es den Anschein.

      Jedenfalls hatte John den Rausschmiss der jungen hübschen Zofe einfach so geschehen lassen - was hätte er auch dagegen tun sollen, außer sie auf der Stelle zu heiraten - und sie aus seinen Gedanken verbannt. John war sich sicher gewesen, sie niemals wiederzusehen. Er wusste ja nicht einmal ihren Namen. Wie hätte er sie also ausfindig machen sollen? Bis heute hatte er nun jahrelang nicht mehr an sie gedacht, an diese besonderen großen, warmherzigen Augen. Doch nun hatte es sich angefühlt, als hätte ihn der Blitz getroffen, als er sie vollkommen unerwartet plötzlich erblickt hatte. Niemals hätte er damit gerechnet, sie hier in diesem Hause anzutreffen. Wobei ein winzig kleiner Teil von John, auch wenn er ihn gar nicht wahrnehmen hatte wollen, es sehr gehofft hatte. Denn irgendetwas war an diesem Paar brauner Augen damals ganz besonders gewesen, was er danach bei keiner anderen Frau jemals wiedergefunden hatte. Eine Wärme und Vertrautheit, die ihm durch Mark und Bein fuhren, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.

      Doch nun war er verlobt, mit ihr, mit Victoria Silverstone. Die Frau, die sein Vater ihm jahrelang hatte einreden wollen und es nun endlich geschafft hatte. Warum ausgerechnet jetzt, als er diesen besonderen Augen wieder begegnete? Was wollte ihm das Schicksal damit sagen? Und vor allem, was sollte er nun tun?

      5. Kapitel

      Bella blieb wie erstarrt stehen. Er hatte sie angesehen und für einen Moment war die Welt stillgestanden. So viele starke Gefühle waren in Bella noch nie zuvor gleichzeitig vorhanden gewesen. Ihr wurde beinahe ganz schwindelig.

      „...Bella, Bella!“, hörte sie da plötzlich eine Stimme neben sich.

      Es war Kitty, eine weitere Zofe und Bedienstete des Hauses.

      „Komm, wir müssen nun alles für das Dinner vorbereiten. Bei so vielen Gästen brauchen sie im Speisezimmer jede Unterstützung, die sie finden können.“

      Kitty hatte vermutlich recht. Außerdem wäre es nun eine gute Idee, sich von ihrem inneren Aufruhr ein wenig abzulenken und wieder zu Sinnen zu kommen. Wie sollte sie diese nächsten Tage nur überstehen? Es war also noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Es würde kein distanziertes, rationales Abschätzen von John Miller und der gesamten Lage geben. Bella war bereits jetzt in einen heftigen Strudel der Gefühle hineingezogen worden und konnte nur hoffen, irgendwie mit ihrem Kopf über Wasser zu bleiben.

      „Geht schon mal vor, ich komme gleich nach“, sagte Bella zu Kitty und noch ein paar anderen, und stützte sich mit einer Hand am Geländer der Treppe ab, um wieder etwas Halt zu finden.

      Nachdem die anderen fort waren und Bella einige Male tief durchgeatmet hatte, ließ sie das metallene Geländer los und richtete sich wieder auf. Genau in dem Moment kam Claire herbei.

      „Bella, da bist du ja. Hilfst du mir bitte mit Luke und Linnie? Ich möchte ein paar Worte mit meiner Mutter wechseln und Greg ist gerade beschäftigt. Linnie hat wieder ihre wilden Minuten und würde mich mit ihrer Oma keine fünf Worte sprechen lassen. Könntest du bitte auf die Kinder schauen, bis ich wieder zurück bin?“, bat ihre Freundin sie um Hilfe.

      „Natürlich mache ich das. Sind sie oben in ihren Zimmern?“

      „Ja, sie sind momentan beide in Lukes Zimmer und warten schon auf dich. Es kann sein, dass du ihnen wieder ihr Lieblingsbuch vorlesen musst. Linnie liebt die Geschichte von Cinderella und hat zuvor schon so etwas angedeutet“, verkündete Claire nun grinsend und Bella musste daraufhin auch lächeln.

      Es tat gut, mit Claire zu plaudern. Vielleicht war sie im Augenblick auch der einzige Mensch, der sie von ihrem Gefühlschaos ablenken konnte.

      „Ist gut. Dann geh ich lieber mal schnell nach oben“, erwiderte Bella und wollte sich schon auf den Weg machen.

      Die Kinder würden sie im Moment sicherlich auch gut ablenken können und auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.

      „Ich danke dir. Es wird auch nicht allzu lange dauern. Es gibt nur ein paar Dinge, die ich mit Mutter noch besprechen möchte“, erklärte Claire und wirkte aber, als wollte sie noch etwas sagen.

      Bella hielt inne und wandte sich ihrer Freundin zu.

      „Was ist denn los Claire? Ich sehe doch, dass dich etwas beschäftigt“, wollte Bella nun wissen.

      „Ach, es ist nichts. Es ist nur so, dass der Sohn der Millers in diesem Jahr mitgekommen ist. Er ist nämlich einer der Junggesellen, die damals vor sieben Jahren meinetwegen hierhergekommen waren, und ich war mit Greg bereits über alle Berge gewesen. Verstehst du? Es ist mir irgendwie unangenehm, dass er jetzt hier ist.“ Claire hielt kurz inne und überlegte. „Aber vermutlich ist ihm das inzwischen vollkommen egal, da er ja schließlich mit seiner Verlobten hier ist. Eine schreckliche Person übrigens.“

      Bella durchfuhr erneut ein Blitz, aber diesmal kein guter. Sie stützte sich wieder mit einer Hand am Geländer ab, weil ihr ein wenig schwindelig aufgrund der neuesten Informationen geworden war. Diese rotblonde Frau war also wirklich seine Verlobte. Verdammter Mist. Bellas Chance war also vorbei. Sie konnte sich John Miller hier und jetzt und auf der Stelle abschreiben und für immer vergessen. Es war vorbei. Auch wenn Claire meinte, dass seine Verlobte eine schreckliche Person wäre, sie waren verlobt. Er war verlobt.

      „Bella? Geht es dir gut? Du siehst plötzlich so blass aus“, äußerte Claire besorgt.

      „Ja ja, es geht schon. Alles in Ordnung“, antwortete Bella geschwind und bemühte sich, ihre Fassung zurückzuerlangen. „Es geht mir gut, keine Sorge. Aber warum denkst du, ist dieser John Miller ausgerechnet in diesem Jahr hierher mitgekommen? Bislang war noch nie einer deiner früheren Verehrer hier gewesen“, wollte Bella nun wissen.

      „Sein Vater hat wohl darauf bestanden, dass er und seine Verlobte an diesem Weihnachten mit dabei sind. Vermutlich möchte er, dass alle Welt von der Verlobung erfährt und sein Sohn und dessen Zukünftige bereits zusammen gesichtet werden. Anders kann ich es mir auch nicht erklären. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass John Miller davon sehr begeistert ist. Immerhin habe ich ja ihn - und viele andere auch - damals stehengelassen, um mit einem armen Stallburschen durchzubrennen.“

      „Aber meinst du nicht auch, dass das schon viel zu lange zurückliegt? Außerdem kanntest Du ihn damals ja überhaupt nicht und verlobt ist er jetzt auch. Ich bin mir sicher, dass es für ihn kein Thema mehr ist. Vermutlich kann er sich gar nicht mehr daran erinnern, was hier vor sieben Jahren passiert ist“, gab Bella nun etwas traurig zurück.

      Claire schien Bellas gedrückte Stimmung zu bemerken.

      „Was ist denn los, Bella? Irgendetwas stimmt nicht mit dir, das merke ich doch. Aber lass uns jetzt mal schnell zu den Kindern gehen. Meine Mutter wartet bereits auf mich.“

      Sie gingen also hinauf zu Linnie und Luke, und Claire ließ die drei alleine, um für ein Gespräch ihre Mutter aufzusuchen.

      6. Kapitel

      Beim gemeinsamen Dinner sollten sich alle wiedersehen. Bella, deren Stimmung im Augenblick einen Tiefpunkt erreicht hatte, wollte am liebsten gar nicht zu diesem Dinner erscheinen. Sie müsste es an und für sich auch nicht. Da aber derart viele Gäste anwesend waren, wurden alle Zofen und übrigen Bediensteten darum gebeten, dem Küchen- und Servierpersonal unter die Arme zu greifen. Alleine würden sie es ansonsten nicht schaffen. Also zog sich Bella rasch ein passendes Kostüm an und steckte ihr langes Haar zu einem gekonnten Knoten hoch. Sie streifte die Röcke und die Schürze ihrer grau-weißen Uniform glatt und atmete einmal tief durch.

      Am besten