stand Clem auf besserem Fuß als mit seinen Offizieren. Ich hatte aber wenig Lust, der Sache auf den Grund zu gehen. Mit Clemens Gib kam nicht jeder gleich gut aus. Hier war er Herr über Leben und Tod. Eingeschränkt gilt das auch heute noch, selbst für einen kleinen Schiffsführer. Jedenfalls aber muss man wochenlang auf engem Raum miteinander auskommen. Das reicht mitunter schon für eine Dauerfeindschaft.
Einmal in der Woche verkaufte der Steward einige Kleinigkeiten, vor allem Zigaretten, Bier, solange der Vorrat reichte, aber nur ausnahmsweise Schnaps. Ob und wie viel, das lag im Ermessen des Kapitäns. Vom Versorgungsschiff, das vielleicht zwei Jahre lang draußen lag, je nach Fang, wurden die Vorräte ständig ergänzt, die Besatzung regelmäßig ausgetauscht.
Die Fischer waren eher noch schlechter gelaunt als wir. Allen fehlte es an Arbeit. Unter all diesen Muffeln hielt ich mich zurück. Ich würde ja auch auf das Verarbeitungsschiff zurückgehen, wo ich die meisten der Leute länger und besser kannte. Deshalb schloss ich hier keine Bekanntschaften ...
Seit der Nacht hatten wir schnelle Fahrt gemacht. Draußen lungerte der Wachoffizier mit dem Sextanten herum, für eine Sonnen- und Mondbeobachtung. Ich meinerseits lauerte auf das Zeitzeichen der nächsten Station für den Uhrenvergleich. Es war wenig los am Himmel des Nordens. Viel Gewölk, tief und grau. Hin und wieder blitzte zwar ein Sonnenstrahl über die vereisten Decks, aber auf den schönen dicken Sonnenball wartete der B 5 vergeblich. Nur ein Stück Mond stand blass am Himmel herum. Es ist ein schöner Zug von den Astronomen, zuweilen Sonne und Mond zugleich für uns anzumachen. Das Zeitzeichen kam, die draußen verglichen ihre Uhren. Nach altem Brauch hatte Clem auf dem Generalkurs gekoppelt, das heißt unsere gelaufene Distanzen abgetragen. Wo aber standen wir jetzt? Auch ein B 6 hat seine Sorgen.
Bei uns hätte sich die Sonne nach der Zonenzeit längstens über die Kimm schieben müssen. Aber sie ging nicht richtig auf, sie tat uns nicht den Gefallen. Der Mond war unsere einzige Stütze an diesem eisigen Morgen. Bloß die Kimm war scharf. Vor uns lag vielleicht ein langer dunkler Tag mit wenig Freude für Clem und seinen B 5. Gegen Abend hätte Clem den Polarstern für eine Breitenberechnung gehabt.
"Nun komm schon", sagte Clem ungeduldig zur Sonne. "Doa luer man up. Die kümmt nicht, die will nich."
"Hast du nichts zu tun?" fragte Clemens Gib trocken.
"Hab ich, allens klar."
Das ging so bis zum Mittag. Da begann ich zu schwitzen, zog den dicken Pullover aus, streifte ein leichtes Strickhemd über und ging hinaus auf das Fangdeck. Mir schien es plötzlich bannig warm, ein fast frühlingshaftes Wetter für diese hohe Breite. Der Schweiß brach mir aus allen Poren. Tauwasser tropfte von den Eisenteilen. Auf Deck standen große Lachen. Wind blies warm aus südwestlicher Richtung.
Clem stellte sich zu mir, lachte nervös und sagte: "Irgendein Randtief? Eine Warmfront? Hier oben? Unwahrscheinlich. Das Barometer fällt ein bisschen schnell. Was sagt denn der Wetterbericht? Nichts? Und die Basis? Geh mal horchen!"
"Warm ist relativ", sagte ich.
"Ja, nun geh schon", sagte Clem.
Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl. In den Kopfhörern überlagerten sich die Sender, Geräusche schwollen an und wieder ab. Dazwischen und nebenbei hörte ich aber noch was anderes, verstand zuerst nicht genau, um was es sich handelte, schärfte meine Ohren und lauschte in das Gepiepse und Geschnarre zwischen den Satzfetzen hinein. Der Funkspruch, in englischer Sprache, war dünn und schwach, bald ganz weg, kam aber wieder. Er betraf keine Kleinigkeit. Irgendeine Station meldete driftende Eisfelder von unbekannter, also erheblicher Ausdehnung ...
Zu dieser Jahreszeit beginnen die Gletscherzungen des Packeisgürtels um Grönland für gewöhnlich zu brechen. Eisberge und große Eisschollen, manchmal auch gewaltige Eisfelder treiben nach Süden. Irgendwo treffen sie auf die Zentralheizung des Atlantik, den Golfstrom, und schmelzen allmählich ab. Von Zeit zu Zeit pflegen sie das eine oder andere Schiff in den Grund zu bohren, bevor sich ihr Süßwasser mit der Salzbrühe des Ozeans vermischt hat. Weil Süßwasser leichter ist als die ozeanische Lake, schwimmt Eis überhaupt nur oben. Wäre Eis schwerer als Salzwasser, gebe es vermutlich bedeutend weniger Schiffe auf der nördlichen Hemisphäre, soweit sie von Meeren bedeckt ist ...
Dann kam Radio Fanggebiet und rief Clem zur Kapitänsrunde. Ich schärfte ihm ein, zu fragen, ob sie Eiswarnung empfangen hätten und vor allem, auf welchen Frequenzen. Mit ihren besseren Geräten und Verbindungen mussten sie unterrichteter sein als wir. Gute Wahrschau, mehr blieb uns ja nicht.
Eisberge sieht man glücklicherweise auch bei Nacht, sie glänzen so schön, wenn sie das Scheinwerferlicht trifft.
"Du hast sie wohl nicht alle", sagte Clem.
"Das war kein Witz, Clem."
Verflixte Geheimniskrämerei, dachte ich wohl noch.
"Also schön", sagte er, "die haben auch was aufgefangen. Kein Grund zur Beunruhigung. Keine Panik auf der Titanic. Ich denke, die geben es uns sofort durch, wenn sie was wissen." Aber ich dachte an die ungewöhnliche Wärme und daran, was Richard in dieser Lage getan hätte. Wahrscheinlich hätte er Himmel und Hölle in Bewegung versetzt, um die Station festzustellen, die Eiswarnung ausgestrahlt hatte. Wunder kann auch Richard nicht vollbringen. Wind und Wogen sind Gottes; der Spruch über seinem Sofa ging noch weiter: Kompass und Steuer des Seemanns ...
"Ihr alten Leute bildet euch zu viel auf eure Erfahrung ein", sagte Clem gelassen. "Wind und Wogen ... gilt für den ollen Kutter und eure Schietsegelei. Da habt ihr wahrlich vom lieben Gott abgehangen."
Es war ein klarer, stiller Tag, nicht warm, nicht kalt, richtiges Wetter zur Übergabe. Von Eisdriften keine Spur. Das Basisschiff gab seine Position. Wir standen nicht weit davon. Ich war enttäuscht, auf Anfrage beim Funker keinen Gruß aus der Heimat zu erhalten.
Wer hätte mich grüßen sollen, außer Melitta?
"Alles klar bei euch?" fragte ich.
"Allens klor, vielleicht hast du Post", sagte mein Kollege tröstend. "In ein, zwei Stunden weißt du es. Die verklickern gerade euren Postsack."
"Habt ihr Eiswarnung empfangen?"
Er gab keine Antwort. Dann sagte er: "Ihr sollt übergeben. Macht man hinne. So long, Amigo. Roger!"
Nach einem guten Fischerfrühstück kroch ich in die Koje, um eine Pütz Schlaf zu fassen.
7
Auf einem Zubringer-Trawler ist die Übergabe nicht gerade spannend. Mich interessierte auch mehr, was die im Boot von der ATLANTIK für unsere Pantry und unsere Seelen bringen würden. Vor allem die Post. Auf der Basis bekamen sie Briefe und kleine Päckchen per Luft. Drüben lag der große Pott und dümpelte vor sich hin. Ich sah zu, wie sie bei uns das Schlauchboot klar machten. Die Deckscrew trug orangegelbes Zeug, das leuchtet und einem Schiffbrüchigen eine Chance gibt. Sie ist nicht hoch. Früher, zu Richards Zeiten, war sie noch niedriger. Damals hatten wir Rettungszeug, so grau wie der Pottwal ...
Ein paar unserer Fischer, Maschinenassi, Bestmann und wer noch, beschäftigten sich mit der Übergabe. Sie pumpten Seewasser in die Bunker. Der Bestmann überwachte das Umpumpen der Fischbrühe in die großen Netzbehälter. Diese Dinger treiben in der See, und es ist Sache der Basis, sie aufzufischen. Einer muss die Steertleine einfangen und den Behälter zum Achterschiff verbringen. Über den Slip holt sich der Verarbeiter den Steert dann an Bord. Das klingt einfach und ist auch ganz gut ausgedacht, bei ruhigem Wetter funktioniert alles trefflich. Manchmal klappt es auch weniger gut, oder es geht schief.
Mir ist die andere Art der Übergabe lieber, die mit einer Netzbrook. Zwar muss man bis auf ein paar Meter an den großen Pott heran, aber man sieht, was passiert. Hier ging alles gut. Clem quasselte nach der Übergabe noch etwas mit denen da drüben, und wir fuhren weiter zum Fang auf die befohlene oder empfohlene Position. Wie ich vermutet hatte, wimmelte es von Fischern um uns herum. Wimmeln heißt hier, drei oder vier Schiffe, die man nicht kennt, an der