Gerstäcker Friedrich

Nach Amerika! Bd. 1


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bezahlt hatte und seine Papierschere vom Tisch nahm, den amerikanischen Brief aufzuschneiden. «Haben Sie schon gehört, daß gestern Nachmittag bei Herrn Dollinger eingebrochen und für siebentausend Taler Gold und Juwelen gestohlen sind?»

       «Alle Wetter», rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt ausgehaltenen Schere in der Hand, «gestern Nachmittag?»

       «Am hellen Tag», bestätigte Leupold.

       «Und weiß man nicht, wer der Täter ist?»

       «Sie haben den einen Komptoirdiener in Verdacht und auch schon eingezogen», sagte der Tischler.

       «Gewiß den Loßenwerder», rief Weigel.

       «Ich glaube, so heißt er – er ist ein wenig verwachsen…. »

       «Und schielt – derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden können, hat mir auch schon ein paarmal Kunden abspenstig gemacht aus reinem Brotneid, ich wüßte wenigstens sonst nicht weshalb, und habe ihn dabei stark in Verdacht, daß er selber damit umgeht, eine Agentur für Auswanderer zu errichten. Da könnte jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe, ohne Connexionen und ohne Kenntnis vom Land – schickte nachher die Leute ins Blaue hinein, daß sie dort säßen und nicht wüßten, wo aus noch ein. Na, nun wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden, ich gönne nicht gern einem Menschen etwas Übles, aber bei dem freut mich’s, daß sie’s wenigstens herausbekommen haben und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?»

       «Soviel ich weiß, nicht, einige hundert Taler ausgenommen, von denen aber der Mann beteuert, daß er sie sich gespart hätte, es ist übrigens manches dabei zusammengekommen, was ihn verdächtig macht, das Nähere weiß ich freilich nicht.»

       «Hm, hm, hm», sagte Herr Weigel kopfschüttelnd, den Brief, den er noch immer in der Hand hielt, aufschneidend, «böse Geschichten – böse Geschichten, was man nicht alles hört auf der Welt. – Nun wollen wir also einmal sehen, was der Herr da aus Amerika schreibt – hm – Washington County, Tennesse de 7. Januar 18 – alle Wetter, der Brief ist lange unterwegs gewesen, Herrn F.G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft in Deutschland – ahem – Sie nichtsw – hm – Sie haben – hm – vor allen Dingen – hm – hm – hm – hm… » Herrn Weigels Gesicht verlängerte sich immer mehr, je weiter er in seiner, wie es schien, nicht eben angenehmen Lektüre vorrückte, aber er bracht mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise höchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Silben ab und murmelte das Ganze nur flüchtig überfliegend, bloß einzelne unzusammenhängende Worte, aus denen Leupold nichts herausfinden konnte, vor sich hin.

       «Nun, was schreiben sie?» sagte dieser endlich lächelnd, er wäre schon lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurückgehalten hätte. «Gute Neuigkeiten?»

       «Bah!» rief Herr Weigel, den Brief zurück auf seinen Schreibtisch werfend. «Jemand, der seine Geschwister will hinübergeschickt haben und mich ersucht, das Geld für ihn auszulegen. Da müßt’ ich schöne Kapitale herumstehen haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann suchen.»

       «Ne, das ist ein bißchen viel verlangt», sagte der Meister, wieder nach der Klinke greifend – und diesmal hielt ihn Herr Weigel nicht zurück. «Aber nun leben Sie auch recht wohl und verlassen Sie sich darauf, ich besorge Ihnen das heute noch.»

       «Seien Sie so gut», sagte der Agent. Er war auf einmal ganz einsilbig geworden, und Meister Leupold verließ mit nochmaligem Gruß das Zimmer, in dem jetzt Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Händen, aber keineswegs mehr so guter Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf und ab ging.

       «Und vierzehn Groschen bezahlt für den Wisch – es ist eine Frechheit, wahrhaftig, die ins Bodenlose geht. Lumpengesindel! Glaubt, die gebratenen Tauben sollen ihm da ins Maul fliegen, sobald sie’s nur aufsperren.» Und wieder riß er den Brief vom Pult, rückte sich die Brille zurecht und las mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal und zwar aufmerksamer durch, als vorher:

       «,Sie nichtswürdiger Halunke’ – wenn ich Dich nur hier hätte, mein Bursche, dafür solltest Du mir brummen – ,schändlich betrogen und angeführt’ – wozu hat Dir denn der liebe Gott die großen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie nicht aufsperren willst – ,Land eine Wüste’ – nah versteht sich, ein Gewächshaus hab’ ich ihm nicht verkauft – ,Hälfte gar nicht zu bekommen’ – Holzkopf – ,kein Mensch wollte die Billete nehmen’ – hah, geschieht Dir recht – ,Wohngebäude zu schlecht für einen Hund’ – für Dich noch immer viel zu gut, mein Schatz – ,wenn Sie nur einmal herüber kämen, Sie miserabler’ – bah … » unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger als schmeichelhaften Lektüre, indem er den Brief in zwei Hälften riß und sich dann ein Streichhölzchen mit einem Gewaltstrich an der Tür entzündete. « S o viel für den Wisch!» Und das Papier anbrennend, warf er das auflodernde in den Ofen und schloß die Klappe so heftig er konnte.

       Allerdings wollte er sich nun über den Brief hinwegsetzen, aber geärgert hatte er sich doch, und Rock und Stiefel anziehend, drückte er sich seinen Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke und verließ sein Büro, das er sorgfältig hinter sich abschloß und eine kleine Pappe mitten an die Tür hing, auf der die Worte standen :

      «Kommt um elf Uhr wieder.»

      Sechstes Kapitel

      Die Weberfamilie.

       Nicht weit von Heilingen, und selbst in Hörweite der Domglocke, in ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes Dorf, dessen Bewohner sich kümmerlich, aber meist ehrlich mit verschiedenen Handwerken und Gewerben, mit Holzschnitten, wie auch hier und da mit dem Webstuhl ernährten. Das Dorf hieß eigentlich ‚Zur Stelle’, welchen Namen aber die Bewohner im Laufe der Zeit und mit Hilfe des Dialekts zu dem von Zurschtel umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreißig Häuser und Hütten mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von Kindern zählen. Es ist eine wunderliche Tatsache, daß man in den ärmlichen Distrikten stets die meisten Kinder findet.

       Mitten im Dorf lag eins der besseren Häuser, es war weiß getüncht, und hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weiße, reinliche Gardinen. Vor dem Hause, über dessen Tür ein frommer Spruch mit roten und grünen Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Röhrentrog, und ein kleiner Koven an der Seite desselben zeigte in der nach außen befestigten Klappe des Futterkastens dann und wann den schmutzigen Rüssel eines seine Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket umgab das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu ihrem Vorteil gegen manche der Nachbarhäuser ab.

       Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger sehr ärmlich aus. In der einen Ecke stand ein großer, viereckiger, sauber gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zweien der Wände waren Bänke aus dem nämlichen Material befestigt, und um den großen viereckigen Kachelofen, der fast den achten Teil der Stube einnahm, hingen verschiedene Kochgerätschaften, während auf darüber angebrachten Regalen die braunen Kaffeekannen und geblümten Tassen gewissermaßen mit als Zierrat zur Schau ausstanden. Die dritte Ecke füllte der Webstuhl des Mannes aus, und dem gegenüber stand eine riesengroße, braun angestrichene Kommode mit Messinghenkeln und Griffen und fünf Schiebladen, die, mit wirklich rührender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten Blumen bemalte Henkelgläser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift ,Der guten Mutter’ – ein Geschenk aus früherer Zeit – und ein gelbirdenes, aber allerdings sehr wenig benutztes Tintenfaß trug, während dahinter, in zwei ordinären Stangengläsern, in dem einen Schilfblütenbüschel und in dem andern große, stattliche Ähren von Roggen, Weizen, Gerste und Hafer standen, zur Erinnerung an eine frühere segensreiche Ernte.

       Die Bewohner der kleinen Stube paßten genau in ihre Umgebung. Es war eine nicht mehr ganz junge, aber doch rüstige Frau, in die nicht unschöne Bauerntracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad saß und eifrig das Rädchen schnurren ließ. Dabei berührte die rechte Hand manchmal eine neben ihr stehende Wiege,