Heinz Monheim

Herzkirschen


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      Er umarmte sie noch einmal und verließ dann den Raum. Margret Bichler blieb lange regungslos in dem Ha1bdunkel des Raumes stehen. Sie lauschte in sich hinein und versuchte, Ruhe in die Gefühle und Gedanken zu bekommen, die ihr durch den Kopf gingen. Fragen drangen auf sie ein, die sie nicht beantworten, konnte. Warum war ihr so seltsam traurig zumute? Was war der Anlass gewesen, dass sie René eben mit aller Offenheit, ihre, doch ein Leben lang so sorgsam gehütete Jugendliebe offenbart hatte? Warum zog ein so intensiver Schmerz in sie ein und legte sich wie eine Klammer um ihr Herz, als Renés, Stimme beim Abschied einen so ernsten, einen so endgültigen Klang bekam? Sie wandte sich wieder ihren Tieren zu, und während sie über das weiche Fell ihres Lieblingskaninchens strich, trübte ein Tränenschleier ihren Blick. Ihre tiefen Gefühlsbeziehungen, die sie ein Leben lang mit René verbunden hatten, ließen sie instinktiv wissen, dass dieses Treffen wohl ihr letztes war.

      Kapitel 3

      René Martens ging, auf seinen Stock gestützt, den Weg hinan, der in Serpentinen, steil den Weinberg hinauf führte. Sein Gang wirkte noch immer sicher, stolz und aufrecht. Der Berg, welcher um diese Jahreszeit sehr trist aussah mit seinen dürren, braunen Rebstöcken, den grauen Steinen in brauner Erdkrume, stellte sich an diesem schönen Tag ganz anders dar. Er war von der sich schon neigenden Nachmittagssonne mit einer solch goldenen Farbsymphonie überflutet worden, dass er freundlich und einladend wirkte. Martens ging langsam, aber gleichmäßig bergan. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, damit sich sein Herz und sein Atem wieder beruhigen konnten., Während dieser Ruhepausen ließ er vor seinem geistigen Auge sein Leben vorüberziehen. Diese Reise in die Vergangenheit begann in dem Moment, wo er diese wunderbare Landschaft zum ersten Male besuchte. Von einem Freund hatte er den Tipp bekommen, dass er sich dort, auf dem abseits in den Rebenhügeln versteckten Weingut, ungestört erholen könnte. Er war damals schon ein erfolgreicher Geschäftsmann, der ein paar Wochen Urlaub brauchte um sich vom Arbeitsstress zu erholen. Ein überaus gewinnträchtiger und sein ganzes Leben positiv beeinflussender Geschäftsabschluss, lag hinter ihm. Harte Verhandlungen die oft auf des Messers Schneide standen, hatten sich Monate lang hingezogen, ehe sie zu dem, für ihn so hervorragenden guten Ende kamen. Er war damals Ende dreißig und noch ledig. Er sah sehr gut aus, mit seinen blonden Haaren, großen, wachen Augen und einem gut geschnittenen Gesicht. Er war über einen Meter achtzig groß und sportlich durch trainiert. Er war ein guter Schwimmer, Reiter und Tennisspieler. Er war kein Schönling, aber trotzdem ein richtiger Frauentyp und er genoss die zahlreichen Gunstbeweise, die sich ihm boten. Er war immer von Frauen umschwärmt und pflückte sich manche Rose aus dem Strauß der Blüten, die ihn umgaben. Hart und kompromisslos in seinen Geschäften, aber zärtlich und gentlemanlike in seinen Liebesabenteuern, so urteilte die Umwelt über ihn. Von einem Moment zum anderen änderte sich sein Leben grundlegend, denn da sah er Simone, und die Welt blieb plötzlich mit einem Ruck, der ihn taumeln ließ, stehen. Es war auf einer kleinen Party, wohin ihn ein Freund mit genommen hatte. Mit diesem Freund hatte er zusammen studiert. Eckehard Wiemers war dann zur Medizin übergewechselt und nun ein geachteter Arzt in der Kurklinik, die der kleinen Weingemeinde einigen wirtschaftlichen Aufschwung brachte. Ecky, wie ihn seine Freunde wegen seiner großen und kräftigen Statur nannten, hatte ihn überredet, aus seiner selbstgewählten Einsamkeit mal wieder unter Menschen zu gehen. Nun stand er ein wenig verloren unter so vielen Medizinern mit einem Glas in der Hand und langweilte sich. Er sah gerade auf die Tür und überlegte, wie er am besten verschwinden könnte, ohne jemanden zu verärgern, als durch diese Tür eine junge Frau hereintrat. Es war für ihn, als ob das Licht heller und die Gespräche der anderen Gäste leiser geworden wären. Es war wie bei einem großen Revuebild, wenn plötzlich der Star auf die Bühne kommt und alle anderen Akteure zu kleinen Statisten degradiert. Eine schlanke, wohlproportionierte Frau, mit festen, hochstehenden, wunderschönen Brüsten, herrlich gerundeten Hüften und Beinen, die den Puls eines jeden Mannes in die Höhe jagen ließen. Dieser Traumkörper wurde von einem Kopf, der von einem klassischem Künstler geformt zu sein schien, stilgerecht vollendet. Große Augen, mit dem. reinsten und klarsten Blau, welches er je aus einem Blick leuchten sah, wurden von kühn geschwungenen Augenbrauen überspannt. Lange, seidige Wimpern ließen ihren Blick oft verträumt und abwesend erscheinen. Ein formvollendeter Mund, aus dem, wenn sie lachte, zwei Reihen makelloser Zähne blitzten, glatte Wangen, und eine hohe, schöngewölbte Stirn machten sie zu einer absoluten Schönheit. Den krönenden Abschluss bildete ihr Haar. In der Farbe eines reifen Weizenfeldes fiel es lang und leicht gelockt bis auf ihre Schultern, wo es in einer Innenrolle endete. Voll und seidig umspielte es sie bei jeder Bewegung ihres Kopfes, wobei das Licht der Deckenlampen goldene Splitter und Sterne darin aufleuchten ließ. Ihre stolze Haltung, der warme Klang ihrer schönen Stimme und ihr aufregender, königlicher Gang passte sich stilgerecht diesem Bild an und .ließ nur eine Deutung zu:

      „Eine Superfrau.“ René wusste vom ersten Augenblick, als er sie sah, dass dies die Frau seines Lebens, seine Traumfrau, wäre. Er hatte plötzlich einen trockenen Mund und trank hastig den Rest Whisky, der schon schal geworden war, aus. Er stellte das Glas dann achtlos irgendwo ab und ging wie in Trance auf die blonde Frau zu. Kurz, bevor er sie erreichte, hatte Ecky, der gerade mit der unbekannten Schönheit sprach, ihn gesehen.

      „Hallo René, alter Junge, gut, dass du kommst, dann kann ich dir direkt Fräulein Bregard, eine Patientin von uns, vorstellen.“

      Zur ihr gewandt, sagte er: „Simone, das hier ist mein Freund René Martens, der Traum aller heiratswilligen Frauen.“

      René, etwas peinlich berührt von der burschikosen Weise, wie Ecky, dessen Naturell halt so laut und direkt war, ihn eben vorgestellt hatte, reichte ihr die Hand. Sie streckte ihm mit einem leicht hochmütigen Blick ihre Hand entgegen. Als sich ihre Hände berührten, war es, als ob ein warmer Strom aus Leidenschaft und Liebe durch ihre Hände in ihre Körper fließen und diese restlos auffüllen und überströmen würde. Dieser Strom der Gefühle schwemmte alles weg, was an Vorbehalten oder Vorurteilen zwischen ihnen stand .•. Sie hatten sich nie vorher gesehen, nichts von einander gewusst und erkannten trotzdem sofort, dass sie plötzlich dem Menschen gegenüber standen, von dem sie Zeit ihres Lebens geträumt hatten. Bei Simone wirkte diese Emotion besonders stark. Sie befreite sie von allen Vorsätzen, wie sie sich Männern gegenüber verhalten wollte. Sex ja, Liebe, nein war zum Beispiel ein Vorsatz, den sie sich, der Lebenssituation in der sie sich gerade befand, entsprechend vorgenommen hatte. All dies fiel von ihr ab und machte Platz für eine große Liebe. Die größte, schönste und kürzeste Liebe ihres jungen Lebens. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt und stammte aus dem Elsaß, wo ihr Vater einen mittleren Fabrikbetrieb hatte, dessen Einkünfte es ihm ermöglichten, seine Tochter im benachbarten Deutschland als Privatpatientin in eine teure Klinik zu schicken. Ihre Mutter war eine blonde, hochgewachsene Friesin aus der Nähe von Husum. Auf einer Urlaubsreise nach Colmar war sie dem jungen und feurigen Jean Bregard begegnet. Die beiden hatten sich sofort ineinander verliebt und bald darauf geheiratet. Simone war ihr einziges Kind, und sie war erst vier Jahre alt, als ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte. Sie war zweisprachig erzogen und sprach ebenso akzentfrei deutsch wie auch französisch. Seit drei Monaten war sie nun schon in der Kurklinik die verhätschelte Privatpatientin, die in dem Sanatorium ihre angegriffenen Nerven wieder in Ordnung bringen wollte. So redete man wenigstens unter den Patienten und dem Personal, aber die Tatsachen sahen leider anders aus. Nur sie und die Ärzte, und da vor allem Chefarzt Doktor Körber, ein Freund ihres Vaters, kannten die Wahrheit. Simone hatte Leukämie, unheilbar, nicht weit vom Endstadium entfernt. Die Spanne, die sie noch zu leben hatte, ließ ihr nicht mehr viel Zeit, um Pläne zu machen. Nur die regelmäßige Dialyse, die sie in der Klinik erhielt, verlängerte ihr Leben, für ein paar Wochen, vielleicht sogar Monate. Diese Behandlungen ließen ihr und den wenigen Eingeweihten zudem noch die Hoffnung auf eine winzige Überlebungschance. In dieser Lebensphase, die von tiefsten Depressionen bis zur wilden Lebensgier wechselte, lernte sie René kennen.

      Kapitel 4

      René stand stumm neben den beiden und schaute wie verzaubert auf Simone. Diese hörte scheinbar ganz interessiert auf Eckys witzig und. charmant geführte Unterhaltung, dabei konnte sie sich in Wirklichkeit gar nicht konzentrieren und verstand nur die Hälfte von dem,