Friedrich Wulf

Die letzte Lektion


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du alte Bartflechte.“

      „Morgen Horst.“

      „Irgendwas für mich?“

      „Ja, hier.“ Beulenpapst nahm ein Blatt Papier von Associated Press.

      „Es hat einen Neuen gegeben“, sagte er.

      „Einen Neuen was?“

      Fünf

      „Mord. Am Michaelskloster wurde doch ein Lehrer ermordet. Schwerdtfeger oder Schwerdtegger oder so ähnlich. Jetzt ist ein weiterer Pauker - ist in die ewige Unterrichtsstunde geschickt worden“, sagte Janine.

      „Hu, hu, hu“, sagte er. „Sieht ganz nach einem Schwärmer aus. Ein auf den Kopf gestellter Gutmensch. Gut, gut! Kuck ich mir an.“

      Horst wurzelte in seinem Büro herum, um seinen Textfetzen zu präparieren, einen zweiminütigen Report für Die Welt um eins. Aber er langweilte sich so sehr dabei, dass er ein unerquickliches Telefonat vorzog.

      „Tut mir leid, es gibt nichts hinzuzufügen zur offiziellen Erklärung“, sagte der Polizeisprecher.

      „He Männeken, hier spricht Horst Krock, also nicht so vorlaut“.

      Pressesprecher waren noch schlimmer als grüne Redakteure. Sie masturbierten auf unterstem journalistischen Niveau.

      Wer, fragte sich Horst mit ehrlichem Ekel, als er den Hörer fallen ließ, würde Pressesprecher werden, wenn er das Zeug zum echten Journalisten hätte. Pressesprecher salbaderten über Instinkt und Spürnase und über gute Schreibe und dann ging ihr Leben auf in so großartigen Wiederholungen wie: „kein Kommentar.“ Elende Gartenzwergsammler und Sockenbügler.

      Missmutig wandte Horst sich wieder der Meldung zu, die nur ein paar Einzelheiten enthielt. Ein Biolehrer war tot aufgefunden worden, aber nichts über sein Privatleben, kein Hinweis auf mögliche Verdächtige.

      Horst rief noch einmal bei der Polizei an, ließ sich dieses Mal aber nicht mit dem Pressesprecher abspeisen. Anders als der Pressesprecher begrüßte ihn der Polizeipräsident herzlich.

      „Horst, was machen die Zähne?“

      Horst fragte nicht, woher er das wusste, das war schließlich der Polizeipräsident, weshalb er gleich zum Punkt kam.

      „Schweigen ist Gold wie, oder warum kriegt man von Ihren Jungs nichts zu -, die Öffentlichkeit ist beunruhigt, sie haben ein Recht auf…

      „Offiziell oder unter uns?“

      „Offiziell, unter uns, wie es beliebt, Hauptsache Fleisch ist dran und nicht nur Knochen.“

      „Also gut.“

      Die Meinung des Polizeipräsidenten über Horst schwankte. Manchmal meinte er, er könne ihm vertrauen, meist aber war er skeptisch. Horst Krock war so vertrauenswürdig wie ein Kettenhund, der ausgebüxt war und sich jetzt als Straßenköter einen Namen machte.

      „Tatsache ist, wir glauben ein Fanatiker, ein Verrückter ist da am Werk. Der letzte Mord ähnelt dem am Lehrer des Michaelsklosters. Er hinterlässt Briefe am Tatort.“

      „Was steht drin?“

      „Hier, hör zu.“ Der Polizeipräsident raschelte durch seine Papiere. „Diesen ließ er auf der Lehrerleiche des Michaelsklosters: „So soll es allen humorlosen Tafelfüllern und Rechenmaschinen gehen, die meinen auf diesem Wege die Welt zu erkennen. Wir aber wollen die Feinheit und Strenge der Mathematik in alle Wissenschaften hineintreiben, um damit unsere menschliche Relation zu den Dingen festzustellen. Die Mathematik ist nur das Mittel der allgemeinen und letzten Menschenkenntnis.“

      „Und was soll das heißen?“, fragte Horst.

      „Find’ es heraus und sag es mir. Und dies ist von heute morgen, lag auf dem Biolehrer: „Und so ergeht es den Lauten, den Schreihälsen, die durch die Macht ihrer formalen Autorität herrschen wollen. Was den berühmten Kampf ums Überleben angeht, er ist damit zu Ende. Auch in die Klasse geschrien, ist der Kampf ums Überleben einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Wo gekämpft wird, kämpft man um Macht.“

      „Leck mich am Arsch“, sagte Horst.

      „Genau. Und wir wollen nicht, dass das rausgeht, weil…“

      „Weil es genug Pavianärsche gibt, die fünf Minuten berühmt sein wollen und ihr dann nicht wisst, woran ihr seid“, endete Horst für ihn. Das war das übliche Verfahren, wenn sie es mit Mördern zu tun hatten, keine Details herauszugeben.

      „Gut, steckt schon in meinem Tresor, klappe zu“, sagte Horst und bedankte sich beim Polizeipräsidenten.

      Das war zum Sichbesaufen, weil Horst herzlich wenig der gelangweilten Welt um ein Uhr zu berichten hatte, aber zumindest kannte er jetzt den Grund fürs offizielle Schweigen. Er machte sich auf den Weg zum Studio und war dabei Sätze, ja ganze Absätze in seinem Kopf vorzuformulieren. Viel zu sagen, ohne etwas zu sagen, darin lag die ganze Kunst unter solchen Umständen. Er musste grinsen, als er an sein Vorbild dachte.

      Es war erst 12.15 Uhr, als er im Studio ankam, aber es gab keinen Grund zu warten.

      „Lass es uns aufnehmen“, sagte er zum Toningenieur, verantwortlich fürs Drehen und Schieben von Knöpfen und Reglern. Gerade bei Horst war seine Ingenieursgenialität gefragt, er musste dafür sorgen, dass seine Ansager und Reporter, dass insbesondere Janine und Horst nüchtern klangen.

      Um diese Zeit war das meist noch kein Problem und so hatten sie beim ersten Anlauf eine passable Aufnahme.

       Herr Bruchreich ist der zweite Paderborner Lehrer, der in diesem Monat ermordet aufgefunden wurde. Im Bioraum der Ludwig-Erhard-Schule fand ihn ein Kollege kurz nach acht Uhr. Wie er ermordet wurde, kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Seinem Kollegen war allerdings aufgefallen, dass Bruchreich seltsam aufgebläht ausgesehen habe. Knöpfe vom Hemd geplatzt, der Bauch über den Hosengürtel gewölbt, obwohl Bruchreich, eigentlich keinen Bauch gehabt habe. Über Motive der Tat gibt es bisher keine Hinweise, obgleich dieser Fall stark an den Mord im Michaelskloster erinnert. Weitere Einzelheiten wollte oder konnte die Polizei nicht herausgeben. Die Lehrerschaft ist beunruhigt und fordert von der Polizei besondere Schutzmaßnahmen.

      „Nicht sonderlich sensationell“, grummelte der Chefredakteur, als er sich das Band anhörte.

      „War nicht mehr rauszuholen, die Bullen sind stumm wie Maulwürfe“, erwiderte Horst. Man gab nicht alles preis, was man wusste, wenn man nicht viel hatte. Und das Bisschen, was er hatte, würde er eventuell noch gebrauchen müssen, je nachdem wie sein Auftritt vor dem Disziplinarausschuss endete.

      „Schon gut. Ich schätze wir müssen das als Hauptgeschichte bringen.“

      „Natürlich ist das die Hauptstory“, sagte Horst.

      Ein gutes, wenn auch etwas frustrierendes Stück Morgenarbeit war getan. Ein Mann, auf den ein Disziplinarverfahren wartete, musste sich vorbereiten, sagte sich Horst und nahm Kurs auf die Kneipe.

      Herr Jürgen Jonas, wohnhaft in der Ferdinandstraße zu Paderborn, ging durch die Imadstraße und fasste seine Zufriedenheit in dem Gedanken zusammen, wenn einem etwas wirklich Gutes gelingt, dann ist das schon ein Schlückchen wert.

      Sechs

      Die Reform-Partei residierte in der Rathenaustraße. Ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen, strahlte das gelb-blaue Schild an der grau-schmuddeligen Fassade der Geschäftsstelle. Im Erdgeschoss übte eine aufstrebende - oder was sagt man? Sagen wir, eine vielversprechende Rockband übte dort ihre markerschütternden Beiträge zur Gegenwartskultur ein. Ohne Zweifel war das Zukunftskultur, wenn man sensibel genug war, die Qualität des verstärkten Lärms zu erkennen. Sie nannten sich Holterdiepolter. Ignoranten der Zukunftsmusik mochten meinen, ihr Ziel sei es, ihre Worte zu martern im elektronisch